Ein Comic für die neue Depression
In seinem online-comic "Get Your War On" läßt der New Yorker Autor David Rees die gequälte Seele des korporativen Amerikas zu Wort kommen
Der Anschlag vom 11. September hat nicht nur die höchsten Bürotürme und mit ihnen das stärkste Symbol des US-Kapitalismus zerstört. Die Terroristen bombten ein Vakuum in die Seele Amerikas, das nur mit der Endphase des Vietnam Krieges und dem Watergate-Skandals zu vergleichen ist.
Das Selbstbewusstsein, ohnehin durch das Platzen der Internet-Blase und dem daraus erfolgten Crash auf Raten der New Economy schwer angeschlagen, ist am Boden. Nun hat der 29jährige Autor David Rees aus New York einen Comic gestaltet, indem sich der Frust verbal entlädt. Interessierte Leidensgenossen fand er im nu. Obwohl Get Your War On "nur" im Internet erscheint, brachte es der zornige Strip durch e-mail - Propaganda bereits auf mehr als fünf Millionen hits in den ersten zwei Wochen seines Bestehens.
"Oh yeah! Operation: Enduring Freedom is in the house" verlautet ein desillusionierter Büroangestellter über Telephon. "Oh yeah! Operation: Enduring Freedom is in the motherfucking house" erwidert sein Kollege mit überschäumender Galle. Auf die Frage, was er nun zu Gott sagen würde, wenn er es könnte, meint der Angestellte abschließend: "Die monotheistische Religion hat schon immer das beste aus uns Menschen herausgeholt; vielen Dank für die Idee eines rachlüstigen übernatürlichen Wesens, das die Leute im Leben nach dem Tod belohnt! Diese Scheiße macht verdammt viel Sinn!"
Die Unterhaltungen über den Krieg gegen den Terrorismus setzen sich in einer Serie von Comic Strips fort, die visuell dem extrem banalen repräsentativen Stil eines Handbuchs für Büroangestellte entnommen scheint. David Rees hatte vorher zwei Comic Strips entworfen, in denen er das lyrische Bravado von Freestyle Hip Hop in den seltsame Kontext von Karate-Amateuren und Büroangestellten stellte. Dann entschloss er sich vor vier Wochen, sich eines ernsthafteren Themas anzunehmen.
"Ich war sehr enttäuscht, wie die Popkultur mit dieser Situation nach dem 11. September umgeht, insbesondere wie dies Humoristen tun", meint Rees. "Manches war wirklich lustig oder auch anrührend. Doch nichts kam der schrecklichen Situation wirklich nahe, so wie ich sie empfinde. Dasselbe gilt für die vielen "lustigen" Webseiten, die ich studierte. Viele Leute haben übereilt die Ironie für tot erklärt. Alle wollten auf einmal furchtbar ernst werden. Ich hatte wirklich den Eindruck, dass man der Popkultur das Ausdruckspotential für Schmerz absprach."
Eines nachts saß ich am I-Mac meiner Freundin und arbeitete an meiner Webseite und beschloss einfach, ein paar Comics zur aktuellen Situation zu machen. Keinesfalls wollte ich damit eine bestimmte politische Agenda unterstützen. ich denke, was viele Leute momentan frustet ist die düstere Tatsache, dass man nicht weiß, worauf man hoffen soll. "Get Your War On" sind für mich sehr persönliche Comics, die meine eigene Stimmungslage reflektieren. Und ich habe ganz schön gesoffen, als ich sie schuf. An den Abenden floss der Jim Beam in Strömen, weil ich die Tage in einem Büro in Midtown Manhattan gearbeitet hatte, während draußen die Polizeisirenen häulten und wir drinnen die News auf CNN.com in uns hineinfraßen. Das ist so ziemlich das schlechteste, was man seiner Seele antun kann.
Rees sieht die Popularität des Comic Strips und die darausfolgenden Jobangebote von alternativen US-Zeitschriften mit gemischten Gefühlen:
Als das Comic das erste Mal von einem riesigen Schub von Leuten gelesen wurden, war ich schockiert. Was als sehr persönliches e-mail Projekt begann, das ich an zehn enge Freunde schickte, ging auf einmal los wie eine Rakete. Doch dann bekam ich sehr begeisterte e-mails, in denen mir viele Leute sagten, dass sie mit "Get Your War On" zum ersten Mal einen Comic gefunden haben, der die kalte verzweifelte Verwirrung ausdrückt, die sie fühlen. Das machte mich sehr glücklich. Auf der anderen dachte ich mir: "Das ist toll, trotzdem könnte ich in einer Woche tot sein". Und: "Ja gut, aber was mache ich jetzt? Auf die nächste Gräueltat warten, damit ich einen Comic daraus machen kann?
Die Stimmung unter den Angestellten in den urbanen Großraum-Büros, ohnehin durch das Platzen der Internet-Blase, der Nichtrealisierung von Aktienoptionen, und der grassierenden Rezession stark angeschlagen, ist seit dem Terroranschlag vom 11. September unter Null. Die Durchschlagskraft von "Get Your War On" liegt in der gnadenlosen Ehrlichkeit seiner Dialoge begründet. Es sind Dialoge, die dadurch trösten, dass ihr Autor sich genauso schlecht fühlt wie seine Leser und auch keinen Ausweg aus der allgemeinen Verunsicherung weiß.
Wie bei jeder guten desperaten Unterhaltung steigern sich die Gesprächsteilnehmer aus "Get Your War On" in groteske Verzweiflungsszenarien, die die eigentliche Situation sardonisch überspitzen und damit eine kurzfristige Entspannung der kollektiven Verzweiflung erreichen.
"Ich zähle nur auf die Tage, bis ich das Radio anmache und höre, dass das nukleare Arsenal von Pakistan in die falschen Hände gefallen ist. Was für eine angenehm leichte Zeit wir dann haben!".
Ich weiß", meint sein Kumpel aus der anderen Arbeitszelle. "Ich fühle mich dann wahrscheinlich so angenehm leicht, dass ich mich nur noch auf's Sofa lege und chille und ein paar nette Pillen einwerfe! Oder vielleicht lasse ich mir ein schönes warmes, angenehmes Bad ein, und mach mir's mit einem Rasiermesser-artigen Gegenstand gemütlich - Du weißt schon, wie einem Rasiermesser! ICH WÄRE SO DURCHGEKNALLT, DASS ICH SELBSTMORD BEGEHEN WÜRDE?
"Ich sagte es bereits und ich sage es noch mal - Amerika sollte sich ergeben!" meint sein Kollege.
Es wäre mir eine Ehre in dem von den Taliban regierten Territorium des östlichen Missouri zu leben! Gebt mir nur meine Steine zum werfen, und ich bin zufrieden.
Wer weiß, wie lange Rees den Comic noch weiterführen wird. Das US-Bombardement scheint zu wirken, die Taliban fliehen aus Kabul in die Berge.
Auf keinen Fall will ich von einem Redakteur einer Zeitschrift abhängig sein, der mir sagt, dass er einen Comic über die Stimmungslage nach dem neusten Massaker braucht. Am lustigsten ist es doch, wenn man selbst nicht anders kann, als die Arbeit zu tun. Der Comic ist für mich nur wertvoll, wenn ich darin ausdrücken kann, wie schlecht ich mich fühle.