Echtzeit in Runden

Starcraft. Bilder: Matthias Huber

Weit mehr als nur ein schneller Euro: Blizzards PC-Klassiker "Starcraft" und "World of Warcraft" in ihren Brettspielversionen

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Ob "Avatar - The Game" oder die Videospielversion von "Deutschland sucht den Superstar": Ein aus einem anderen Medium bekannter Name ist meist das Gegenteil eines Qualitätssiegels. Dass es aber Ausnahmen von dieser Regel gibt, beweist der Brettspielmarkt: So sind die Brettspiel-Umsetzungen der Fernsehserie "Battlestar Galactica" oder des Egoshooter-Klassikers "Doom" keineswegs lieblos gemolkene Cash-Kühe, sondern aufwändig entwickelte Übertragungen der bekannten Eigenheiten oder digitalen Spielmechanik der Vorlage. Die beiden genannten Beispiele stammen aus der Produktion des amerikanischen Spieleverlags Fantasy Flight Games, in Deutschland vertreibt die meisten von ihnen der Heidelberger Spieleverlag. Dies gilt auch für die analogen Varianten der Blizzard-Kassenschlager Starcraft und World of Warcraft.

Dabei erscheint es auf den ersten Blick bei einem Strategiespiel wie "Starcraft" noch einigermaßen naheliegend, eine analoge Variante zu entwickeln. Schach gibt den Urvater, "Risiko" den großen Klassiker, und Hunderte mehr oder weniger komplexer Varianten davon, von "Stratego" bis zu "Axis and Allies" bilden das Mittelfeld. Die Herausfordung in diesem Fall war es, das Echtzeit-Konzept des Computerspiels in ein zwangsläufig rundenweise gespieltes Brettspiel zu übertragen. Ein "Risiko" mit Protoss, Terrans und Zerg wäre die leichteste Lösung gewesen. Stattdessen galt es für die Designer Corey Konieczka und Christian T. Petersen, die Eigenheiten der Vorlage zu übertragen, die Blizzards Strategiespiel zum Klassiker machen und es sogar für den professionellen Wettkampfbetrieb geeignet machen. Im Computer ist dafür - neben einwandfreiem Balancing - vor allem das Konzept verantwortlich, Makro- mit Mikromanagement des Schlachtfeldgeschehens verbinden zu müssen: Nicht nur muss der Spieler seine Basis auf- und ausbauen, darin eine Armee rekrutieren und diese gegen den Feind ins Feld schicken, er kann sich mit geschickten Einzelbefehlen wie einer exakten Aufstellung oder dem klugen Auslösen verschiedener Spezialfertigkeiten große Vorteile erarbeiten. Dabei erlaubt das Spiel auf Amateurniveau durchaus das Vernachlässigen des einen oder anderen Aspekts.

Starcraft

"Starcraft: Das Brettspiel" schließlich setzt nicht nur diesen Komplex um, sondern versucht sich sogar daran, Schwierigkeiten und Vorteile eines Echtzeit-Spiels in sein rundenbasiertes System zu übertragen. Das Mittel der Wahl hierfür ist das verdeckte Ausspielen von Befehlsmarkern und Karten. So hat jeder Spieler pro Spielrunde vier Befehle der Varianten "Mobilisierung", "Bau" und "Technologie" zur Verfügung, die nacheinander einzeln auf die betreffenden Planeten - verdeckt - gelegt werden. Hat jeder Spieler seine vier Befehle gelegt, werden sie von oben nach unten ausgeführt - wer also auf einen Planeten zuletzt einen Baubefehl gelegt hat, darf nun zuerst Einheiten rekrutieren, ehe der Angriff mit dem darunter liegenden Mobilisierungsbefehl des Gegners erfolgt. Wer für diesen Last-Minute-Baubefehl aber noch Arbeiter zu möglicherweise umkämpften Ressourcenfeldern schickt, riskiert, diese zum Ende der Runde zu verlieren. Während diese Gleichzeitigkeit in der grundsätzlichen Strategieplanung also beispielsweise das Kommen-Sehen der gegnerischen Truppen abbildet, ermöglicht das Echtzeit-Äquivalent in den Kampfregeln gleichzeitig den Fokus auf Mikro- oder Makromanagement.

