Ein Brady-Plan für Griechenland
Seite 2: Wenn ein Land auseinanderbricht
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Die ökonomischen und sozialen Indikatoren aus Griechenland zeigen eine verheerende Situation. Die Arbeitslosigkeit hält sich bei 25%, bei den Jüngeren sogar um 50%. Die gebildeten Griechen verlassen in Scharen das Land: 160.000 bis 180.000 sollen es in den letzten vier Jahren gewesen sein, wobei die meisten davon ein Universitätszeugnis besitzen. Das entspricht 1,5% der Bevölkerung! Sie gehen und verstärken die Ökonomien von Griechenlands Kreditoren. Die Mobilität in der EU macht es möglich: Die reichen Ländern werden noch reicher an sogenanntem Humankapital.
Die Kapitalflucht ist enorm. Lagen die Bankeneinlagen bei etwa 230 Mrd. Euro bis 2009, sind sie heute auf unter 140 Mrd. geschrumpft. Wenn der Syriza-Regierung ein dicker Fehler angekreidet werden kann, dann ist es der, die Kapitalverkehrskontrollen zu spät eingeleitet zu haben (obwohl der größte Teil der Kapitalflucht bereits vor Regierungsantritt stattgefunden hatte).
Teil der Eurozone zu sein, stellt die Regierung vor eine sehr schwierige Situation. Wären Drachmen die offizielle Währung, wäre es nicht so einfach, das Geld aus dem Land zu schaffen, da man es zuerst umtauschen müsste. Aber Euros kann man überall in Europa parken. Im Land selbst werden viele Geschäfte bar abgewickelt und so entgehen dem Staat weitere Steuergelder. Diese Parallelökonomie kann die Regierung daran hindern, einige der angekündigten Reformen umzusetzen.
Außerdem ist das Bruttosozialprodukt seit dem Ausbruch der Krise auf 75% seines Höchststandes zurückgegangen. Das Realeinkommen der ärmsten Bevölkerungsschichten ist auf den Stand der siebziger Jahre zurückgefallen, d.h. die Zeit bevor Griechenland überhaupt Mitglied der Europäischen Union wurde.
Und obwohl das Land Tausende von Beamten entlassen hat, reichen die Einsparungen im öffentlichen Dienst bei weitem nichts aus, um das Staatsdefizit in ein Plus zu verwandeln, wie es die Troika verlangt. Wie sollen die Staatseinnahmen erhöht werden, wenn der Wirtschaft der Boden unter den Füssen wegbricht? Seit dem Anfang der Krise sind eine Million Arbeitsplätze vernichtet worden! In einem Land mit 11 Millionen Einwohner!
Europäische Solidarität
Europa hat einen langen Weg hinter sich. Deutsche Politiker haben immer wieder die Litanei der Eingliederung Deutschlands in Europa angestimmt. Die Schaffung des Euro war auch eine politische Entscheidung und die Gefahren einer Union von ökonomisch sehr unterschiedlichen Ländern waren von Anfang an erkennbar. Paul Krugman hat bei der Einführung des Euro bezweifelt, dass alle Euro-Länder sich dauerhaft auf eine gemeinsame Währungspolitik einigen könnten.
Nun sind wir alle da. Trotz aller Stimmungsmache seitens der CDU und CSU gegen eine mögliche Entschuldung Griechenlands führt kein Weg daran vorbei. Frankreich und Deutschland bleibt nichts anderes übrig, als die Verantwortung dafür zu übernehmen, was sie angezettelt haben.
Ganz unschuldig an den höheren griechischen Staatsausgaben sind Deutschland und Frankreich außerdem auch nicht: zwischen 2010 und 2014 (d.h. mitten in der Krise) kaufte das Land Waffen aus Deutschland für 551 Millionen Dollar und französische Waffen für 136 Millionen Dollar! Man hätte naiv gedacht, das wären Posten, bei denen beide Länder den Griechen empfehlen würden, Geld zu sparen. Jedoch schreiben die NATO-Vorschriften für Militärausgaben Griechenland vor, dass das Land weiterhin über 2% vom BSP für Waffen ausgeben muss. Nicht dass die Russen nach der Krim sich plötzlich Kreta einverleiben.
Ich habe die mexikanische Schuldenkrise erlebt und deswegen weiß ich, wie unverantwortlich und dreist Politiker in den verschuldeten Ländern sind. Es ist einfacher, auf Pump zu leben und die Party in Gang zu halten, als strukturelle Maßnahmen zu ergreifen. Politiker denken nur in Zeitrahmen von Wahlperioden. Wenn die internationalen Banken dies wissen, dulden und trotzdem Geld anbieten, dann sind sowohl Kreditnehmer als auch Kreditgeber am eventuellen Verhängnis schuld. Der Großteil der Bevölkerung hat aber solche Entscheidungen nicht getroffen, auch wenn manche Gruppen vorübergehend von höheren staatlichen Ausgaben profitiert hätten.
Auf Dauer kann Europa die Augen jedoch nicht vor der Realität schließen. Wenn Schulden entwertet sind, sind sie es, und es gibt sogar erprobte Marktmechanismen, um mit diesen Verlusten umzugehen. So ein Marktmechanismus war die partielle Schuldenstreichung im Brady-Plan. Finanzminister Schäuble kann bei Horst Köhler nachfragen.
Raúl Rojas ist Professor für Künstliche Intelligenz an der FU Berlin und leitet die Arbeitsgruppe Intelligente Systeme und Robotik. 2014 wurde er vom Deutschen Hochschulverband (DHV) mit dem Titel "Hochschullehrer des Jahres" ausgezeichnet. Rojas, 1955 in Mexico City geboren, ist nicht nur Informatiker, sondern promovierte 1988 am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft bei Elmar Altvater mit der Doktorarbeit "Zur Entstehungsgeschichte der Kritik der Politischen Ökonomie".