EZB und Bundesregierung: Fehler bei der Inflationsbekämpfung
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Blinde Flecken der Entlastungspakete und des Abwehrschirms. Der mit dem Steuergeld finanzierte "Wumms" heizt die Inflation an. Löhne und Gehälter können nicht mehr mithalten. Gastbeitrag.
Die gute Nachricht zuerst: Der Verbraucherpreisanstieg legte im November eine Pause ein. Gegenüber dem Vormonat sanken einige Preise sogar. Vor allem Heizöl und Kraftstoffe wurden billiger, um 9,8 beziehungsweise 5,3 Prozent. Nun liegt die Verbraucherpreisinflation nach einer ersten Prognose des Statistischen Bundesamtes bei 10,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, im Oktober lag sie noch bei 10,4 Prozent.
Von Entwarnung könne jedoch keine Rede sein, so Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Im Einklang mit den Prognosen der Bundesbank und der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland rechne er nämlich "bis Anfang nächsten Jahres mit zweistelligen Inflationsraten".1
Dass es im November einen leichten Rückgang der Inflationsrate gab, liegt an einem statistischen Effekt: Im November letzten Jahres machte die Inflationsrate gegenüber dem Vormonat einen Sprung und legte von 4,5 auf 5,2 Prozent zu, so dass die Inflation in diesem November im Vergleich zur bereits gestiegenen Inflation im November letzten Jahres etwas niedriger ausfällt.
Demnach sind die Verbraucherpreise in den vergangenen zwei Jahren bis November 2022 um 15,2 Prozent gestiegen, im Oktober lag der Preisanstieg mit 14,9 Prozent noch etwas niedriger.
Sinkende Reallöhne
Nun zur schlechten Nachricht: Die anhaltend hohe Inflation in Deutschland beschert den Erwerbstätigen seit einem Jahr kontinuierlich steigende Reallohnverluste, wie das Statistische Bundesamt nun ebenfalls meldet.
Im 3. Quartal 2022 sind die realen Verdienste gegenüber dem Vorjahresquartal um 5,7 Prozent gesunken. Da jedoch auch in den beiden vorangegangen Jahren Reallohnverluste entstanden waren, haben die Erwerbstätigen seit dem dritten Quartal 2019 nun einen Kaufkraftverlust von sieben Prozent erlitten.
Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die nominalen Lohn- und Gehaltssteigerungen halten mit diesem Preisanstieg längst nicht mehr mit, wie die Tarifabschlüsse der letzten Wochen und Monate deutlich machen. Dies zeigt sich in aller Klarheit beim Tarifabschluss für die knapp vier Millionen Beschäftigen in der Metall- und Elektroindustrie.
Zwar wurde die von der Bundesregierung steuer- und abgabenfrei gestellte einmalige "Inflationsprämie" von 3.000 Euro vereinbart, aber die Tariflöhne werden innerhalb der nächsten 24 Monate nur um insgesamt 8,5 Prozent steigen. Erst im Juni 2023 wird es demnach eine Lohnerhöhung von 5,2 Prozent geben, weitere 3,3 Prozent folgen im Mai 2024.
Die mit dem Steuergeld der Bürger finanzierte Subventionierung der Löhne und Gehälter mittels "Inflationsprämie" dürfte bei den unteren Lohngruppen zwar dazu führen, dass der in diesem Jahr bereits erlittene und bis zur nächsten Lohnerhöhung im Juni 2023 weiter fortschreitende Kaufkraftverlust in etwa ausgeglichen wird, bei höheren Verdiensten dürfte das jedoch längst nicht der Fall sein.
Hinzu kommt, dass die Zahlung nicht auf Dauer gewährt wird. Dadurch bleibt eine dramatische Senkung des Reallohnniveaus, die sich jedoch erst in den nächsten Jahren voll auswirkt. Bis zum Ende des Tarifvertrags in zwei Jahren werden die Tariflöhne um 8,5 Prozent gestiegen sein, obwohl die zweistellige Inflationsrate dieses Jahres diesen Lohnanstieg schon mehr als nur aufgefressen hat.
Mit diesem Tarifvertrag verzichtet die IG Metall, die als größte Einzelgewerkschaft Deutschlands das Tarifgefüge entscheidend prägt, also nicht nur auf einen Ausgleich für die verlorene Kaufkraft in diesem Jahr. Sie akzeptiert auch, dass die Preise erneut den Löhnen davonlaufen.
Obendrein nimmt sie hin, dass die in den letzten beiden Jahren eingetretenen Reallohnverluste von den Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie nun endgültig geschluckt werden.
Denn schon in Jahren 2020 und 2021 gab es nur geringe nominale tarifvertragliche Lohn- und Gehaltssteigerungen, so dass sich bis Ende 2021 ein Reallohnverslust von 2,3 Prozent ergab, wie der Arbeitgeberverband Gesamtmetall in einer aktuellen Studie ausweist.
Reden statt handeln
In Anbetracht der berechtigten Sorgen der Bürger, die diesen Wohlstandsverlust an ihrer sinkenden Kaufkraft spüren, werden Regierungen und Zentralbanken nicht müde, der galoppierenden Inflation immer wieder aufs Neue den Kampf anzusagen.
