Ein Jahr das "Beste aus beiden Welten" in Österreich
Seite 2: Die Folgen der Krise
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In der Wirtschaftspolitik haben die Grünen die Rolle der Sozialdemokraten übernommen, das jeweils Schlimmste zu verhindern. Bei den früheren großen Koalitionen einte ÖVP und SPÖ die gemeinsame Furcht vor Massenarbeitslosigkeit.
Nur so sind die Äußerungen des ÖVP-Finanzministers Gernot Blümel zu verstehen, gegen die Krise müsse vorgegangen werden, "koste es, was es wolle". Dies ist nicht eigentlich sozial gedacht, es geht vornehmlich darum, das in den österreichischen Unternehmen "arbeitende" Kapital zu schützen, weniger die arbeitende Bevölkerung. Die Pleiten müssen in erster Instanz abgewendet werden und damit in zweiter auch die Entlassungen, weil diese zum sozialen Sprengstoff werden könnten.
Ununterbrochen versichern sich alle Akteure hierbei, dass sie aus der Krise nichts gelernt haben. Zweifel am Funktionieren der österreichischen Form des Kapitalismus waren verboten. Der hatte bereits unter dem SPÖ-Kanzler Vranitzky begonnen, sich von seinen Staatunternehmen zu trennen, um diese dann üppig zu alimentieren (die seit Jahrzehnten im Sturzflug befindliche Austrian Airlines wurde im Sommer mit Hunderten Millionen "gerettet"). Österreich wirtschaftet weder ökologisch noch sonderlich innovativ, da sich aber die Machtkartelle wechselseitig absichern, stört das anscheinend niemanden.
Es sind nun schon während der Krise die neoliberalen Geschütze in Stellung gebracht worden. In den Zeitungen bekommen Vertreter von Thinktanks wie der "Agenda Austria" seitenweise das Wort. Sie stimmen die alte Melodei der "Zombie Economics" (Paul Krugman) an, bei der immer wieder das nachweislich falsche Theorem verbreitet wird, ein Staat sei wie ein Unternehmen zu führen und soll möglichst einen Reinerlös erwirtschaften (was Staaten nicht können). Andernfalls müssten die Enkel "unsere" Schulden bezahlen, wenn "wir" heute nicht sparen.
Was nichts anderes sagen will, als dass gekürzt und privatisiert werden soll. Konkret heißt dies: Der Opa kann sich demnächst seine Dritten selber schnitzen, Hauptsache es gibt "gesunde Unternehmen". Nur, wenn weiter so desaströs gewirtschaftet wird, dann werden die Enkel gar nichts zahlen, sondern können von Glück reden, wenn sie noch einen Platz am Lagerfeuer ergattern.
Die Festschreibung der Austeritätspolitik funktioniert auch deswegen so gut, weil sich dagegen in Österreich nahezu keine intellektuelle Opposition aufbaut. Sparen und Privatisieren gilt schlicht als rational und sobald es beispielsweise Sozialdemokraten wagen, dies in Frage zu stellen, werden sie als unvernünftig und verantwortungslos verfemt.
Das Land ist nicht gänzlich frei von linker Opposition. Es gibt beispielsweise Künstler, die sich zu Wort melden und gerne auf den nächsten Charity-Wagen mitaufspringen, eine Bewegung wird daraus aber nicht. Einige versprengte Häufchen machen, unter wechselnden Namen, linke Politik mit regionalen Achtungserfolgen. Oft hat die KPÖ ihre Finger mit im Spiel. Diese sieht sich als ein Refugium linken Denkens und wenn dann eines Tages sich doch einmal etwas tun würde, dann wären gewisse Strukturen zumindest bereits vorhanden. In nächster Zeit rechnet damit aber niemand.
Gerade das Schicksal der Grünen stimmt hier pessimistisch. Die waren in Österreich nie wirklich links. Eine ihrer Gründerinnen Freda Meissner-Blau meinte ganz zu Beginn, die Grünen müssten ihre "linken Fransen abschneiden", um erfolgreich zu sein. Das Land sei strukturell einfach zu konservativ, um mit linker Politik Erfolg haben zu können.
Diese strategische Entscheidung hat sich seltsam in die Grünen eingeschrieben. Wer heute mit grünen Mandataren spricht, erlebt meist eine abgeklärte Hoffnungslosigkeit. Sie halten es schlicht für unmöglich, tiefgreifende Änderungen zu erreichen und glauben, einzig mit Schläue gewisse ökologische Maßnahmen durchsetzen zu können.
Billigere Zugtickets etwa. Dies ist auch nach einem Jahr Regierungsbeteiligung (beinahe) gelungen. Aber wehe, es wird "Anti-Autofahrerpolitik" propagiert oder sonstige, tiefergreifende Maßnahmen. Hinter vorgehaltener Hand räumen viele Grünen ein, dass das Umweltprogramm angesichts der enormen ökologischen Krisen, vor der die Welt steht, viel zu wenig und viel zu spät ist. Auch dämmert vielen, dass mit der Coronavirus-Pandemie eine wichtige Krise verschenkt wurde.
