Polizeibehörden wollen Autos überwachen und ferngesteuert stoppen können
In mehreren Projekten vernetzt sich das Bundeskriminalamt mit Polizeibehörden anderer EU-Mitgliedstaaten, um neue Technologien zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zu entwickeln
Europäische Polizeibehörden wollen zukünftig vermehrt in Fahrzeugen verbaute SIM-Karten nutzen, um die Fahrer, falls gewünscht, zum Anhalten zu zwingen. Dies geht aus einem Dokument hervor, das von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch ins Netz gestellt wurde. Geleakt wurde die Wunschliste für zukünftige Überwachungstechnologie des "European Network of Law Enforcement Technology Services" (ENLETS). Dabei handelt es sich um ein informelles Netzwerk unter mehreren EU-Mitgliedstaaten. Als Ziel wird die Unterstützung eines "front line policing" und die Mitbestimmung zukünftiger Sicherheitsforschung formuliert. Zudem soll sichergestellt werden, dass die Beteiligten von Forschungsergebnissen im Rahmen des 7. EU-Forschungsrahmenprogramms profitieren. Mit an Bord sind deshalb die "Research Executive Agency" und das "Joint Research Centre" der EU.
ENLETS wurde im September 2008 unter französischer Präsidentschaft gegründet. Zur "Kerngruppe" gehören neben Frankreich Belgien, Griechenland, Zypern, die Niederlande, Polen, Finnland und Großbritannien. Als deutsche "Nationale Kontaktstelle" hat die Bundesregierung einen Mitarbeiter der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster benannt. Bald sollen auch "Drittstaaten" eingeladen werden, die nicht zur EU gehören.
Die Kommunikation wird über eine bei Europol errichtete elektronische "IT-Plattform für Experten" betrieben. Dort werden unter anderem Schulungsmaterial, Rechtstexte, Richtlinien und Durchführungsvereinbarungen abgelegt. Regeln zur Zusammenarbeit wurden 2009 in Prag aufgestellt. Ab 2010 wurde die engere Einbeziehung der Europäischen Kommission begonnen. Später nahmen auch die EU-Agenturen Europol und FRONTEX teil.
Technik auch im "Leitfaden zum Datenzugriff"
Der Wunsch, Autos ferngesteuert zu stoppen, kommt von Polizeibehörden aus Großbritannien. Dabei dürfte es sich um jene Technik handeln, wie sie die Generalstaatsanwaltschaft München in einem Leitfaden zum Datenzugriff beschreibt: Den Verfolgungsbehörden soll Zugriff zu "alle[n] Varianten des TKÜ-Instrumentariums" gewährt werden. Gemeint ist die "Inhaltsdatenüberwachung oder Verkehrsdatenerhebung" von Autos, die über SIM-Karten mit dem Internet verbunden sind. Neben Ortungsfunktionen und der Nutzung Sozialer Netzwerke können sich auch Mechaniker der Firmen in die Bordelektronik einloggen. Aus der Ferne können Fehler behoben werden oder mit den Fahrern kommuniziert werden.
Derartige Systeme werden von BMW, Audi, Porsche, Renault und Opel angeboten. Die Features der SIM-Karten sind zwar optional. Die Karten lassen sich aber weder ausbauen noch deaktivieren. Mindestens im Falle von BMW, vermutlich aber auch bei den anderen Herstellern, funken sie auch ohne Vertrag Statusberichte über den Zustand des Fahrzeugs und gefahrene Kilometer. Angeblich sind die übermittelten Daten anonymisiert. Weitere Auskünfte zu der Funktionsweise werden von BMW aber selbst Bundestagsabgeordneten systematisch verweigert.
Kein Wunder, dass sich auch Polizeibehörden und Geheimdienste für die anfallenden Daten interessieren. In dem "Leitfaden" wird deshalb erörtert, nach welchen Paragrafen die Überwachung angeordnet werden kann. Bei BMW geht die Generalstaatsanwaltschaft davon aus, dass der Hersteller selbst zum Netzprovider geworden ist. Damit unterliegt die Firma den üblichen Vorgaben zur Herausgabe von Telekommunikationsdaten. Eine richterlich angeordnete Abfrage kann über die Fahrzeugidentifikationsnummer erfolgen, wonach die Polizei bei BMW eine Bestandsdatenabfrage des Halters vornehmen darf. Dann kann ein Fahrzeug entweder permanent geortet und verfolgt werden, oder aber eine nachträgliche Funkzellenabfrage erfolgen.
Der gewünschte "Rechtseingriff" soll datenschutzrechtlich möglichst wenig angreifbar sein. Deshalb wird vorgeschlagen, die weitere Ortung nicht über eigene, richterlich angeordnete Funkzellenabfragen vorzunehmen. Stattdessen könnte mit einem "LocationBasedService" (LBS) der Firma Ubinam ein privater Tracking-Dienst geutzt werden. Gemäß dem "Leitfaden" unterhält der "LBS-Diensteanbieter" eigene Verträge zur Nutzung von Standortdaten der Mobilfunkbetreiber, die diese wiederum aus der Funkzellenortung generiert.
