Ein Film über den 11.9. und seine Folgen
Die Autoren der Doku "Aktenzeichen 11.9. ungelöst" sollen nicht mehr für den WDR arbeiten
Jetzt ist es amtlich: Die Fernseh-Autoren Willy Brunner und Gerhard Wisnewski bekommen vom WDR höchstwahrscheinlich keine Aufträge mehr. Weil ihre letzte Arbeit für den WDR "hinsichtlich der journalistischen Sorgfaltspflicht Mängel aufweist, die zu erheblichen Missinterpretationen in der Öffentlichkeit geführt haben." Außerdem stelle das Verhalten der beiden Filmemacher einen "Vertrauensbruch" dar. Auf dieser Basis ist laut Helfried Spitra, Leiter Kultur und Wissenschaft, eine weitere Zusammenarbeit "nicht mehr vorstellbar."1 Die Autoren wiederum betrachten das Vorgehen des WDR als rufschädigend und erwägen rechtliche Schritte.
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Wisnewski/Brunner-Dokumentation Aktenzeichen 11.9. ungelöst - Lügen und Wahrheiten zum 11. September 2001, die am Freitag, den 20. Juni 2003, um 23.00 Uhr im WDR ausgestrahlt wurde. In dieser Doku stellen die Autoren zum einen die US-amerikanische Vereinigung unansweredquestions.org vor, die das Augenmerk der Öffentlichkeit auf offene Fragen zu den Anschlägen des 11.9. lenken möchte. Zum anderen geht es um das Schicksal jener beiden Passagiermaschinen, die der amerikanischen Regierung zufolge in das Pentagon beziehungsweise in einen Acker bei Shanksville, Pennsylvania, gestürzt sind. Wisnewski und Brunner stellen diese offizielle Version in Frage. Und stützen sich dabei auf die Berichte diverser Augenzeugen. Zum Beispiel auf den Bericht von Ernie Stull, Bürgermeister von Shanksville, der im Film mehrmals sagt, es habe an der Absturzstelle 'kein Flugzeug' (no airplane gegeben. Weil sich das Flugzeug laut Stull 'total zerlegt' habe.
Der aktuellen Stellungnahme des WDR vorausgegangen war eine Serie von Artikeln und Berichten Ende August, in denen Verschwörungstheorien im Allgemeinen sowie die Thesen von Buch-Autoren wie Mathias Bröckers, Andreas Hauß, Andreas von Bülow und Gerhard Wisnewski unter Beschuss gerieten (vgl.Der Countdown läuft). Auch die Dokumentation von Gerhard Wisnewski und Willy Brunner wurde ins Visier genommen. Besonders der Spiegel ging in seiner Titelgeschichte Panoptikum des Absurden vom 8. September 2003 scharf ins Gericht mit den Filmemachern und den Verantwortlichen beim WDR, die zu diesem Zeitpunkt noch hinter Wisnewski und Brunner standen. Wisnewski warfen die Spiegel-Autoren vor, dass er 'Aussagen und Sachverhalte zurechtbiegt und hinzimmert. Dass dies bis an den Rand der Fälschung geht, zeigt sich dort, wo er über den Absturz der United-Airlines-Boeing 757 nahe der Gemeinde Shanksville in Pennsylvania schreibt'. Worauf Wisnewski sowohl in seinem Buch 'Operation 9/11' als auch im Film 'Aktenzeichen 11.9. ungelöst' hinauswolle, sei die These, 'dass es kein Flugzeug gab'. Mitnichten, wie Wisnewski und Brunner in ihrem Offenen Brief an den Spiegel erklären. Weder Flugzeug noch Aufprall würden in ihrem Film verschwiegen. Allerdings sei nicht zweifelsfrei geklärt, ob die Überreste von der entführten Boeing 757 stammen.
