Ein Brady-Plan für Griechenland

Auf Dauer kann Europa die Augen jedoch nicht vor der Realität schließen

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Um das Ausmaß der griechischen Verschuldung intuitiv verständlich zu machen, können wir sie mit den lateinamerikanischen Schulden der achtziger Jahre vergleichen. Als die Verschuldungskrise Mexikos im Jahr 1982/83 begann, lagen die kumulierten Verbindlichkeiten bei etwa 80 Mrd. Dollar (197 Mrd. Dollar von 2015).

Die Griechen haben derzeit um die 350 Mrd. Euro Schulden angehäuft. Allerdings ist Mexiko flächenmäßig fünfzehnmal so groß wie Griechenland, hat Erdöl und Mineralien, und seinerzeit gab es etwa achtmal mehr Mexikaner, als es heute Griechen sind. Trotzdem konnte Mexiko den Schuldendienst nicht bedienen und eine partielle Entschuldung wurde schließlich unvermeidlich. Verschuldet hat sich Lateinamerika weil Ende der siebziger Jahre die reellen Zinsen für Dollar-Kredite sogar negativ wurden. Es war billig und einfach Kredite zu nehmen, bis Ronald Reagan an die Regierung kam und durch seine "Reaganomics" die Dollar-Zinsrate zweistellig steigen ließ.

Zu der lateinamerikanischen Entschuldung kam es auf dem "griechischen Weg" der langjährig verschleppten Krise. Nach sechs oder sieben konsekutiven jährlichen Umschuldungen war es erkennbar, dass die lateinamerikanischen Länder ihren Rückstand nicht bezahlen konnten. Der damalige mexikanische Finanzminister reiste deswegen 1989 in die USA und bot den internationalen Banken an, nur 45% der Schulden zu bezahlen (d.h. er bat um eine Entschuldung von 55%). Am Ende einigte sich das Land mit den Kreditoren: Im Rahmen des sogenannten Brady-Plans wurden die alten Schulden gegen "Brady-Bonds" umgetauscht. Der "Haircut" für die beteiligten Banken betrug letzten Endes statt 55% "nur" 35% (andere lateinamerikanische Länder bekamen allerdings 45% Schuldenentlastung).

Deswegen gelten die achtziger Jahren in Lateinamerika als das "verlorene Jahrzehnt". Trotz aller Anstrengungen und Sparmaßnahmen war die Schuldenlast unbezahlbar, bis selbst die USA es begriffen: Der amerikanische Finanzminister höchstpersönlich bahnte dann die partielle Entschuldung an. Im Jahr 2003 konnte Mexiko die letzten Brady-Bonds zurückkaufen und die verringerten Schulden von 1989 tilgen. Der Hauptredner bei der feierlichen Bekanntmachung in Mexiko City war kein anderer als der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler, in seiner Funktion als Chef des Internationalen Währungsfonds. Es gibt also deutsche Politiker, die sich wohl mit Entschuldungen auskennen.

Das Problem der Griechen ist nur, dass die Schulden seit dem Ausbruch der Krise weitgehend "europäisiert" worden sind. Durch die Instrumente der Europäischen Zentralbank und des europäischen "Bailout Fund" wurden die Schulden verstaatlicht. Während die europäischen Banken weitestgehend aus dem Schneider sind und nur noch einige Prozente der griechischen Schulden besitzen, stellen die Gelder der EZB, des IWF und der Länder der Eurozone fast 75% der gesamten Schulden dar. Deutschland und Frankreich allein halten 100 Mrd. der 350 Mrd. Schulden.

Man würde naiverweise denken, die Griechen hätten bessere Chancen, sich mit ihren Brüdern und Schwestern aus Europa zu einigen, als Mexiko damals mit den internationalen blutsaugenden Banken. Schließlich war es eine politische Entscheidung, Griechenland in die Eurozone zu holen, obwohl Finanzexperten seinerzeit davor gewarnt hatten. Der deutsche Finanzminister will aber von Entschuldungen partout nichts wissen. Eine Entschuldung Griechenlands könnte die preußische Disziplin in der Eurozone konterkarieren. Wo kämen wir denn hin, wenn die Leute ihre Schulden nicht bezahlen?

So wenig Phantasie erinnert mich an Kants absolutistische Ethik, bei der es überhaupt keine Lüge geben darf. Auch nicht eine Notlüge, wie z.B. wenn ein bewaffneter Mörder an der Tür fragt, ob jemand sich im Keller versteckt hält. Lieber soll die Welt untergehen als in Stein gemeißelte kategorische Imperative zu übergehen. Schäuble stimmt Kant sicherlich zu:

Weil Wahrhaftigkeit eine Pflicht ist, die als die Basis aller auf Vertrag zu gründenden Pflichten angesehen werden muss, deren Gesetz, wenn man ihr auch nur die geringste Ausnahme einräumt, schwankend und unnütz gemacht wird.

Immanuel Kant