Eigenheim ist Diebstahl
- Eigenheim ist Diebstahl
- Gebt Eigenheimbesitzern die Chance, Fehler zu machen
- Auf einer Seite lesen
Mit der Alternative "Verdichten der Städte statt Eigenheimbau" fordert der Grüne Anton Hofreiter Vernünftiges. Aber ist es das politisch Vernünftige? Eine Kritik
"Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen" – mit diesem fiktiven Slogan auf einem Plakat unterstützte der Künstler Klaus Staeck die Sozialdemokraten im Bundestagswahlkampf 1972. Damals zog die Masche rechter Parteien noch, der harmlosen linken Partei den gleichmacherischen Sozialismus in die Schuhe zu schieben.
Heute sind die Kinder und Kindeskinder jener Arbeiter auf halber Höhe im Tessin angekommen. Nicht Nobelvillen, aber doch immerhin ein Fertigbau-Häuschen mit ausbaufähigem Dachgeschoss unterm Satteldach und Schiebetür zur kleinen Veranda nennen sie ihr eigen. Die Verbindung zum Grün halten die beliebten Steingärten, die von bösen Zungen als "Gärten des Grauens" bezeichnet werden.
Und das Phantom des klassenkämpferischen Sozialismus ist wieder aufgetaucht, nur in komplementärer Farbe. Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Partei, die an der SPD vorbeigezogen ist, mimt zur Ergötzung von CDU und FDP den in der Wolle rot gefärbten Grünen, der auf den kompletten Mittelstand und sein sauer verdientes Bauspar-Geld losgeht. Ob nun Promi-Finca oder das Eigentum des kleinen "Häuslers", Hofreiter prangert den überdurchschnittlichen Verbrauch an Flächen, Baustoffen und Energie beim Bau von Eigenheimen an.
Sich in der Fläche ausbreitend, tragen Flachbauten zur Erhöhung des Verkehrsaufkommens bei. Der Deutsche Wetterdienst weiß zu vermelden, dass jährlich in Deutschland 160 Quadratkilometer Boden neu versiegelt werden. Das entspricht 22.400 Fußballfeldern.
Die Einfamilienhauskonjunkturen schwappen zyklisch zwischen Stadt und Land hin und her. Der jetzige Trend der Suburbanisierung knüpft an die Boomzeiten seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts an. Wenn eine Stadt permanent über ihre Ränder hinauswächst, und die nächstgelegene Stadt tut das ebenfalls, entsteht aus zweimal Suburbia (Vorstadt) die Zwischenstadt, ein Siedlungsbrei mit Streuelementen, die überall und nirgends hin passen.
So spinnen sich die Fäden der Einfamilien- und Reihenhäuser in Richtung von Brachen oder Grünland fort, die in einiger Entfernung von den Kernstädten noch erschwinglich als Bauland zu haben sind. Dieser Prozess der Reihung des Gleichförmigen wird dann auch äußerlich sichtbar.
Sinngemäß sei ein amerikanischer Zeichenfilm-Sketch zitiert:
Do you know the house, that Jack built? It looks just like the house, that James built.
Do you know the house that James built? It looks just like the house, that John built…
Und so weiter, mit einer kleinen temporären Unterbrechung. Einer ist der Glückliche, der am Ende der Reihe sein Grundstück am Wald oder vor der Weide liegen hat. Doch ehe er sich’s versieht, wird schon die nächste Baugrube ausgehoben – sofern die Häuser unterkellert sind.
Auf der anderen Seite des vergänglichen Waldpanoramas fällt der Blick auf den Maschendrahtzaun zum Nachbarn. Hoffentlich ragt kein Zweig, hüben oder drüben, über den Zaun, das würde ein Fall für Stefan Raab. Wenn nur Lebensbaum oder Eibe hoch und dicht genug entlang des Zauns gewachsen sind, erübrigen sich alle Wechselbeziehungen.
Aber zum Glücklichsein fehlt noch etwas. Die Offenheit oder Sichtachse zum Nachbarn muss nun durch ein kleines Guckloch oder einen Spalt in der Friedhofsgrün-Hecke hergestellt werden. Alexander Mitscherlich macht in diesem Milieu die Entstehungsbedingungen von Neurosen aus.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.