Bundeskriminalamt leitet EU-Projekt zu klandestinen Ermittlungen
Die Bundesbehörde sitzt in der Steuerungsgruppe eines EU-Projekts zum unbemerkten Eindringen in Objekte und elektronische Geräte
Angehörige von Polizeien mehrerer EU-Regierungen treffen sich im Projekt "International Specialist Law Enforcement" (ISLE). Ziel des 2009 von der Europäischen Kommission gestarteten Vorhabens ist das heimliche, verdeckte Eindringen in Räume, Fahrzeuge und elektronische Geräte. Dort sollen Beweismittel im Rahmen von Ermittlungen gesammelt werden. Polizisten können auch weitere Überwachungsvorrichtungen platzieren. Zudem sollen im Projekt forensische Fähigkeiten zum Auslesen von Daten aus digitalen Medien verbessert werden.
Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch berichtet über ein weiteres internationales Polizeinetzwerk, das seine Arbeit im Verborgenen verrichtet: Vor drei Jahren wurde demnach das Projekt "International Specialist Law Enforcement" ins Leben gerufen, um Fahndungsspezialisten mehrerer Länder zu vernetzen und sich über heimliche Ermittlungsmethoden auszutauschen. Ein erstes Treffen zur Anbahnung des von der Europäischen Kommission angestoßenen Projekts fand bereits 2006 unter Teilnahme von 36 Angehörigen mehrerer europäischer Polizeien statt. Das 2009 begonnene Vorhaben soll offiziell zunächst im November enden. Das Management von "International Specialist Law Enforcement" übernimmt auf Initiative der Europäischen Kommission die britische Serious Organised Crime Agency (SOCA). Die Agentur untersteht zwar dem britischen Innenministerium, ist diesem aber nicht weisungsgebunden. Ziel der SOCA ist das Sammeln und Auswerten von Informationen. Damit erfüllt die Agentur nach Ansicht von Kritikern Funktionen eines polizeilichen Geheimdienstes.
Auch Europol an Bord
Im gemeinsamen "Steering Committee" des EU-Projekts "International Specialist Law Enforcement" engagieren sich das Bundeskriminalamt (BKA) und die belgische General Commissioner's Office Directorate Special Units (CGSU). Auch die EU-Polizeiagentur Europol ist beteiligt und stellt unter anderem Infrastruktur zur elektronischen Kommunikation über seine "Europol Platform for Experts".
Die knappe Projektbeschreibung erläutert nicht, welche Verfahren zum heimlichen Eindringen in Objekte oder elektronische Geräte ausgetauscht werden sollen. Auch um welche Technik es sich bei den Überwachungsvorrichtungen handelt bleibt unklar. Aus der Vergangenheit ist aber bekannt, dass hierfür versteckte Wanzen eingesetzt werden. Im Rahmen von verdeckten Ermittlungen tragen Spitzel miniaturisierte Kameras und Mikrofone. Der vor zwei Jahren aufgeflogene britische verdeckte Ermittler Mark Kennedy berichtete, er habe hierfür eine 7.000 Euro teure Uhr der Marke Casio benutzt, die Gespräche im Raum aufzeichnet. Kennedy war über mehrere Jahre auch in Deutschland aktiv (Grenzüberschreitende Spitzel).
Zum Eindringen in Rechnersysteme nutzt das Bundeskriminalamt Technik der Firmen DigiTask und Gamma International (Staatstrojaner: Privater "Vermögenswert" wiegt mehr als Grundrechte). Das Auslesen von Mobiltelefonen wird bei Bundesbehörden unter anderem mit Produkten der Firmen Micro Systemation, Cellebrite, Oxygen Software GmbH und COMPELSON betrieben.
Bei der Bundespolizei wird seit 2007 gestritten, auf welche Art und Weise zukünftig die "Auslesung von mobilen Endgeräten" betrieben werden soll. Eine Arbeitsgruppe "MEA-Sofort" soll hierfür Vorschläge erarbeiten. Angeblich müssen manche Direktionen der Bundespolizei erlangte Daten aus Mobiltelefonen teilweise händisch auslesen.