Wann genau der Sinneswandel seitens des WDR einsetzte, war vom Sender nicht zu erfahren. In seiner Stellungnahme gegenüber Wisnewski und Brunner schreibt Helfried Spitra, die Behauptung der beiden, "der WDR habe sich die Sicht der 'verleumderischen Spiegel-Titelgeschichte' zu eigen gemacht", sei nicht zutreffend. Ohne sich explizit auf die Shanksville-Passage zu beziehen, bemängelt allerdings auch Spitra, die Autoren hätten "durch gezielte Auswahl aus dem Interviewmaterial einen Argumentationsbogen konstruiert, der unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs so nicht haltbar ist."
Die Autoren W. und B. waren vom WDR mit einem Film über die Szene der Verschwörungstheoretiker in den USA zum 9. September [sic] beauftragt worden. Die dort kursierenden Thesen sollten dargestellt, wenn möglich auch bewertet werden. Leider haben die Autoren diesen Auftrag nicht erfüllt; sie haben sogar am eigentlichen Ziel vorbei gearbeitet. Eine interne Prüfung ergab schnell die Mängel des Film. Die Autoren haben es mit der journalistischen Sorgfaltspflicht nicht allzu genau genommen. Aussagen von Zeugen wurden entstellt wieder gegeben, Zeugen, die der Argumentation des Films widersprochen hätten, erst gar nicht befragt. Dem WDR wurden von den Autoren wichtige Hintergrundinformationen vorenthalten. Der WDR hat schnell reagiert und die Thesen des misslungenen Films zur Diskussion gestellt. Herr W. hat aber auch in dieser Sendung nicht überzeugen können. Stattdessen wurden seine abenteuerlichen Thesen durch Fakten widerlegt, vorgetragen von anerkannten Wissenschaftlern und Experten.
Mail der Presseabteilung des WDR vom 24.10.2003 an Telepolis
Tatsache ist, dass der WDR für den 10. September 2003 - also nur zwei Tage nach Erscheinen der Spiegel-Titelstory - eine Sendung mit dem Titel Täuschung oder Wahrheit? vorbereitet hatte. Darin sollte Gerhard Wisnewski gegenüber Hans Leyendecker - der sich in einem Radiointerview und einem SZ-Artikel vehement gegen "Verschwörungsidioten" und "Verschwörungs-Junkies" gewendet hatte - nicht nur seine eigenen Thesen, sondern auch die Thesen anderer "Verschwörungstheoretiker" rechtfertigen. Leyendecker zur Seite standen drei Experten zur Seite, außerdem hatte die Redaktion sechs Einspielfilme (Intro; Todespiloten; Absturzstelle Pentagon; Absturzstelle Shanksville; Einsturz WTC; Suche nach überlebenden Attentätern) vorbereitet. Moderiert wurde das Ganze von Helmut Rehmsen. Bei insgesamt 60 Minuten Sendezeit blieb für Wisnewskis Argumente zwangsläufig wenig Raum. Rückblickend sagt Wisnewski: "Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich dem Sender voll vertraut." Zumal die Redaktion der Sendung in den Händen von Matthias Kremin lag - demselben Redakteur, mit dem Wisnewski und Brunner bei 'Aktenzeichen 11. 9. ungelöst' zu tun hatten und der in Wisnewskis Buch auf Seite 366 in der Danksagung auftaucht. Hätte Wisnewski geahnt, was auf ihn zukommt, wäre er nicht allein angetreten, sondern hätte seinerseits auf aussagekräftigen Experten bestanden. Außerdem arbeitete der WDR zum Teil mit Animationen - ohne dabei auf offizielle Daten zurückgreifen zu können, weil diese bislang nicht freigegeben wurden von den US-amerikanischen Behörden. Insofern sind diese Animationen keinesfalls 'Beweismaterial', sondern höchstens 'Szenarien'.
