Echelon hoffnungslos überschätzt
Widersprüchliche Aussagen von deutschem Mitglied des Echelon-Ausschusses im Europäischen Parlament
Der deutsche Europaparlamentarier und Mitglied des Echelon-Untersuchungsausschusses, Gerhard Schmid (SDP), sagte am Mittwoch, dass dem Ausschuss keine harten Fakten vorliegen, um zu beweisen, dass die USA Wirtschaftsspionage gegen europäische Unternehmen betreiben. Der Echelon-Ausschuss, ein nichtständiger Ausschuss mit beschränkten investigativen Möglichkeiten, war im Juli 2000 eingerichtet worden, um Informationen über das Echelon genannte Abhörsystem zu verifizieren und herauszufinden, ob das System ein Risiko für die europäische Industrie darstellt.
Obwohl der Bericht noch nicht fertiggestellt ist, sagte Schmid bereits, dass es keine Beweise für die Existenz von Echelon gebe. "Solange niemand von den Geheimdiensten oder der Industrie sich äußert ... haben wir keinen Beweis, dass es stattfindet", sagte Schmid laut der Associated Press. "Wir haben keine Mittel, um Untersuchungen über die Aktivitäten von Geheimdiensten tätigen zu können. Wir können nicht herausfinden, was amerikanische Geheimdienste tun, wir können nicht herausfinden, was europäische Geheimdienste tun", sagte Schmid.
Er meinte auch, dass die Kapazitäten von Echelon übertrieben dargestellt würden. Nachdem man sechs Monate Experten für Kommunikation, nationale Sicherheit und andere Bereiche zugehört habe, sei der Ausschuss zu der Überzeugung gelangt, dass kein Land alleine tun könne, was den USA von einigen unterstellt wird: das Abhören aller Telefonate, Emails und Faxe auf der ganzen Welt. "Die Möglichkeiten für derartige Abhörmaßnahmen werden hoffnungslos überschätzt", sagte Schmid. Er fügte allerdings hinzu, dass es möglich sei, die meisten strategisch wichtigen Weltregionen abzuhören, wenn sich einige Länder zusammentun würden. Aber obwohl es schwer zu beweisen sei, warnte Schmid europäische Unternehmen, dass sie sich dessen bewusst sein sollten, dass Abhörmaßnahmen zum Zweck der Wirtschaftsspionage wahrscheinlich durchgeführt werden. "Wir müssen uns schützen", sagte Schmid zur AP.
In der vergangenen Woche sagte die Vize-Vorsitzende des Echelon-Ausschusses, Ellie Plooij (Niederlande, Liberale) zu Telepolis, dass bisher noch keine Delegation des Echelon-Ausschusses mit Repräsentanten der US-Regierung gesprochen habe. Ein Besuch in den Vereinigten Staaten sei aber für Anfang Mai geplant.
Plooij sagte gegenüber Telepolis auch, dass sich die britische Regierung geweigert habe, Vertreter zu Aussagen vor dem Ausschuss zu entsenden. Aber bei einem Besuch in London habe der Ausschuss mit mehreren britischen Ministern gesprochen. Bei diesen Diskussionen hätten die Briten implizit die Existenz des geheimen UKUSA-Vertrags zugegeben. Plooij erklärte, "sie haben es nicht in klaren Worten gesagt. Aber als wir fragten, ob wir die UKUSA-Vereinbarung sehen könnten, gaben sie zur Antwort, dass das nicht möglich sei, weil dieser Vertrag geheim ist".
Plooij wollte keinen Kommentar zu den Ergebnissen des Echelon-Ausschusses abgeben, doch sie gab sich überzeugt, dass die Möglichkeiten zu weitreichendem, grenzüberschereitendem Abhören eine Bedrohung für Bürger und Unternehmen darstellen würden:
"Geheimdiensten sind, was das Abhören betrifft, durch nationale Gesetze Grenzen gesetzt. Es gibt aber keine Regeln für grenzüberschreitendes Abhören. Das ist ein großer Mangel beim Schutz der internationalen Kommunikation. Wir müssen diesbezüglich internationale Abkommen schließen, zunächst innerhalb der EU, dann in größerem, internationalem Rahmen."
Schmids Aussagen kamen zu einem Zeitpunkt, als bereits große Konfusion über die Arbeit des Echelon-Ausschusses herrschte. Im Februar sagte Desmond Perkins, der für die Verschlüsselungssysteme der EU-Kommission zuständige Beamte, vor dem Echelon-Ausschuss, "die NSA überprüft unsere Systeme regelmäßig, um zu sehen, ob sie gut gewartet und richtig bedient werden". Nachdem die Aussage einen Medienrummel erzeugt hatte, beeilte sich die Kommission, Perkins Aussagen als Missverständnis darzustellen. Die EU-Kommission habe keine Verbindungen zur NSA und würde auch kein Material zu Prüfzwecken an sie versenden, hieß es seitens der Kommission.
Die Grünen im Europaparlament fordern nun eine offene Debatte zu dem Thema in der nächsten Plenarsitzung. "Es ist ein unglaublicher Gedanke, dass europäische Geheimcodes von amerikanischen Spionen auf ihre Sicherheit hin überprüft werden. Die Wahrheit ist, dass amerikanische Überlegenheit in Kryptografie und Computer-Betriebssystemen sie in die Lage versetzt, jedermanns Verschlüsselung zu brechen und somit deren Geheimnisse zu erfahren - praktisch von jedem", sagte Neil MacCormick. "Der Fall Perkins zeigt einmal mehr akute Aufsichts-Mängel der Geschäftsführung in der Europäischen Kommussion auf. Wir müssen sicherstellen, dass mit den jetzigen Reformen auch strenge Kontrollen über europäische Geheimangelegenheiten eingeführt werden".