Ehrgeizige Pläne: Wie eine Gesellschaft überspannt

Wenn auch in der Freizeit Vollbeschäftigung angesagt ist. Was motiviert uns zum Weitermachen? Ehrgeiz und Leistungsgesellschaft. (Teil 2 und Schluss)

Im Moment dreht sich ja alles darum, dass jeder eine kleine Ichgesellschaft ist, die sich selbst rund um die Uhr als möglichst großartig präsentiert und nebenbei die Konzerne am Laufen hält. Dass es auch schön sein kann, einmal ohne Selfie aus dem Wald zu kommen (da wären wir wieder beim Spaziergang), das hat doch nichts mit Bequemlichkeit zu tun, sondern eher mit Autonomie.

Autonomie sehen aber wiederum die Konzerne nicht gerne. Die möchten gerne weiter mit Selfies gefüttert werden, damit sie uns dann einreden können, was wir zum nächsten noch perfekteren Selfie noch alles kaufen müssen.

Andrea Stift-Laube im Gespräch mit Telepolis

Sich überall, an vielen Stellen gleichzeitig zu zeigen, Präsenz anzunehmen, sich deutlich als optimale Lösung zu präsentieren, garantiert einerseits eine andauernde Leistungsbereitschaft, andererseits ein Belohnungssystem.

Eine Nutznießgesellschaft fragt gerne nach dem Nutzen einer Tätigkeit: Was bringt mir dieser Erwerb, was und wen kann ich mit dieser neuen Sprache erreichen, wie kann ich meine Arbeit und Freizeit besser planen, wie kann ich alles absolut verwerten?

Nichts wird ohne Nutzen, ohne Absicht gemacht. Karrierismus in allen Lebenslagen. Dieses Leistungsstreben verbindet sich jedoch mit einem Spaßfaktor, der auch die immer wichtigere Komponente der Work-Life-Balance miteinbezieht.

Aber das bedeutet, dass auch in der Freizeit die Vollbeschäftigung angestrebt wird: Alle sollen sich selbstoptimieren und alle sollen sich (vernünftig und zugleich spaßig) beschäftigen. No trespassing allowed!

Um welchen Ehrgeiz geht es?

Die starke Individualisierung bringt neue Freiheiten, aber auch Schwierigkeiten mit sich, vor allem, was die ökologischen Konsequenzen angeht. Welchen Ehrgeiz legen die Menschen an den Tag? Ist es der Ehrgeiz, selbst weiterzukommen?

Ist es ein Ehrgeiz, gesamtgesellschaftlich voranzukommen? Und zerfallen diese Artn des Ehrgeizes nicht angesichts einer Atomisierung der Gesellschaft, der Blasenbildung?

Blasenbürger

Die Menschen leben längst nicht mehr in Schichten, sondern in Blasen. Und diese Blasen zerplatzen leicht, wenn sie mit gegensätzlichen oder einfach anderen Weltbildern in Kontakt kommen. Daher halten sich die Blasenbürger am liebsten in ihren Blasen auf, die je nach Geschmack und Gegenwart aus Kaugummi, Seife oder nanotechnologischem Metall bestehen können.

Je härter das Außenmaterial der Blase, desto schwerer platzt sie und die Abschottung in der eigenen Blase gelingt leichter.

Ehrgeiz wäre es nun, sich nach außen zu öffnen und auf die Nachbarblase zuzuschweben. Die eigene Angst vor dem Anderen zu überwinden und die Hand zu reichen, um gemeinsam weiter durch die Wellen zu schwimmen. Im Auf und Ab der Katastrophen nicht unterzugehen.

Andrea Stift-Laube empfiehlt im Interview eine schonungslose Selbstbefragung:

Ehrgeiz per se ist nichts Schlechtes. Er ist ein großer Motivator und hilft uns, Ziele zu definieren und sie vielleicht zu erreichen. Ehrgeiz ist für mich in dem Moment etwas Ungesundes oder Schlechtes, in dem wir uns von der Außenwelt, der Gesellschaft, der Familie oder der Wirtschaft aufs Auge drücken lassen, was wir zu wollen haben.

Mein Rat wäre, sich dementsprechend mal öfters in seinem Tun und Handeln zu hinterfragen: Ist dieses Ziel, das ich da erreichen möchte, immer noch wirklich mein Ziel? Oder glaube ich nur, mehr verdienen zu müssen, weil sich der Nachbar schon wieder ein neues Auto gekauft hat?

Andrea Stift-Laube im Gespräch mit Telepolis