Dass Wisnewski und Brunner nicht mehr für den WDR arbeiten dürfen, erfuhren die beiden aus dem Spiegel vom 22. September 2003. Dort hieß es auf der letzten Seite in der Rubrik 'Der SPIEGEL berichtete ...':
... in Nr. 37/2003 'Verschwörung 11. September - Wie Konspirationsfanatiker die Wirklichkeit auf den Kopf stellen' über Verschwörungstheorien zu den Anschlägen des 11. September. Dabei ging es auch um die fragwürdigen Methoden des WDR-Autors Gerhard Wisnewski. Verschwörungstheoretiker Wisnewski und sein Co-Autor Willy Brunner hatten für den Westdeutschen Rundfunk eine entsprechende Dokumentation gedreht ('Aktenzeichen 11. 9. ungelöst'). Die Autoren Gerhard Wisnewski und Willy Brunner dürfen nicht mehr für den Sender arbeiten. Das wurde vergangene Woche in der Sitzung des Rundfunkrats bekannt. Der WDR fühlt sich von ihnen "getäuscht". Intendant Fritz Pleitgen distanzierte sich nach Beschwerden von Rundfunkräten von dem Beitrag; der sei kein Ruhmesblatt.
In den Augen von Wisnewski und Brunner ist diese Meldung in dreifacher Hinsicht ein Skandal. Erstens falle die Personalpolitik des WDR nicht in den Zuständigkeitsbereich des Spiegel. Zweitens haben die Sitzungen des Rundfunkrats nicht-öffentlichen Charakter; die Teilnehmer sind zur Verschwiegenheit verpflichtet; Außenstehende werden höchstens über die Tagesordnungspunkte, nicht jedoch über "über Inhalt und Verlauf" informiert, wie Reinhard Grätz, Vorsitzender des Rundfunkrats des WDR, am 8. Oktober 2003 den Autoren gegenüber bestätigt. Und drittens hätten die beiden gerne aus erster Hand erfahren, wie es um ihr Ansehen beim WDR steht. Per Fax baten die Autoren den WDR um Stellungnahme. Außerdem verfassten sie einen Offenen Brief an den Spiegel. Und berichteten auf ihren Websites in regelmäßigen Abständen über den aktuellen Stand der Dinge. Wobei der Tonfall zunehmend schärfer wurde. Ein Verhalten, das vom zuständigen Redaktionsleiter Helfried Spitra als "nicht akzeptabel" bewertet wird. Die Autoren halten dagegen: "Wir sind gezwungen, weiteren Schaden von uns abzuwenden. Daher müssen wir den Rufschädigungen entgegentreten."
Was die Dokumentation von Wisnewski und Brunner angeht, so sind laut Reinhard Grätz "Sendungen, die sich im weitesten Sinne mit dem Thema '11. September' beschäftigt haben, [...] naturgemäß mehrfach nachbetrachtet worden". In diesem Zusammenhang wurde in der Ausschuss-Sitzung auch über die Dokumentation 'Aktenzeichen 11.9. ungelöst' gesprochen. "Selbstverständlich" habe der Vorsitzende des Rundfunkrats "weder die Medien noch irgendeinen Außenstehenden über den diskutierten Sitzungsteil informiert". Falls ein anderer Teilnehmer der Sitzung die Regeln der oben skizzierten Informationspolitik überschritten haben sollte, dann fehlen Grätz nach eigener Aussage "die kriminalistischen Möglichkeiten, den Urheber zu finden". Ganz ähnlich argumentiert Helfried Spitra: "Was der Spiegel über nichtöffentliche Sitzungen des Rundfunkrats behauptet, hat der WDR nicht zu verantworten."
Merkwürdig an der Angelegenheit ist die Tatsache, dass der Sender monatelang nichts auszusetzen hatte an 'Aktenzeichen 11.9. ungelöst'. Die Doku war Teil der vom WDR initiierten Reihe 'Das andere Amerika' und bescherte dem WDR eine sensationell gute Quote von 4,8 Prozent Marktanteil (Quelle: Media Control) bundesweit. Das entspricht einer Reichweite von 0,77 Million Zuschauer. Zum Vergleich: Im Juni 2003 lag die Quote bei durchschnittlich 2,7 Prozent bundesweit; im zweiten und dritten Quartal 2003 bei 2,5 Prozent bundesweit. Anders als seinerzeit angekündigt, wurde die Doku nicht wiederholt. Über die Gründe schweigt der WDR sich aus. Allerdings kann man sich anhand des Manuskripts über den Inhalt informieren. Auch die WDR-Seite zur Dokumentation ist nach wie vor abrufbar. Das Gästebuch zur Sendung wurde inzwischen geschlossen. Eine Zeit lang konnten sich die User an der Diskussion zum Thema Hat der 11. September die Welt verändert? beteiligen. Inzwischen wurde jedoch auch diese Diskussion beendet.
