"Ein Europa, das schützt"
Sebastian Kurz stellt dem Europaparlament sein Programm für den österreichischen Ratsvorsitz vor und telefoniert mit Horst Seehofer
Heute Vormittag stellte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz dem Europaparlament das Programm für den österreichischen EU-Ratsvorsitz vor, der am 1. Juli begann. Überraschungen gab es dabei keine. Die Forderungen, die Kurz vorbrachte, stehen bereits seit langem auf seiner Agenda (vgl. EU-Reform: Juncker vs. Kurz): Beendigen des Kontrollverlusts in der Migrationspolitik, Subsidiarität statt "Regulierungswut, die man meist zu Recht beklagt", Digitalisierung, und eine Neuordung der Beziehungen zum Balkan einschließlich der Türkei. Leitmotiv der österreichischen Präsidentschaft soll seinen Worten nach "ein Europa, das schützt" sein.
Nach Kurz kam eine Vielzahl von EU-Parlamentariern aus verschiedenen Fraktionen und Ländern zu Wort und brachte der Reihe nach in Ein- bis Zwei-Minuten-Statements ebenso sattsam bekannte Positionen vor. Das, was dabei herauskam, unterschied sich wenig von der als "Anhörung" deklarierten Selbstdarstellung beim Besuch des Facebook-Gründers Marc Zuckerberg im Juni (vgl. Zuckerberg weicht Fragen nach Daten von Nichtnutzern aus). In seiner Sammelantwort auf die Stellungnahmen wünschte sich Kurz eine gute Zusammenarbeit mit dem Parlament und schilderte ein Jugenderlebnis mit einem arroganten Deutschen, der Ungarn und Rumänien herabwürdigte.
Juncker mit Schnitzelmetapher
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte bereits gestern Abend einen Kommentar zur Übernahme der Ratspräsidentschaft durch Österreich abgegeben, der in Sozialen Medien erneut Zweifel an seiner Nüchternheit aufkommen ließ: Er wünsche, so der Luxemburger, der österreichischen Regierung "guten Schlaf und hellwach sein" und meine, es sei nicht genug, wenn auf dem "Kompromissteller" nur "Wiener Schnitzel" lägen, obwohl er "ein großer Fan von Wiener Schnitzel" sei und "überall laut danach schreie".
Vorwürfe, seine Kommission habe die Migrationskrise nicht bewältigt, wies er zurück. Schließlich habe die Kommission bereits 2008 und dann noch einmal 2013 einen "integralen europäischen Außengrenzschutz vorgeschlagen", was damals von den Regierungen der Mitgliedsländer zurückgewiesen worden sei, weil sie keine Kompetenzen abgeben wollten. Heute im Parlament griff der EU-Kommissionspräsident vor allem die Abgeordnete Ulrike Trebesius von Bernd Luckes Liberal-Konservativen Reformern (LKR) an. Ihr warf er vor, die Aussage, er arbeite (wie Martin Schulz) auf Vereinigte Staaten von Europa hin, sei unwahr.
Telefonat mit Seehofer
Vor seiner Ansprache im EU-Parlament hatte Kurz mit dem deutschen Innenminister und CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer telefoniert. Danach twitterte er:
Nach der Einigung von CDU und CSU erwarten wir uns jetzt eine rasche Klärung der deutschen Position in der Bundesregierung. Österreich ist für jegliches Szenario vorbereitet und wir werden entsprechend reagieren, insbesondere an unserer Südgrenze. Was die deutschen Überlegungen aber einmal mehr beweisen, ist, wie wichtig ein gemeinsamer europäischer Außengrenzschutz ist. Darauf muss der Fokus in Zukunft liegen, nur dann wird ein Europa ohne Grenzen nach innen möglich sein.
In der Nacht vorher hatte sich Seehofer mit der deutschen Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel auf einen migrationspolitischen Kompromiss geeinigt, der vorsieht, dass Zurückweisungen möglich sind, wenn es dafür bilateralen Abkommen gibt (wie sie den Informationen des Getriebenen-Autors Robin Alexander nach bereits seit den 1950er Jahren existieren).
Neben dieser Möglichkeit zur Zurückweisung soll das Problem der illegalen Migration mit "grenznahen Transitzentren" und "Abschiebungen im Flughafenverfahren" angegangen werden. Dem CSU-Innenpolitiksprecher Volker Ullrich nach hat diese Lösung den "Vorteil, dass die Grenzen [ohne Kontrollen] bleiben können, aber aufenthaltsrechtlich ein Ergebnis erzielt wird, als ob direkt an den Grenzen kontrolliert würde":
Die Fiktion der Nichteinreise bedeutet, dass ein Ausländer rechtlich so behandelt wird, als ob der Grenzübertritt noch nicht erfolgt ist, obwohl er sich tatsächlich bereits im Inland befindet. Das ermöglicht Konsequenzen, die an sich nur direkt an der Grenze möglich sind, wie zum Beispiel Zurückweisungen auf der Grundlage nationaler Vorschriften im Aufenthaltsrecht. Auf der Basis der nationalen Souveränität im Einklang mit dem Schengener Grenzkodex kann der Staat definieren, in welchen Bereichen die Fiktion gilt. Zum Beispiel an Flughäfen, Bahnhöfen oder in einem festzulegenden Bereich um die Grenze wie Transitzonen.
Während der Cicero-Salonressortleiter Alexander Kissler in diesem Kompromiss eher einen Sieg Seehofers sieht, den der CSU-Vorsitzende erzielen konnte, weil er (anders als Merkel) "scheinbar bereit [war], seine Karriere zu opfern", glaubt der Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, dass die Schlacht erst begonnen hat, wozu er einen Sigmar-Gabriel-Tweet vom 5. November 2015 zitiert, in dem der damalige Vorsitzende der Sozialdemokraten verlautbart: "Die SPD hat sich durchgesetzt. Transitzonen sind vom Tisch." Wie Gabriels Nachfolgerin Andrea Nahles auf die Einigung zwischen CDU und CSU reagieren wird, ist noch unklar. Viele Social-Media-Nutzer meinen aber, dass die "Show" bis zum 14. Oktober andauern wird - dem Tag, an dem in Bayern Landtagswahlen sind.
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