Starcraft

Dazu gilt grundsätzlich, dass die den Pixelvorbildern nachempfundenen Plastikfiguren der verschiedenen Einheiten für sich allein keinen Kampfwert besitzen, sondern diesen erst über eine zusätzlich auszuspielende Karte erhalten. Passt diese Karte zur dargestellten Einheit, so erhält diese ihren vollen Kampfwert, tut sie das nicht, so ist auf jeder Karte ein deutlich schwächerer Ersatzwert vermerkt. Spezialfertigkeiten der Einheiten werden in Form von Zusatzkarten aktiviert, die - ebenso wie die Einheitenkarten selbst - von beiden Spielern verdeckt ausgespielt und danach gleichzeitig aufgedeckt werden. Sogar der "Starcraft"-immanente Vorteil des Angreifers - Einheiten sterben im Computerspiel schnell, da kann der erste überraschende Mausklick bereits kampfentscheidend sein - bildet sich im Brettspiel ab, indem der Angreifer die Gefechtspaarungen bestimmen darf.

"Töte zehn Murlocs und bringe mir ihre Flossen als Trophäe!"

Einem gänzlich anderen Genre entstammt "World of Warcraft" - sowohl die Vorlage als auch die Brettspiel-Umsetzung. Wesentlich mehr als bei "Starcraft" wird in dieser Rollenspielumsetzung - also die Übertragung der PC-Umsetzung eines Pen&Paper-Spielprinzips zurück auf das analoge Medium des Brettspiels - deutlich, dass die Spieler die Aufgabe des Computers als Spielleiter selbst ausüben müssen. Während der Computer in "Starcraft" also kaum mehr tut, als die Regeln zu verwalten und ihre Einhaltung zu überwachen, gibt er in "World of Warcraft" auch die Spielwelt mit ihren Aufgaben vor.

World of Warcraft

Im Brettspiel übernimmt diese Funktion ein System zufällig gezogener Spielkarten, auf denen Aufträge samt Belohnungen und auf dem Spielbrett erscheinende Gegner vermerkt sind. Dabei entwickeln sich die Möglichkeiten für die beiden gegeneinander antretenden Teams - "World of Warcraft: Das Brettspiel" wird ungeachtet der Spielerzahl immer als Teamspiel (Horde und Allianz) ausgetragen - weitgehend unabhängig voneinander, lediglich neutrale Monster stellen Hindernisse für beide Parteien dar. Jeder Einzelcharakter verwaltet außerdem einen Bogen mit verschiedenen Ausrüstungs- und Fähigkeitskarten, deren Werte die zahlreichen Kämpfe beeinflussen. Einflussreich ist aber auch die Wahl der Charakterklasse, in der sich die bekannten Mechaniken und Eigenheiten des Online-Spiels überraschend gut wiederfinden: So ist der Magier auch hier noch die typische glass cannon, Krieger können gut einstecken, Priester heilen die Gefährten aus der zweiten Reihe und ein Druide kann alle genannten Rollen ausfüllen, wenn sich der Spieler nur ausreichend spezialisiert. Hat man in dieser oder ähnlicher Aufstellung die Erfahrungsstufe erreicht und ausreichen Ausrüstung angesammelt, zieht man schließlich entweder gegen einen vom PC bekannten Endgegner (Lord Kazzak, Nefarian und Kel'Thuzad stehen zur Auswahl) in die Schlacht, oder fordert die gegnerische Partei zum "PvP-Kampf".

World of Warcraft

Während also das Rahmenspiel in erster Linie den Weg ins endgame der Vorlage nachzeichnet - inklusive der etwas ermüdenden wiederholten Versuche, endlich dank Kartenglück brauchbare Ausrüstung zu finden -, verdient das vielschichtige Kampfsystem eine besondere Erwähnung: Für jede Kampfaktion wirft der Spieler eine bestimmte Anzahl verschiedenfarbiger achtseitiger Würfel. Dabei repräsentieren blaue Würfel den Fern- und grüne den Nahkampf sowie die Waffenparade, während rote Rüstung und Schutz bieten. Die jeweilige Anzahl der Würfel ergibt sich aus den eingesetzten Fähigkeiten und Gegenständen, je nach Gegner bestimmt sich auch ein Schwellenwert, ab dem ein einzelner Wurf einen Erfolg zeigt. Auf dem Kampffeld in der Ecke des Spielbretts wird nun für jeden blauen Würfelerfolg ein Schadensmarker in das entsprechende Feld gelegt.