Dass Fernsehmacher abgestraft werden, kommt durchaus vor. Allerdings geschieht dies meist heimlich still und leise. Auf diese Weise verliert keiner sein Gesicht. Kennern der Branche zufolge ist es inzwischen leider üblich, dass festangestellte Redakteure die direkte Auseinandersetzung mit freien Mitarbeitern scheuen. Statt etwaige Mängel direkt zu kritisieren, gibt es einfach keine Folgeaufträge mehr. Um Nachschub müssen sich die Redaktionen trotzdem keine Sorgen machen. Sorgt doch die allgemeine Medienkrise für ein Überangebot an Freien.
Offizielle Rügen werden im Bereich Fernsehen nur selten ausgesprochen. Bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie dem WDR wäre der hauseigene Rundfunkrat zuständig. Weil sich so ein Rundfunkrat jedoch aus Vertretern einer ganzen Reihe von gesellschaftlich relevanten Gruppierungen zusammensetzt, kommen nur selten die erforderlichen Mehrheiten zustande. Die letzte Rüge, auf die sich der Rundfunkrat des WDR einigen konnte, liegt zwei Jahre zurück und traf den damaligen Monitor-Moderator Klaus Bednarz. Unter dem Titel 'Berufliche Fortbildung: Milliarden-Abzocke von Steuergeldern' hatte das Kölner Magazin am 5. Juli 2001 über ein Ausbildungs- und Umschulungszentrum für Computerfachleute in Erfurt berichtet und der Einrichtung nicht nur klägliches Versagen, sondern auch milliardenschwere Verschwendung von Steuergeldern unterstellt. Zu Unrecht, wie die Redaktion bald darauf eingestehen musste. Die Rüge erregte seinerzeit großes Aufsehen, denn sie war die erste seit zehn Jahren.
Im Printbereich sind Rügen sehr viel gängiger. Bundesweit zuständig ist der Deutsche Presserat. Die Palette der Missfallensbekundungen reicht vom schlichten 'Hinweis' über die 'Missbilligung' bis hin zur 'Rüge', die - je nachdem, ob die Persönlichkeitsrechte von Opfern betroffen sind oder nicht - entweder öffentlichen oder nicht-öffentlichen Charakter haben kann. 95 Prozent der Printmedien haben sich in der so genannten Freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung verpflichtet, öffentliche Rügen im Blatt zu publizieren. Allerdings geschieht dies selten zeitnah und nicht gerade auf der Titelseite, so dass sich der Imageschaden jeweils in Grenzen hält. In diesem Jahr wurden bereits 14 Rügen ausgesprochen.
Die Art und Weise, in der Wisnewski und Brunner kritisiert werden, werten die Autoren als Rufmord. Nicht mehr für den WDR arbeiten zu dürfen, käme einem Berufsverbot gleich. Natürlich kann der WDR seinen freien Mitarbeitern weder 'kündigen' noch ein 'Arbeitsverbot' auferlegen. Denn der WDR ist - wie jeder andere Arbeitgeber auch - frei in der Wahl seiner freien Mitarbeiter. Darüber hinaus haben die Entscheidungen des WDR Signalwirkung. Denn der WDR ist nicht nur der größte Sender innerhalb der ARD, sondern auch einer der wichtigsten Auftraggeber im Bereich Dokumentarfilm. Wisnewski und Brunner befürchten nicht zuletzt, dass an ihnen ein Exempel statuiert wird, das andere Filmemacher und Journalisten einschüchtern soll, die sich mit dem 11. September befassen.