EU will polizeiliche Drohnen bewaffnen
Ein neues Projekt untersucht den Einsatz von Flugrobotern mit nicht-tödlichen Waffen. Bis 2015 soll damit die Verfolgung von "organisierter Kriminalität" modernisiert werden
Unter dem Namen AEROCEPTOR startet die Europäische Union ein Forschungsprogramm zur Nutzung von Drohnen, um beispielsweise flüchtende Fahrzeuge zu stoppen. Die Gesamtkosten werden auf 4,8 Millionen Euro taxiert, wovon die EU-Kommission rund zwei Drittel übernimmt. Der Rest wird von den beteiligten Projektpartnern aus der Rüstungsindustrie, Innenministerien und Instituten übernommen.
Das Akronym AEROCEPTOR kann als "Unterbrechung aus der Luft" interpretiert werden. Das Projekt ist brisant, denn erstmals geht es bei der polizeilichen Nutzung von Drohnen nicht mehr nur um Aufklärung. Als Adressat wird der Kampf gegen "organisierte Kriminalität" angeführt. Dabei geht es den Machern vor allem um Fahrzeuge, in denen unerwünschte Migranten oder Drogen geschmuggelt würden: Die Drohnen sollen helfen, Autos oder Motorboote zu stoppen, wenn sich deren Fahrer einer Durchsuchung entziehen wollen.
Laut der Projektbeschreibung seien derartige Maßnahmen gegen "nicht kooperative Fahrzeuge" immer mehr erforderlich. Denn das Verweigern einer Kontrolle und anschließende Verfolgungsjagden würden sowohl die Fahrzeuginsassen als auch die Beamten gefährden.
Angestrebt wird eine größtmögliche Automatisierung. Die Flugroboter sollen mit Technik ausgerüstet werden, um die Fahrt der Autos oder Wasserfahrzeuge zu verlangsamen bzw. diese zu stoppen. Die polizeiliche Zwangsmaßnahme wird von einer Bodenstation überwacht.
Nutzung von "Heron"-Drohnen wird auch von der Bundespolizei untersucht
Die in AEROCEPTOR beforschte Technologie wird als kostengünstig angepriesen, da zum Teil auf bereits existierende Technologie zurückgegriffen werden könne. Das träfe aber nur auf jene Länder zu, in denen Grenzbehörden und Polizeibehörden bereits größere Drohnen nutzen.
Auch in Deutschland wird dieser Umstieg zur Zeit vorbereitet: In zwei eigenen Forschungsvorhaben untersucht die Bundespolizei Flugroboter, die zwischen 25 und 250 Kilogramm Nutzlast befördern können (Drohnen bald auch für Inlandsgeheimdienst und Bundeskriminalamt?). Es geht dabei um hochauflösende Kameras und Sensoren.
Eines der Projekte, das von der Bundespolizei betrieben wird, testet dafür die Drohne "Heron" des israelischen Herstellers Israel Aerospace Industries (IAI). Die "unbemannten Luftfahrzeuge" von IAI haben ein Abfluggewicht von über einer Tonne. Geflogen wird rund um die spanische Stadt Murcia. Die Bundespolizei kooperiert mit der Guardia Civil, die in Spanien für die Grenzsicherung, aber auch die Luftaufklärung zuständig ist. Die Guardia Civil ist eine paramilitärische Polizeieinheit, die wegen etlicher Gräueltaten unter dem damaligen Diktator Franco, aber auch wegen Misshandlungen linker Aktivisten heutzutage in Verruf geriet. Sie untersteht sowohl dem Innen- wie auch dem Verteidigungsministerium.
Sowohl die Guardia Civil als auch der Drohnen-Hersteller IAI haben bereits Erfahrungen im Einsatz von Drohnen für grenzpolizeiliche Belange. Beide sind auch beim jetzt gestarteten EU-Vorhaben AEROCEPTOR mit von der Partie. Dies lässt darauf schließen, dass wieder mit "Heron"-Drohnen experimentiert wird. Das im Vergleich zu anderen Projekten geringe Forschungsbudget (das umstrittene INDECT wird beispielsweise mit dem dreifachen Satz budgetiert) legt zudem nahe, dass keine eigene Technik entwickelt wird, sondern lediglich das Zusammenspiel mitgebrachter Systeme getestet wird.
