Eher drei bis vier Grad

Seite 2: Ozean wärmer

Das könnte eventuell noch schwieriger werden, als bisher gedacht. Eine neue Analyse der Temperaturen der Weltmeere legt nahe, dass sie sich um 0,1 Grad Celsius stärker gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmt haben, als man dies bisher annahm. Das berichtet die Internetplattform Carbon Brief, die sich auf Nachrichten rund um Klimawissenschaften sowie Klima- und Energiepolitik spezialisiert hat.

Oder mit anderen Worten: Die globale Erwärmung ist bereits etwas weiter fortgeschritten, als man es wahrhaben wollte. Damit wäre die verbleibende Menge an Treibhausgasen wie Kohlendioxid, die noch in die Atmosphäre geblasen werden kann, bis 1,5 Grad Celsius globale Erwärmung erreicht sind, geringer als bisher angenommen.

Nach Berechnungen von Carbon Brief blieben der Menschheit beim derzeitigen Emissionsniveau noch sechs bis zehn Jahre statt neun bis 13, wie bisher kalkuliert.

Das ist das Ergebnis eines verbesserten Datensatzes der Oberflächentemperaturen der Meere, den der britische Wetterdienst vorgelegt hat. Die Plattform zitiert allerdings auch Wissenschaftler, die davor warnen, zu viel in den verbesserten Datensatz hineinzuinterpretieren.

Die Risikoabschätzungen, die zu Formulierung des 1,5-Grad-Ziels führten, würden nicht durch verbesserte historische Datensätze beeinflusst. Sie bezögen sich vielmehr auf Veränderungen relativ zum gegenwärtigen Zustand des Klimasystems.

So oder so ist die Zeit knapp und der Budget-Ansatz ein anschauliches Maß, das die Dringlichkeit verdeutlicht. Er beschreibt, wieviel Kohlendioxid noch emittiert werden darf, wenn die Erwärmung gemäß der Pariser Ziele (deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau und nach Möglichkeit auf nicht mehr als 1,5 Grad Celsius) begrenzt werden soll.

Bitte keine Zahlen

Andere können sich unter den Zahlen jedoch nichts vorstellen, wie etwa die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) auf die Frage eines Journalisten. Oder sie nennen derlei Berechnungen abwertend "klimabudgetäres Klein-Klein", in dem man sich nicht verlieren dürfe, wie der gerade aus der Unionsfraktion und Partei hinauskomplimentierte CSU-Abgeordnete Georg Nüßlein behauptet, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ermittelt.

Nüßlein vertrat die Ansicht, dass es für den Weg zur Klimaneutralität statt der von den Wissenschaftlern des Umweltrates der Bundesregierung vorgeschlagenen Zielmarken des Emissionsbudgets "mehr Markt und Wettbewerb" braucht. Wie er sich Wettbewerb vorstellt, scheint er ja zwischenzeitlich demonstriert zu haben.

Auch der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet scheint nicht nur im Maskengeschäft seine ganz eigenen Vorstellungen von Wettbewerb zu haben. Seine schwarz-gelbe Landeskoalition bereitet derzeit neue Abstandsregeln für Windkraftanlagen vor.

Selbst zu kleinsten Siedlungen außerhalb von Dörfern soll noch ein Mindestabstand von 1.000 Metern gelten. Der Bund für Umwelt und Naturschutz sieht darin den Versuch, Nordrhein-Westfalen zur Verbotszone für Windkraft zu machen. Nur noch auf 0,22 Prozent der Landesfläche sei unter derlei Bedingungen ein weiterer Ausbau möglich, weshalb der Verband Unterschriften unter eine Petition sammelt.

Der BUND verweist darauf, dass das Kohlekraftwerk Datteln in nur 400 Meter Abstand zu den nächsten Wohnhäusern errichtet wurde und dass die Tagebaugruben der Braunkohle bis auf 100 Meter an Dörfer heranrückten. Man habe daher Klage gegen die Änderung des Landesentwicklungsplanes eingereicht, in dem die Abstandsregelung für Windkraftanlagen fixiert werden soll.

Grüner hält nichts von Klimaschutz

So sieht also das Personal aus, mit dem die Grünen gerne nach der Bundestagswahl im Bund koalieren wollen. Ob das funktionieren kann? Für den grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist das keine offene Frage. Er wirbt offensiv dafür, sein Schwaben-Modell nach Berlin zu exportieren.

Da wundert es denn auch nicht weiter, dass er verkündet, regionaler Klimaschutz lohne sich nicht wirklich. Man habe "andere Aufgaben als radikal Klimaschutz zu machen. Der Effekt ist global zu gering", beschied er kürzlich einer Journalistin, die ihn nach dem Klimawandel gefragt hatte. Dieser sei ja, wie sie meinte, "eigentlich ein Kernthema der Grünen".

Am kommenden Sonntag werden die Wählerinnen und Wähler im Südwesten über diese Politik abstimmen. Meinungsumfragen zeigen die CDU im Ländle auf einem historischen Tiefststand und die Grünen mit 35 Prozent auf dem Weg zur Volkspartei.

Allerdings wird nicht nach den Wahlabsichten für die neugegründete Klimaliste gefragt, die den Grünen mit "echter grüner Politik" auf dem Gebiet ihres "Kernthemas" Konkurrenz machen will. Wir dürfen gespannt sein, ob sie den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafft und welche Konstellationen sich daraus ergeben.