EU will neue "strategische Richtlinien" für Überwachung und Kontrolle

Seite 3: "Euro-atlantischer Raum der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten"

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Auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit europäischer und US-amerikanischer Geheimdienste lohnt ein Blick in die Papiere der "Zukunftsgruppe". Denn Schäuble hatte sich diesbezüglich für eine vertiefte Zusammenarbeit ins Zeug gelegt, ein eigenes Kapitel widmet sich einer "Umsetzung der externen Dimension der Innenpolitik". Im Abschlussbericht findet sich hierzu der Wille, eine "bessere politische, technische und operative Zusammenarbeit mit Drittstaaten" zu erreichen. Explizit genannt werden die "Vereinigten Staaten und Russland". Die Zusammenarbeit mit den USA soll demnach in der "Schaffung eines gemeinsamen transatlantischen Raums" zum Datentausch münden:

Bis 2014 sollte die Europäische Union eine Entscheidung über das politische Ziel treffen, im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts einen gemeinsamen euro-atlantischen Raum der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten zu schaffen. Ferner ist sie der Auffassung, dass Fragen der Innenpolitik in politischer wie technischer Hinsicht mit den Außenbeziehungen der Europäischen Union verbunden werden sollten; dies ist eine wichtige Herausforderung für die innere Sicherheit im europäischen Raum. Im Bereich Justiz und Inneres selbst müssen die entsprechenden Arbeitsmethoden überarbeitet werden.

Bericht der Informellen Hochrangigen Beratenden Gruppe zur Zukunft der Europäischen Innenpolitik, Juni 2008

Im späteren "Stockholmer Programm" wird gelobt, die Zusammenarbeit mit den USA sei "in den vergangenen zehn Jahren intensiviert worden, u.a. in sämtlichen Fragen des Bereichs Freiheit, Sicherheit und Recht". Vereinbart wird, dies unter jedem Vorsitz mit regelmäßigen Treffen "von Ministertroikas und hohen Beamten" fortzuführen.

Gleichzeitig stärkte der damalige deutsche Innenminister die Einflussnahme der bevölkerungsreichsten Mitgliedstaaten auf die EU-Innenpolitik über die "Gruppe der Sechs" (G6). Dort organisieren sich seit 2003 Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien und später auch Polen. Die Gruppe trifft sich mehrmals jährlich zu zweitägigen Treffen, Themen sind "Sicherheitsfragen" aller Art. Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch kritisiert den informellen Charakter der G6, da die Öffentlichkeit komplett ausgeschlossen bleibt (Geheimtreffen zu "Sicherheitsfragen" in München).

Unter deutscher EU-Präsidentschaft hatte Schäuble ab 2007 die Teilnahme des US-Heimatschutzministeriums an den G6-Treffen durchgesetzt. Diskutiert wird seitdem, wie die USA vom Datentausch unter den EU-Mitgliedstaaten profitieren könnten oder europäische Regierungen bei einer besseren "Aufdeckung der Finanzströme" helfen könnten.

Neben Abkommen zur Weitergabe von Daten aus Reisebewegungen oder Finanztransaktionen steht aber auch die Geheimdienstzusammenarbeit auf der Agenda der G6. Im September wollen die teilnehmenden Staaten mit den USA Konsequenzen aus der Affäre um die weltweite Überwachung durch den US-Militärgeheimdienst NSA erörtern. Kritik ist kaum zu erwarten: Der gegenwärtige deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich erklärt dazu vorab, die US-Spionage verfolge einen "edlen Zweck". Unterstützung bekam er kurz darauf von seinem Vorgänger Schäuble, der ebenfalls Verständnis für die Ausforschung zeigte.

Wieder Protest und Widerstand?

Analog dem damaligen portugiesischen EU-Vorsitz hat jetzt auch Litauen ein erstes Papier zur Zukunft der europäischen Innenpolitik vorgelegt. Die kommenden Präsidentschaften sollen sich dazu verhalten, dies betrifft für 2014 Griechenland und Italien. In einem Fragebogen sollen die Regierungen aller EU-Mitgliedstaaten bis dahin erklären, wie sie das "Stockholmer Programm" beurteilen und welche neuen Prioritäten in den Bereichen "Asyl, Migration und Sicherheitspolitik" gewünscht werden. Im Juni 2014 will der Rat der Europäischen Union endgültig über eine Fortführung der früheren Fünfjahrespläne entscheiden.

Vor der Verabschiedung des letzten Fünfjahresplans hatte es vielerorts Protest und Widerstand gegen die Überwachungspläne gegeben (Kritik am "Stockholm Programm"). Bürgerrechtsgruppen veröffentlichten eigene Analysen oder Protestaufrufe, auch bei der Verabschiedung in Stockholm gingen Menschen auf die Straße.

Die Skandale über Funkzellenauswertung, "Stille SMS", Trojaner und die Ausforschung des Internet mit rasternder Analysesoftware haben gezeigt, wie richtungsweisend die Vorarbeit der "Zukunftsgruppe" unter Schäuble für das spätere "Stockholmer Programm" gewesen war: Die größenwahnsinnigen Innenminister wollten nicht weniger, als die Vernetzung von "Menschen, Maschinen und Umgebungen" polizeilich und geheimdienstlich nutzen.

Deutlich wird aber auch, dass der damals zeitgleich stattfindende Protest gegen die ebenfalls von Schäuble auf die EU-Schiene gesetzte Vorratsdatenspeicherung zu einäugig war, denn alle anderen Aktivitäten gerieten dadurch aus dem Blick ("Warum hast du nichts gemacht, um das aufzuhalten?"). Bürgerrechtsgruppen stehen jetzt also vor mehreren Problemen.

Die Frage ist, wie sich eine grenzüberschreitende Bewegung zusammensetzen und koordinieren könnte. Auch ob der Fokus wie bei der Vorratsdatenspeicherung wieder nur auf einem Teilbereich liegen soll, müsste diskutiert werden. Der damalige Frontalangriff des "Stockholmer Programms" legt allerdings nahe, lieber Bündnisse aus allen davon erfassten Bewegungen zu schmieden. Hierzu gehören insbesondere die Bereiche Polizeizusammenarbeit, Migration, Asyl, Überwachung und Datenschutz.