"Möglichkeit zum informellen Erfahrungsaustausch" - ohne parlamentarische Kontrolle
Als erstes Ziel gibt ENLETS an, dass dort "die richtigen Leute" miteinander reden müssten. Das sieht die Bundesreguierung genauso. Demnach dient das ENLETS den Strafverfolgungsbehörden durch die "Möglichkeit zum informellen Erfahrungsaustausch". Das macht Sinn: Denn weil ENLETS über keine institutionelle Anbindung an Organe der EU verfügt, kann das EU-Parlament dessen Arbeit nicht kontrollieren.
Mit ähnlichen Zielen wie ENLETS befasst sich auf EU-Ebene eine "Cross-Border Surveillance Working Group" (CSW), in der sich Mobile Einsatzkommandos aus 12 EU-Mitgliedstaaten sowie die EU-Polizeiagentur Europol zu grenzüberschreitenden Observationstechniken austauschen. Weil dafür auch Überwachungsvorrichtungen in Räumen, Fahrzeugen und elektronischen Geräten zur Anwendung kommen, treffen sich Polizeibehörden mehrerer EU-Regierungen im Projekt "International Specialist Law Enforcement" (ISLE). Zudem sollen dort forensische Fähigkeiten zum Auslesen von Daten aus digitalen Medien verbessert werden. ISLE wird von der EU-Kommission finanziert und von der britischen Serious Organised Crime Agency (SOCA) geleitet. Das BKA bringt sich mit der Abteilung Zentrale kriminalpolizeiliche Dienste (ZD) ein.
Die Wunschliste der bei ENLETS vertretenen Polizeibehörden verrät weitere Begehrlichkeiten. Die schwedische Polizei gibt eine Studie zur vermehrten Nutzung fliegender Kameras in Auftrag, während Rumänien sich sogenannte "Command and Control Centers" zur Verarbeitung von Informationen aus unterschiedlichen "Sensoren" wünscht. Derartige Systeme entstanden im Rahmen militärischer Forschungen und werden heute in State-of-the-Art-Grenzüberwachungszentren verbaut. Rumänien will damit großflächige Operationen in Echtzeit kontrollieren und dabei auch Daten aus der Satellitenkommunikation verarbeiten. Die Grenzer sollen auf Patrouillen "augmented reality"-Systeme nutzen.
Zypern wiederum interessiert sich für die "Automatic number plate recognition" (ANPR), mit denen die britische Polizei bereits großflächig auf die Jagd nach verdächtigen Nummernschildern geht. Dabei soll auch das Schengener Informationssystem (SIS) automatisch abgefragt werden. Frankreich und Deutschland wollen laut einem weiteren Dokument mehr Forschung zu "nicht-tödlichen Waffen", womit beispielsweise Taser, Blendschock-Granaten oder Tränengas gemeint sind. Bürgerrechtsaktivisten bevorzugen hierfür den Begriff "weniger tödliche Waffen", da diese bereits häufiger zu schweren Verletzungen und zum Tod geführt haben.
Auch INDECT bei ENLETS
Großbritannien will Forschungen zum Abgleich von Daten aus der Videoüberwachung mit polizeilichen Datenbanken. Auch OSINT-Informationen, also Daten aus öffentlichen Quellen, sollen dafür vermehrt ausgewertet werden. Jedoch ist auch die Rede von der "Instrumentation Signals Intelligence" (ISINT), etwa von Ortungsgeräten oder IMSI-Catchern. Die multiplen Verfahren zur Analyse von Videodaten, Polizeidatenbanken und "Signal Intelligence" werden im EU-Sicherheitsforschungsprojekt INDECT zusammengeführt, an dem auch die britische Polizei teilnimmt. Wohl deshalb hat mit Andrzej Dziech ein Koordinator von INDECT bereits den europäischen Kollegen in ENLETS Ergebnisse der Forschung vorgeführt hat.
Polen, die Niederlande und Großbritannien wollen zudem Systeme zum verdeckten Lauschangriff verfeinern: Mit miniaturisierten Geräten werden Audio- und Videoaufnahmen gefertigt. Wie diese in heimlichen Ermittlungen eingesetzt werden, hatte zuletzt der britische Ex-Polizist Mark Kennedy erklärt. Sieben Jahre spitzelte er unter anderem in Deutschland und Frankreich (Wer bezahlte die Spitzel?). Weil er auch Sexualität zur Erlangung von Informationen nutzte, steht die britische Polizei gerade in London vor Gericht. Die Geschädigten verweisen auf die Europäische Menschenrechtskonvention, wonach niemand einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden darf.
Die "Handler" der Polizei waren aber jederzeit informiert, wo die Spitzel übernachteten. So erklärte es der Ex-Cop nun der britischen Regenbogenpresse und bestätigt damit die Klägerinnen. Womöglich wurde sein Handy hierfür jederzeit geortet. Angeblich habe er eine 7.000 Pfund teure Casio-Uhr benutzt, die Gespräche im Raum permanent aufzeichnet. Weil die Daten – im Gegensatz zu einem manipulierten Mobiltelefon einer Agentin aus Österreich - nicht in Echtzeit übertragen werden können, wurden diese von seinen Auftraggebern transkribiert und später gemeinsam ausgewertet. Die dabei angehäuften Audioprotokolle dürften jetzt in einem weiteren Gerichtsverfahren eine Rolle spielen: Kennedy nutzt die gerichtliche Klage der Frauen, um seinerseits Schadensersatz von seinen früheren Vorgesetzten zu fordern. Da diese den Spitzel nicht an den sexuellen Affären und Beziehungen gehindert hätten, sollen sie ihn mit rund 120.000 Euro entschädigen.