EU warnt vor Desinformation aus Russland in Corona-Krise

Arbeitsgruppe East Stratcom zählt mehr als 700 Fälle von Manipulation durch russische Medien. Arbeit des Gremiums ist jedoch umstritten, einige Vorwürfe fragwürdig

Die Europäische Union bereitet sich in einem weitaus größeren Maße als bisher bekannt auf einen Informationskrieg mit Russland und China vor. Nach Ansicht des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) muss sich die EU über generelle politische Desinformation aus Moskau hinaus auf gezielte Manipulationen in der Corona-Krise vorbereiten. Dies betonten bei einer Videokonferenz nach Informationen aus Teilnehmerkreisen unlängst führende Vertreter des Strategischen Kommunikationsteams Ost (East Stratcom Task Force) des EAD.

Demnach hat die Arbeitsgruppe durch Auswertung öffentlicher Quellen 11.000 Beispiele "kremlfreundlicher Desinformation" zusammengetragen. Mit Bezug auf die weltweite Virus-Pandemie habe man 700 Beispiele von Falschinformationen aus Russland dokumentieren können. Die entsprechende Liste führt inzwischen über 800 Fälle auf.

Nach Angaben aus Brüssel will die East Stratcom Task Force in Reaktion auf die Informationspolitik russischer Kanäle mit eigenen Textangeboten zunehmend auf die Berichterstattung von Medien Einfluss nehmen. Auch sei geplant, mit Hilfe von jugendlichen Aktivisten EU-freundliche Positionen in den Ländern der sogenannten Östlichen Partnerschaft zu verbreiten.

Zu dieser Staatengruppe gehören Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, die Ukraine und Weißrussland - allesamt Länder zwischen dem Nato-Raum und Russland.

Die Sorge der EU über eine zunehmende russische Beeinflussung der öffentlichen Meinung in ihren Mitgliedsstaaten war erst vor wenigen Tagen durch einen Bericht der Nachrichtenagentur dpa publik geworden. Darin hieß es unter Berufung auf einen Artikel der Internetseite euvsdisinfo.eu, vor allem Deutschland sei seit 2015 Ziel eines russischen Informationskrieges.

Der Beitrag auf der Portal der East Stratcom Task Force gibt an, seit Ende 2015 mehr als 700 Beispiele von gezielter Desinformation russischer Akteure in Deutschland dokumentiert zu haben. In Frankreich seien im gleichen Zeitraum 300 vergleichbare Fälle beobachtet worden, in Italien 170 und in Spanien lediglich 40. Im Fall Deutschlands habe vor allem der Umgang mit dem vergifteten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny zu einer Eskalation der Lage geführt, berichtete die dpa mit Verweis auf die Internetseite.

Beispiele des EAD für Desinformation Russlands in Corona-Krise

Tatsächlich bereitet sich der EAD in der Informationspolitik auf eine weitaus umfassendere Konfrontation mit Moskau vor. Hochrangige Funktionäre der East Stratcom Task Force haben die EU-Mitgliedsstaaten unlängst nachdrücklich auch vor einer gezielten Manipulation der öffentlichen Meinung in der weltweiten Corona-Pandemie gewarnt.

Der Regierung von Präsident Wladimir Putin gehe es dabei in erster Linie darum, den russischen Impfstoff Sputnik V zu bewerben, hieß es in einer Online-Präsentation der East Stratcom Task Force. Demnach greife Moskau auf alle zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle zurück, um das eigene Vakzin positiv dastehen zu lassen. Diplomatische und politische Kanäle würden dafür ebenso genutzt wie Staatsmedien und russlandfreundliche alternative Medien sowie soziale Netzwerke.

"Russische Desinformationsquellen" beschuldigten den Westen zugleich, verdeckt Druck auf Drittstaaten auszuüben, damit diese keinen Impfstoff aus Russland kaufen, heißt es in der Präsentation, die Telepolis einsehen konnte. Russische Quellen verbreiten demnach die These, westliche Impfstoffe seien ineffizienter und teuer als das eigene Vakzin. Zudem sei es nach der Verabreichung westlicher Impfstoffe zu Todesfällen gekommen.

Bei der Videokonferenz zu Fragen der Informationspolitik war man sich nach Schilderungen eines Teilnehmers einig, dass die russische Regierung versuche, Unsicherheit über Daten und Maßnahmen des internationalen Kampfes gegen die Corona-Pandemie zu schüren. Dies sei Teil der Außenpolitik Moskaus und beabsichtige, Regierungen im Nato-Raum politisch zu schwächen. Das gezielte Befördern von Zweifeln der dort laufenden Impfkampagnen sei Teil dieser Strategie.

Obwohl Russland in den Schilderungen der East Stratcom Task Force eine zentrale Rolle spielte, verwies ein führender Vertreter der EAD-Arbeitsgruppe auch auf entsprechende Initiativen Chinas. Es sei zu erwarten, dass Moskau und Peking weiterhin versuchten, auf die öffentliche Meinung in Deutschland und anderen EU-Staaten Einfluss zu nehmen.

Kritik an East Stratcom Task Force und unscharfe Vorwürfe

Die East-Stratcom-Arbeitsgruppe wurde 2015 eingerichtet, "um gegen die laufenden Desinformationskampagnen Russlands vorzugehen". Damals beauftragte der Europäische Rat das Gremium, in Zusammenarbeit mit weiteren EU-Institutionen und den Mitgliedsstaaten einen Aktionsplan zur strategischen Kommunikation vorzulegen.

Das Budget belief sich 2018 auf 1,1 Millionen Euro und wurde im Folgejahr auf drei Millionen Euro aufgestockt. Nach Abgaben aus Brüssel soll mehr Geld bereitgestellt und die Anzahl der Mitarbeiter im East Stratcom Task Force weiter erhöht werden.

Bislang arbeitet die Gruppe vor allem mit ehrenamtlichen Informanten und Aktivisten. Zu den Mitarbeitern der ersten Stunde gehörte der regierungskritische russische Aktivist Pavel Spirin, was der East Stratcom Task Force den Vorwurf politischer Voreingenommenheit einbrachte.

Der niederländische Rundfunk NOS hatte sich die Berichte des EAD-Portals euvsdisinfo.eu Anfang 2018 genauer angesehen. Das Ergebnis: Hinter drei Viertel der benannten Fake-News-Verdachtsfälle standen lediglich zehn Autoren, Thinktanks und Nichtregierungsorganisationen. In den Niederlanden hatte das Projekt damals für einen Skandal gesorgt, weil drei Medien des Landes auf einmal auf einer Fake-News-Liste von euvsdisinfo.eu auftauchten. Diese Angaben wurden später gelöscht.

Während sich EU-Diplomaten bei der Videokonferenz unlängst positiv über die Arbeit von euvsdisinfo.eu äußerten, gibt es EU-intern anhaltend auch Kritik an der Berichterstattung. Bei der jüngsten Unterredung wurde nach Angaben aus Teilnehmerkreisen etwa die fehlende Definition von Desinformation beklagt. Auch seien Berichte auf euvsdisinfo.eu oft zu unsachlich und tendenziös geschrieben. Tatsächlich wirkt eine Liste von inzwischen über 800 Fake-News-Beispielen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie recht willkürlich.

Die Grenze zwischen Meinungsäußerung und Desinformation verschwimmt vor allem in der Bewertung der Berichterstattung über die Corona-Pandemie. Nur wenige Tage nachdem Vertreter der East Stratcom Task Force die positive Darstellung des Vakzins Sputnik V in der Videokonferenz als Teil einer Desinformationskampagne des Kremls bewerteten, äußerte sich der Vorsitzende der deutschen Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, positiv zu dem Mittel: "Das ist ein guter Impfstoff", so Mertens gegenüber der Rheinischen Post, "Sputnik V ist clever gebaut".

Auch die monierte These, westliche Impfstoffe seien teuer, hält einem Faktencheck durchaus stand: Während die mRNA-Vakzine von Biontech und Pfizer für rund 20 US-Dollar auf den Markt kamen, verlangt Moderna bis zu 37 US-Dollar pro Impfdosis. Der Preis für den Sputnik-V-Impfstoff wird von Fachportalen mit zehn US-Dollar angegeben.

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