Aufbau einer Arbeitsgruppe von "Praktikern"
Das EU-Projekt "International Specialist Law Enforcement" wird von den Beteiligten finanziert. Weitere Mittel kommen aus dem EU-Programm "Prevention of, and Fight against Crime", das 2007 eingerichtet wurde. 2010 hat die EU-Kommission beispielsweise 115.614,10 Euro beigesteuert. Das Geld soll beim Erreichen eines weiteren Ziels helfen: Dem Aufbau einer kontinuierlich arbeitenden Arbeitsgruppe von "Praktikern", die langfristig Bestand hat. Hierzu hat letztes Jahr in London ein Seminar stattgefunden.
Auf der Webseite des SOCA finden sich keine Informationen zu "International Specialist Law Enforcement", ebensowenig beim BKA. Die Bundesregierung hatte dessen Existenz in früheren Parlamentarischen Initiativen über den Einsatz digitaler Spähprogramme unerwähnt gelassen. Somit war es Abgeordneten nicht möglich, überhaupt von dessen Existenz zu erfahren. Das EU-Projekt reiht sich damit ein in die im verborgenen agierenden, grenzüberschreitenden Polizeinetzwerke, deren Existenz oder Arbeitsweise seit letztem Jahr nur zögerlich öffentlich wurden:
- European Cooperation Group on Undercover Activities (ECG): Führer verdeckter Ermittler/innen aus EU-Staaten sowie z.B. Russland, Schweiz, Türkei, Ukraine (Grenzüberschreitende Spitzel)
- International Working Group on Undercover Policing (IWG): Führer verdeckter Ermittler/innen europäischer Länder sowie z.B. USA, Israel, Neuseeland, Australien (Spitzel und Sicherheitsindustrie in geheimer Arbeitsgruppe organisiert)
- International Business Secretariat (IBS): Erörtert rechtliche Rahmenbedingungen und Tarnidentitäten verdeckter Ermittler/innen in Herkunfts- und Entsendeländern
- Cross-Border Surveillance Working Group (CSW): Mobile Einsatzkommandos aus 12 EU-Mitgliedstaaten und Europol zu Observationstechniken (Mit falschen Papieren gegen "Euro-Anarchisten")
- Remote Forensic Software User Group (früher: DigiTask User Group): Eingerichtet vom Bundeskriminalamt zur Wirtschaftsförderung deutscher Trojaner-Software im Ausland (Internationaler Trojaner-Stammtisch)
Berichte vermutlich geheim
Alle Netzwerke sind weder auf nationaler noch auf EU-Ebene institutionell angebunden und agieren mithin in einer Grauzone. Zwar dienen sie angeblich nicht der Planung von operativen Repressalien. Dennoch sind sie von grundlegender Bedeutung, da ihre regelmäßigen Treffen Kontakte bereitstellen, die für spätere grenzüberschreitende Zwangsmaßnahmen unabdingbar sind.
Es ist anzunehmen, dass sich das Bundesinnenministerium weigert, weitere Informationen zum jetzt bekanntgewordenen, geheimnisvollen EU-Projekt herauszugeben. Somit könnte nicht geklärt werden, inwiefern auch das Eindringen in Computersysteme (mittels Trojanern oder Keyloggern) oder die Auswertung von hierüber erlangtem Material in die Aufgabenstellung von "International Specialist Law Enforcement" fällt.
Auch ob mit anderen, nicht institutionell angebundenen Polizeinetzwerken kooperiert wird, wäre zu klären. Infrage kommt etwa die Cross-Border Surveillance Working Group (CSW), deren Arbeitsbereich in der Zusammenarbeit bei der grenzüberschreitenden Verfolgung von Verdächtigen liegt. Hierfür kommen auch beispielsweise gemeinsam benutzte Peilsender zum Einsatz. Auch Europol arbeitet in der CSW mit.
Die letzten drei Monate von "International Specialist Law Enforcement" werden für das Abfassen von Evaluationsberichten aufgewendet. Wohin diese dann im November adressiert werden, ist unklar. Nicht immer sind die Ergebnisberichte von EU-Vorhaben öffentlich.