Ausrüstung mit Pyrotechnik?
Allerdings bleibt offen, mit welcher Technik denn die Fahrzeuge gestoppt werden sollen. Möglich wären Störsender ("Jammer"), die alle elektrischen Felder in der Umgebung beeinflussen und damit die Bordelektronik der Fahrzeuge lahmlegen.
Denkbar ist aber auch die komplette Übernahme der Bordelektronik, indem sich die Polizisten über im Fahrzeug verbaute SIM-Karten die Kontrolle verschaffen und den Motor lahmlegen. Dies wäre aber nur bei neueren Fahrzeugen möglich. Mehrere deutsche Hersteller, darunter BMW und Opel, bieten diese Funktionalitäten an (Polizeibehörden wollen Autos überwachen und ferngesteuert stoppen können).
Jedoch wird bei AEROCEPTOR auch mit sogenannten "nicht-tödlichen Waffen" hantiert. Jedenfalls deutet darauf die Teilnahme der Firma Etienne Lacroix aus Frankreich hin, die auf Pyrotechnik spezialisiert ist. Zum Portfolio der Firma gehören Leuchtraketen ebenso wie Blendschockgranaten, Sound-Granaten oder der Einsatz von Rauch und Gas.
Die Technik erinnert an frühe Gerüchte angesichts der Einführung von Mikrodrohnen für polizeiliche Zwecke. Damals hieß es, die kleinen Drehflügler könnten womöglich mit Elektroschock-Pistolen oder grellen Lichteffekten bestückt werden (Taser sollen fliegen lernen).
Auch für Landroboter geeignet
Zwar fokussiert AEROCEPTOR ausdrücklich auf die Forschung mit Flugrobotern. Die Technik könnte aber genauso in ferngesteuerten Landrobotern eingesetzt werden. Die bei AEROCEPTOR beteiligten Firmen PIAP (ein Roboter-Hersteller aus Polen) und die israelische IAI hatten hierfür letztes Jahr das ebenfalls von der EU geförderte Projekt TALOS beendet, das die Entwicklung zweier Prototypen zur Grenzüberwachung oder dem Einsatz bei Gipfeltreffen zum Ziel hatte (Panzergraben, Grenzzaun, Wachroboter und mehr deutsche Polizei). Die "unbemannten Landfahrzeuge" sind Nachbauten ähnlicher Mini-Panzer, die IAI für das israelische Militär fertigt.
Die TALOS-Roboter sind mit hochauflösender Kameratechnik, Infrarot sowie unterschiedlichen Sensoren ausgerüstet. Sofern sie auf humane "Störer" treffen, können Operatoren aus der fernen Basisstation über einen Lautsprecher Befehle erteilen. Die Prototypen wurden unter der Ägide der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX gefertigt, die zunehmend mehr Hochtechnologie zum Grenzschutz einsetzen will. Seit mehreren Jahren veranstaltet FRONTEX regelmäßig einen European Day for Border Guards in Warschau, wo fertige Produkte gezeigt und neue Möglichkeiten ausgelotet werden.
Die AEROCEPTOR-Forschungen zu polizeilichen Zwangsmaßnahmen mit Drohnen enden im Dezember 2015. Das harmonisiert mit einem anderen EU-Vorhaben, das 2016 auf die Schiene gebracht werden soll: Dem "Einheitlichen Europäischen Luftraum" ("European Single Sky"). Geplant ist, dass Flugroboter mit einem Abfluggewicht von über 150 Kilogramm dann nicht mehr in eigens reservierten Korridoren verkehren, sondern gleichberechtigt am zivilen Luftverkehr teilnehmen (EU will zivilen Luftraum für schwere Drohnen öffnen). Der Informationsdienst Euobserver berichtet diesbezüglich von einer Workshop-Reihe der EU, die eine "hybride Nutzung" von Aufklärungsdrohnen für militärische und zivile Zwecke untersucht.
Aus dem Innen- bzw. dem Verkehrsministerium wird bereits gefordert, dass überall in Deutschland größere Drohnen mit hochauflösender Kameratechnik rund um die Uhr für polizeiliche Zwecke verfügbar sein sollen.