Ein Gespräch in einem Wohnmobil
Die Zukunft wird von den alten Menschen geschaffen
"Das Schlimmste an der Zukunft ist", sagte ein junger Freund von mir, "daß sie so langweilig ist. Jede Woche ist sie in der Sunday Times, und wenn man diese versäumt, dann kommt sie immer in Tomorrow's World oder Discovery. Richtig interessant ist nur die Vergangenheit. Die Leute können nicht genug davon bekommen. Jeder, den ich kenne, ist besessen davon, mit Radar alte Gräber zu finden, Massengräber von an Seuchen verstorbenen Menschen auszugraben, römische Städte zu rekonstruieren, Schädel zu röntgen, Zähne zu zählen ..."
Das ist die typische Ansicht eines jungen Menschen, dachte ich, und erwiderte Folgendes: Wenn du ein wenig älter bist, wirst du mehr Interesse an der Zukunft haben. Das wird dann geschehen, wenn du entdeckst, daß die Zukunft vollständig von alten Menschen geschaffen wird. Sie schickten keine Teenager zuerst in den Weltraum, und selbst die Affen waren alt.
Woher stammt diese Idee?
Pawley: Naja, was auch immer passiert, geschieht zuerst in den USA. In der Architektur kam alles, was einen Blick wert war, von Frank Lloyd Wright bis Frank Gehry aus Amerika. Die besten Ideen von Archigram wie die Computer City, das Cushicle und der Suitaloon kamen über die NASA und Wettrennen im All aus Amerika.
So, aber was hat das mit alten Menschen zu tun?
Pawley: Nur das, daß sich heute in Amerika eine ganz neue Gesellschaftsform mit einem System des Wohnens, einem eigenen Kommunikationssystem und einem eigenen kommerziellen Hintergrund entwickelt. Und jeder in dieser Gesellschaft ist über 60 und ein Single.
Das klingt für mich wie eine Sekte.
Pawley: Ja, vielleicht. Aber andererseits auch wieder nicht. Hast du schon einmal etwas von der Slab City gehört?
Nein.
Pawley: Das ist eine verlassenes Militärgelände in Kalifornien, das genau auf dem San-Andreas-Graben liegt. Es ist ein Platz, an dem die Menschen, die auf der Straße wohnen, einen Halt machen. Nicht nur ein paar Fahrer, sondern Tausende von Senioren, die den amerikanischen Westen von den Wüsten im Süden während des Winters bis zu den Wäldern im Nordwesten am Pazifik im Sommer durchqueren. Sie folgen einfach den Jahreszeiten.
Das klingt für mich nicht sehr futuristisch. Die Amerikaner machen das schon jahrelang. In den 60er Jahren nannte man sie Snowbirds.
Pawley: Einige machen das schon seit Jahren, aber jetzt verdoppelt sich die Zahl in jedem Jahrzehnt. Man schätzt, daß es jetzt bereits mehr als eine Million Menschen sind. Die Zunahme der Frühpensionierung, Fortschritte in der geriatrischen Medizin, neue Wohnmobiltechniken - all das läßt es immer einfacher werden, keinen festen Wohnsitz zu haben. Die amerikanischen Wohnmobile gleichen nicht unseren winzigen Wohnwagen, sie sind eher wie mobile Häuser. Das ganze Phänomen gleicht einem ins wirkliche Leben umgesetzten Archigram, abgesehen davon, daß jeder alt ist. Sie sind die Pioniere. 'Hört den Alten zu', war das Schlagwort von Dr. David Suzuki, dem kanadischen Nestor der Anthropologen von der Westküste. 'Hört den Alten zu', sagte er immer wieder, 'sie wissen, was auf dich zukommen wird.' Vor den Filmen und Tonaufzeichnungen waren die Erinnerungen der Alten die wichtigsten Speicher des kollektiven Wissens.
Warte mal. Was hast du vom kommerziellen Hintergrund gesagt? Wo ist der kommerzielle Hintergrund für diese greisen Pioniere?
Pawley: Das stand in allen Zeitungen. Mich überrascht, daß du das übersehen hast. Der Sony-Kontern hat entscheiden, daß seine Zukunft in der Verbindung der Konsumenten mit Dienstleistungen durch das Fernsehen, durch Computer und Mobiltelefonen liegt. Sony wird kein Produzent von Unterhaltungselektronik mehr sein, sondern zu einem Anbieter von digitalen Netzdiensten für eine 'netzwerkzentrische Welt' werden.
Und das bedeutet?
Pawley: Das bedeutet, daß niemand mehr an einem einzigen Ort sein muß. Jeder wird bei der Geburt eine Telefonnummer erhalten. Niemand wird mehr irgendwo wohnen müssen, sondern man kann sich irgendwo auf der ganzen Welt aufhalten.
Und alte Menschen glauben, daß das eine gute Idee ist, oder?
Pawley: Höre den alten Menschen zu, Junge! Denk daran, daß sie diejenigen sind, die wissen, was auf uns zukommen wird.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer