EU will Verbraucherbeschwerden einheitlich einsammeln
Damit soll der Binnenmarkt gestärkt und verbessert werden
Alle sind um die Verbraucher bemüht, natürlich auch die EU. "Damit die Märkte den Verbrauchern dienen", heißt es im Untertitel des EU-Verbraucherbarometers. Aber, so hat es den strengen Anschein, Verbraucherpolitik ist nur ein Mittel zum Zweck. Und der heißt schön neoliberal: "Innovationsförderung und Effizienzsteigerung" der Wirtschaft.
Der EU-Binnenmarkt wird von den 500 Millionen Menschen zuwenig angenommen, vor allem beim E-Commerce, also beim elektronischen Versandhandel, tut sich zuwenig, findet die EU-Kommission. Aus diesem Grund sollen nun die Verbraucherbeschwerden in allen 27 EU-Ländern einheitlich erfasst und von der Kommission ausgewertet werden. Wird das erst einmal einheitlich erfasst und der Kommission alles gemeldet, dann wird auch alles besser funktionieren, sagte der Brite David Meir (Generaldirektion SANCO, das ist Gesundheit und Verbraucher) kürzlich bei einer Veranstaltung in Wien, bei der die Stellen und Verbraucherorganisationen, die mit Verbraucherbeschwerden zu tun haben, auf ein einheitliches elektronisches Beschwerdeformular eingeschworen werden sollten.
Mit der Skepsis gegenüber dem internationalisierten E-Commerce und der Bevorzugung regionaler Produkte und Einkaufsstätten sind die Verbraucher ein ordentliches Stück nachhaltiger unterwegs als die Kommissionsbeamten.
Viele Konsumentenprobleme…
Einige Millionen Verbraucherbeschwerden werden jährlich im EU-Europa an die Verbraucherorganisationen (in Deutschland etwa an die Verbraucherzentralen) herangebracht. Erfasst sind sie nur teilweise, sowohl innerhalb der Länder, wie europaweit. So hat etwa Deutschland nicht rechtzeitig berichtet, in Österreich waren es im Jahr 2009 immerhin 485.000 Verbraucherbeschwerden oder 58 Beschwerden je tausend Einwohner.
Das Verbraucherbarometer
Das Verbraucherbarometer (oder: Consumer Market Scoreboard) zeigt übrigens erstaunliche Ergebnisse bei diesen Beschwerden: In Großbritannien sind es vergleichsweise nur 14 Beschwerden per tausend Einwohner, in Finnland annähernd so viele wie in Österreich, nämlich 51, in Polen 18 und in Dänemark 1 oder Norwegen 3, in Belgien annähernd null per tausend.
Beschwerden sagen also noch wenig über die Lage der Verbraucher, denn die Verhältnisse auf dem Markt werden sich in Österreich bzw. Finnland und in Dänemark oder Norwegen nicht wesentlich unterscheiden. Sie sagen noch nicht einmal etwas über eine unterschiedliche Beschwerdekultur in den Ländern, da die Beschwerden nicht vollständig erfasst sind. Probleme im Zusammenhang mit Autos oder Wohnungen landen oft bei Autofahrer- und Mieterorganisationen, daneben sind Funk, Fernsehen und Zeitungen mit Verbraucherecken Service garniert unterwegs. Übrigens haben die meisten Menschen noch ein paar Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen, die um Rat gefragt werden, von den Rechtsberufen reden wir erst gar nicht.
Ist Fragen genauer?
Aus einer anderen EU-Erhebung, dem Eurobarometer 342 (Consumer Empowerment, auch gerade erst veröffentlicht, wissen wir es jetzt ein bißchen genauer. 21 Prozent der Verbraucher hatten EU-weit in den letzten zwölf Monaten Probleme im Zusammenhang mit dem Kauf einer Ware oder Dienstleistung. In Deutschland 21, in Österreich 17 Prozent. In Norwegen übrigens - erinnern Sie sich noch, die hatten so wenige Beschwerden - waren es 45 Prozent.
Diejenigen, die kein Problem hatten, oder die sich daran nicht erinnern konnten wurden gefragt, ob sie sich beschwert hätten. Jawohl! 71 Prozent hätten sich beschwert. Die Deutschen hätten zu 84, die Österreicher zu 73 und die Norweger zu 86 Prozent eine Beschwerde losgelassen. Auch interessant.
Wer Probleme hatte, beschwerte sich zu 13 (Deutschland), 20 (Österreich) und zu 10 (Norwegen) Prozent bei einer Konsumentenberatungseinrichtung, vor allem die Älteren gehen dorthin, und zu knapp 60 Prozent waren sie in diesen Ländern dann zufrieden damit.
Die harmonisierte Methode
Warum möchte jetzt die Kommission eine einheitliche Erfassung der Verbraucherbeschwerden? Um sie auszuwerten, sagen ihre Vertreter. Jeder einzelne Beschwerdefall soll deshalb als Datensatz an die Kommission gehen. Da gibt es auch ein Programm dafür, mit dem können die Verbraucherorganisationen allerdings nur an einem Einzelplatz erfassen, nichts selber auswerten. Eine EDV-Implementierung selbst wird, bei größeren Verbraucherorganisationen, die ein paar Beschwerdearbeitsplätze haben, sagen wir geschätzt zehntausend bis dreißigtausend Euro kosten.
Mit der über 50 Seiten langen Empfehlung der Kommission vom 12.5.2010 "zur Verwendung einer harmonisierten Methodik zur Klassifizierung und Meldung von Verbraucherbeschwerden und Verbraucheranfragen" wird diese Erhebung eingeführt. Freiwillig heißt es, allerdings werden die nationalen Ministerien schon vehement dahinter her sein, die Wünsche der Kommission zu erfüllen.
Komplizierte Erfassung ohne Sinn
Eine Zuordnung der Verbraucherprobleme in die wesentlich feinere Kategorisierung des Kommissions-Modells wird den Beratungsaufwand vervielfachen, es soll ja auch das Problem in Geldgrößen umgesetzt werden.
Ganz generell ist zu sagen, daß die Beschwerdeaufkommen in einzelnen Branchen oder in einzelnen Problembereichen noch keinen Rückschluss auf Gesamtprobleme zulässt. Das Beschwerdevolumen hängt stark von der medialen Berichterstattung ab und Ratsuchende wenden sich an unterschiedliche Verbrauchereinrichtungen. Nur ein Teil landet bei Verbraucherorganisationen. Außerdem: Verbraucherprobleme und problematische Branchen verändern sich im Lauf der Zeit, und sie werden auch national ganz unterschiedlich wahrgenommen.
Eine Erhebung der Verbraucherprobleme durch eine repräsentativ angelegte, gut gemachte Befragung würde übrigens auch zu keiner vollständigen Erfassung führen können, da die Probleme, die ein Verbraucher hat, außer bei signifikanten Ereignissen, relativ rasch aus der Erinnerung verschwinden.
Es verhält sich hier ähnlich wie bei den Versuchen, vergangene Kaufentscheidungsprozesse von Verbrauchern zu analysieren. Liegen diese über mehrere Monate zurück, so können sie meist keine zuverlässigen Angaben über den Ablauf liefern, es sei denn es handelte sich dabei um Entscheidungen, die als sehr bedeutsam erlebt wurden.
Aber es ist ja egal
Wo Daten sind, müssen sie gesammelt werden, auch wenn es viel Zeit und Geld kostet und der Sinn nicht feststeht.
Keine Sorge jedoch: Der Verbraucher und das Unternehmen werden nicht erfasst, aus Datenschutzgründen landen diese Daten nicht bei der Kommission. Daneben werden die Meinungsforschungsinstitute weiter fette Aufträge bekommen und die Ergebnisse werden an der Oberfläche bleiben. Meinungsforscher sind eben keine Verbraucherforscher und die Tiefenprobleme, die die Menschen mit ihrem Konsum haben, werden weiter in der Tiefe vergraben gelassen. Und um die Nachhaltigkeit kümmert sich die Elektroindustrie mit ihren Energiesparlampen.