Die Sensibilität für den Ernst der Lage war insbesondere zu Beginn bei der Bevölkerung durchaus vorhanden. Die Grünen hätten erklären müssen, dass eine Pandemie direkte Folge einer industrialisierten Landwirtschaft ist und dass diese gefährlichen Folgen von Monokulturen immer wieder auftauchen werden, seien es weitere Pandemien oder Bakterien, die Resistenzen gegen Antibiotika in der Massentierhaltung entwickeln konnten.
Unterm Strich kann diesen Bedrohungen nur begegnet werden durch einen Wandel des ausbeuterischen Lebensstils, insbesondere des globalen Nordens. Gerade während der Pandemie hätten die Grünen dieses existenzielle "Entweder-Oder" dem Publikum klar machen können.
Nichts davon geschah. Bereitwillig schwankt man auf den ÖVP-Verdummungskurs ein, der verspricht, nachher sei alles wieder wie zuvor. Jede wissenschaftliche und politische Erkenntnis spricht dagegen. Der Klimawandel wird nicht einfach weg sein, nachdem ein paar Solarpanelle aufs Dach geschraubt wurden, das Corona-Virus wird nach seiner weltweiten Ausbreitung nicht mehr verschwinden und ebenso wurde - um ein weiteres, willkürliches Beispiel zu wählen - in den letzten zehn Jahren keine Lösung in Fukushima gefunden.
Klimawandel, Viren, Atomstrahlung sind schlimme Folgen eines desaströsen Wirtschaftens, mit denen die Menschheit wird leben müssen. Und diese Folgen werden sich dramatisch summieren, wenn kein tiefgreifender Wandel gelingt.
Von Österreich und von seiner Türkis-Grünen Regierung wird dieser Wandel sicherlich nicht ausgehen. Aber nicht nur das durchwachsene Corona-Krisenmanagement dieser Regierung und ihre Unfähigkeit, einen ökologischen Wandel zumindest vorzubereiten, sind enttäuschend.
Erschreckende Sozialpolitik
"Soziale" Politik gibt es mit der ÖVP nur über Steuererleichterungen. Dass diese einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung (nämlich den ärmsten) gar nicht erreichen, ficht Kanzler Kurz nicht an. Wer nichts gebe, der kriegt eben auch nix. Eine Strategie, die ganz offensichtlich die gesellschaftliche Spaltung verstärkt, indem die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht.
Gegenwind bekam die türkise Bewegung hierfür kaum und durfte auch diese Falschmünzerei als Erfolg verbuchen. Treuherzig dumm bedankte sich beispielsweise bereits im ersten Kabinett Kurz der Wiener Kardinal Schönborn für die Hilfe, die die Kinder durch die Regierung erhielten - mittels Steuerfreibeträgen.
Hinter dem Schmäh angeblicher sozialer Steuererleichterungen und Freibeträgen steckt das neoliberale Credo des "Vorsorge geht vor Fürsorge". So gibt es einerseits eine Förderung der privaten Altersvorsorge für die bereits Vermögenden und andererseits üppige Kürzungen für die Armen. Die Grünen fügten hier die Fußnote an, es müsse aber auch denen geholfen werden, die sich nicht selbst helfen können, womit - erkennbar schon in den Formulierungen - die Grünen wohl eine Art Theresianische Almosenpolitik im Blick haben.
Dass der österreichische Sozialstaat und die Sozialpartnerschaft sehr wohl einmal einen Begriff von Ausbeutung hatten, fällt immer mehr unter den Tisch. Die Grünen hatten sich schon vor der Koalition mit ihrem Grundsicherungskonzept sehr weit nach rechts begeben und einem echten Kampf um gerechte Verteilung eine Absage erteilt.
Passend zu den Konzepten Maria Theresias wurde alles Soziale einer immer strengeren Überwachung unterzogen. Verdacht schüren gegen Faulenzer und Arbeitsscheue ist schließlich das Ein-mal-Eins des Rechtspopulismus.
Es gipfelte, kurz vor Weihnachten, im Durchsetzen eines "eingriffsintensiven Profilings", des sogenannten AMS-Algorithmus, mit dem die Arbeitsämter per Mausklick eine Triage vornehmen können: Die Erwerbslosen werden eingeteilt in jene, die Hilfe benötigen, in jene, die sich voraussichtlich selbst helfen werden, und in jene, die als hoffnungslose Fälle gelten und keine Hilfe mehr erhalten. Diesen Diskriminierungsmaßnahmen (in Gruppe drei landen zuverlässig Frauen und Fremde) darf per Algorithmus Pseudoobjektivität zugeschrieben werden.
Ob Sozialpolitik, Krisenmanagement, der Umgang mit Flüchtenden oder die Umweltpolitik, im Kabinett Kurz II ist die "grüne Handschrift" weitgehend eine Geheimschrift. Die Regierungsbeteiligung der Grünen ist eher ein kommodes Feigenblatt für die "türkise Bewegung", um weiter den eigenen neoliberalen Kurs zu fahren, der durch Fremdenfeindlichkeit und autoritäres Gehabe an der Urne abgesichert wird.
Der steirische ÖVP-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer drückte es so aus: "Hätte eine Koalition aus ÖVP und FPÖ all das gemacht was die [ÖVP und Grüne] machen, würde das Land schon brennen."
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