So hat die EZB-Präsidentin Christine Lagarde in Anbetracht der Rekordinflation im Euroraum und erneut aufkommender Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Inflationsbekämpfung bekräftigt, die EZB sei "entschlossen, die Inflation […] zurückzuführen und die dafür notwendigen Maßnahmen zu ergreifen".
Zwischen Worten und Taten klafft jedoch eine immer größere Lücke, worauf nun sogar Klaas Knot, niederländischer Notenbankchef und selbst Mitglied des EZB-Rats hinweist. Seiner Auffassung nach befindet sich die EZB mit ihrer Zinspolitik noch immer in einer frühen Phase, in der sie die Konjunktur lediglich weniger als bisher fördere: "Dann vom Risiko einer zu starken Straffung zu sprechen, ist daher ein bisschen wie ein Witz", sagte Knot auf einer Veranstaltung in Paris.2
Ihre extrem zögerliche Haltung bei der Inflationsbekämpfung erklärt die EZB selbst mit eigenen Fehleinschätzungen. Sie liegt darin begründet, dass sie sich in eine Lage hineinmanövriert hat, in der Unternehmen wie auch Staaten von billigem Zentralbankgeld zunehmend abhängig geworden sind, um ihre Profitabilität zu erhalten beziehungsweise ihre defizitären Staatshaushalte zu finanzieren.
Die EZB ist daher weder in der Lage, die seit Jahren immer weiter aufgeblasene Geldmenge zu reduzieren noch die Zinsen zu erhöhen, ohne Unternehmen und Staaten in die Bredouille zu bringen. Sie kann ihren kämpferischen Worten zur Inflationsbekämpfung keine Taten folgen lassen.
Inflation anheizen statt bremsen
Aber auch die Bundesregierung gibt sich kämpferisch, denn sie will die sozialen Auswirkungen steigender Preise mit "Wumms" und "Doppel-Wumms" mindern. Sie zeigt sich wild entschlossen, die Bürger mit Entlastungspaketen und Abwehrschirmen und dem dafür zur Verfügung gestellten "Sondervermögen" von insgesamt 300 Milliarden Euro vor steigenden Preisen zu bewahren.
Mit diesem Ziel wurde nun das Gesetz zur Einführung einer Strom- und Gaspreisbremse in den Bundestag eingebracht und dort am 1. Dezember in erster Lesung diskutiert. Gas- und Strompreise für private Haushalte sowie für Unternehmen sollen einen bestimmten Betrag nicht überschreiten. Sofern die Energieversorger höhere Preise verlangen werden diese aus dem "Sondervermögen" bestritten.
So sollen ab 1. Januar 80 Prozent des Strom- und Gasverbrauchs (auf Grundlage der Verbrauchsmenge des Vorjahres) der privaten Haushalte auf 40 Cent bzw. 12 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden.
Aber diese außerhalb des Staatshaushalts als "Sondervermögen" deklarierten Schulden haben ebenso wenig wie die Geldpolitik eine inflationsdämpfende Wirkung. Denn die Milliardensubventionen, die zur Deckelung der Energiepreise privater Verbraucher und der Unternehmen eingesetzt werden, erleichtern es den Anbietern sogar, die infolge von Energieknappheit entstandenen Verkäufermärkte zu nutzen, um höhere Preise durchzusetzen.
Zurecht bemängelte Dietmar Bartsch (Linke) in der Bundestagsdebatte, dass die vermeintliche Energiepreisbremse "keine Bremse", sondern ein "Gaspedal" sei. Dennoch sprach er sich für ein noch größeres Gaspedal aus, indem er forderte, dass der Deckel bei Strom bei nur 10 Cent pro Kilowattstunde liegen müsse und darüberliegende Preise komplett subventioniert werden sollen. Um diese "Einladung zum Abkassieren" möglichst zu vereiteln, empfahl er staatliche Preiskontrollen.
Zusätzlich besteht jedoch auch das Problem, dass der Preisdeckel die Nachfrage höher hält, als sie ohne Subventionierung bliebe. So nimmt die Knappheit auf den Energiemärkten eher zu als ab und dies erlaubt es den Anbietern erneut, an der Preisschraube zu drehen.
In diesen Anbietermärkten können sie sich mit der Durchsetzung hoher Preise nicht nur für den tatsächlich gestiegenen Aufwand zur Bereitstellung knapper Güter entschädigen, sondern in aller Regel ihre Marktposition zudem nutzen, um ihre Profitabilität erheblich zu verbessern.
Mit der Subventionierung hoher Energiepreise, die gegenüber den Verbrauchern als Deckelung erscheint, gießt die Bundesregierung also sogar noch Öl ins Inflationsfeuer. Faktisch wird das viele Geld aus dem "Sondervermögen" der Bürger, das sie zudem irgendwann wieder zurückzahlen müssen, in die Energiemärkte gepumpt und so die Nachfrage auch monetär gestärkt.
Geradezu lehrbuchmäßig treibt die Bundesregierung auf diesem Weg die Inflation voran, anstatt deren Auslöser, nämlich die Knappheit insbesondere von Energie, zu adressieren.
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