Übersteigt deren Anzahl bereits die Lebenspunkte des Gegners, so ist der Kampf ohne Gegentreffer beendet. Für jeden grünen Erfolg kommt ein Schadensmarker, für jeden roten Erfolg ein Rüstungsmarker in das Verteidigungsfeld. Nun wird vom Schaden des Gegners die Anzahl der Marker im Verteidigungsfeld abgezogen, ehe der Spielercharakter selbst verletzt wird. Anschließend wandern die Schadensmarker aus dem Verteidigungsfeld zu den Markern aus den blauen Erfolgen und es wird erneut überprüft, ob der Kampf beendet ist oder in eine nächste Runde geht. Aus der PC-Vorlage bekannte "Damage over Time"-Effekte werden über das separate "Blutschaden"-Feld ebenfalls erst nach den Gegentreffern verrechnet.

Analoge Buchhalterei, noch ohne Handy-App

So einleuchtend und simpel die Auswertung der Kämpfe erfolgen kann, so unübersichtlich kann aber auch gerade im späteren Spiel die Zusammenstellung der Würfel werden. Überhaupt grenzt die Verwaltung des Geldes und der verschiedenen Gegenstände, der Lebens- und Mana-Punkte und der vielfachen Spezialisierungen und Fähigkeiten gerade beim "World of Warcraft"-Brettspiel an Buchhalterei. In Verbindung mit dem recht repetitiven Rahmen ergibt sich ein wenig dynamisches Spielerlebnis, das - gerade in den ersten Partien - durch holprige Regelanwendung noch weiter gebremst wird. Obwohl das Kampfsystem also bemerkenswert simpel und kurzweilig das Computerspiel überträgt, verstolpert sich der Rest des Spiels in der Abbildung der ohnehin nicht unbedingt reizvollsten Aspekte des Vorbildes.

World of Warcraft

Ganz anders "Starcraft": Zwar sind die Regeln komplex und in den ersten Spielen bestimmt noch ein Hemmnis, die sich ergebende Spieldynamik ist aber gewaltig. So ist jeder Spieler ständig unter Aktionsdruck, da - wie auch schon in der PC-Vorlage - eine kurze Zeit ungestörtes Bauen und Technologie-Erforschen ausreichen, um eine kaum besiegbare Armee aufzustellen. Überhaupt sind die Runden auf Grund ihrer Anzahl - eine durchschnittliche Partie dürfte bereits nach acht bis zehn Durchgängen beendet sein - eine zu wertvolle Ressource, um auch nur eine einzige verschwenden zu können. Somit kann selbst ein vermeintlich besiegter Spieler das Ruder noch kurz vor Schluss herumreißen - wobei das strategische Geschick bei der Planung der vier Rundenbefehle und der Auswahl der richtigen Einheitentypen und Technologien um ein Vielfaches mehr Einfluss ausübt als die vernachlässigbare Glückskomponente beim Ziehen der Kampfkarten.

World of Warcraf

So bietet also "Starcraft" als Brettspiel auch ohne die dahinter stehende Lizenz eine herausragende Spielmechanik. "World of Warcraft" vom gleichen Designer-Duo kann sich jedoch nicht ganz des Eindrucks erwehren, mit fan-pleasing in Form von Plastik-Murlocs und -Moonkins über seine spielmechanischen Schwächen hinwegtäuschen zu wollen. Auf den Computer als Spielleiter kann dieses marginale Rollenspielsystem wohl nicht verzichten. Pen&Paper-Spieler verwalten zwar schon seit Jahrzehnten wesentlich komplexere Systeme, aber ironischerweise wünschen sich auch unter diesen immer mehr digitale Tools und Handy-Apps, die ihnen die Buchhalterei abnehmen.

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