Ein Jahrhundertfund?
Seite 2: Bedeutung für die Weltanschauung
- Ein Jahrhundertfund?
- Bedeutung für die Weltanschauung
- Wie viel ist den irdischen Gesellschaft die Erforschung von außerirdischen Mikroben wert?
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Was aber bedeutet die Entdeckung von Leben auf dem Mars (oder an einem ähnlichen Ort) für unsere Weltanschauung generell? Es scheint auf den ersten Blick eindeutig, dass ein solcher Fund sich perfekt in die wissenschaftliche Weltsicht einfügen lässt - was von der Wissenschaft der Astrobiologie lange prognostiziert worden war, ist nun auch durch empirische Befunde belegt. Diese Darstellung übersieht jedoch, dass seit Jahrzehnten eine heftige wissenschaftliche Debatte über die Häufigkeit des Lebens im Universum tobt: Der astrobiologischen Vorstellung von einer weiten Verbreitung steht die These von einer seltenen, vielleicht sogar einmaligen Entstehung von Leben (eben nur auf der Erde - deshalb: Rare-Earth-Hypothese; siehe Ward/Brownlee 2000) entgegen.
Die Entdeckung von Leben auf dem Mars oder einem der Jupitermonde könnte diese Debatte entscheiden. Dies ist aber nicht zwangsläufig so. Je näher an der Erde das fremde Leben entdeckt wird, desto nachdrücklicher können die Vertreter einer Rare-Earth-Hypothese auf die Panspermie-Theorie verweisen, nach der einfache Lebensformen sich früh innerhalb des Sonnensystems verbreitet haben könnten. Und unser in den letzten zwei Jahrzehnten (auch durch Experimente auf der internationalen Raumstation ISS) angesammeltes Wissen über die Widerstandsfähigkeit irdischer Organismen legt nahe, dass zumindest bestimmte Klassen von Einzellern eine längere Reise durch den Weltraum - etwa geschützt unter der Oberfläche eines Meteoriten - durchaus überstehen können.
Das Leben kann deshalb trotz entsprechender Funde auf anderen solaren Planeten oder Monden immer noch nur einmal (etwa auf der Erde) entstanden sein und sich anschließend im Sonnensystem verbreitet haben. Wie durchsetzungsfähig diese These innerhalb der Wissenschaft ist, hängt nicht zuletzt von der näheren Analyse des außerirdischen Lebens ab: Ist es dem irdischen so ähnlich, dass es gleiche Ursprünge haben kann oder sind die Unterschiede so gewaltig, dass eine gemeinsame Herkunft ausgeschlossen scheint? Die Tatsache, dass die Möglichkeit der Existenz von nicht auf DNS-/RNS basierenden Lebensformen in der irdischen Biosphäre Thema aktueller Forschungen ist, würde eine Unterscheidung hier zusätzlich erschweren.
Unmittelbar nach der Entdeckung dürfte die wissenschaftliche Diskussion Fahrt aufnehmen und die Debatte auch in Disziplinen wie der Wissenschaftsphilosophie befeuern, wo grundsätzliche Probleme der Erkenntnis behandelt werden. Hier dürfte es insbesondere um die Frage gehen, unter welchen Bedingungen empirische Beweise als erbracht angesehen werden können - und bis zu welchem Punkt Zweifel wissenschaftlich legitim sind. Alles in allem dürfte aber klar sein, dass die Entdeckung ein starkes Argument für die These einer weiten Verbreitung von Leben im Universum darstellen würde. Ob die Vertreter einer Rare-Earth-Hypothese sich damit zufrieden geben, wird sich zeigen müssen.
Zu erwarten ist auf jeden Fall eine hitzige wissenschaftliche Debatte über den spektakulären Fund. Wie auch immer sie ausgeht - die Frage nach Leben außerhalb der Erde dürfte zumindest für einige Zeit in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Debatten rücken. Dabei wird es allerdings gerade nicht um neue weltanschauliche Positionen gehen, sondern um einen intensiven Austausch fachlich bereits lange bekannter Argumente - nun allerdings auf Basis neuer empirischer Befunde.
Ein Problem könnte die Entdeckung von Leben außerhalb der Erde hingegen für einige religiöse Systeme bedeuten. Hier ist insbesondere an jene Glaubensrichtungen zu denken, deren Lehren von der singulären Erschaffung aller Lebewesen durch eine Schöpfergottheit auf unserer Heimatwelt ausgehen und die, etwa wie charismatische christliche Kirchen, sehr strikt an diesem Glaubenssatz festhalten. Fraglich ist, ob diese Glaubenssysteme sich der Panspermie-Theorie bedienen werden, um ihre Lehren zu retten. Wahrscheinlich wird die Strategie eher in der passiven Ignoranz oder der aktiven Leugnung der wissenschaftlichen Funde bestehen (eine Strategie, die von anderen Wissenschaftsfeldern - etwa der Paläontologie oder Archäologie - lange bekannt ist).
Im Gegensatz zur Entdeckung außerirdischer Intelligenz ist jedoch nicht davon auszugehen, dass der Fund einfacher Lebensformen auf Nachbarwelten der Erde zu schwerwiegenden religiösen Konflikten führen wird. Einige Glaubenssysteme werden erneut in Widerspruch zur wissenschaftlichen Weltsicht geraten - aber das ist weder ein neues Phänomen, noch dürfte es destabilisierende Auswirkungen auf jene religiösen Weltanschauungen haben. Winzige, für das bloße menschliche Auge unsichtbare Lebensformen sind einfach zu gut zu ignorieren, insbesondere wenn sie an einem Ort weit entfernt von der Erde existieren.
Aufgeschlossenere oder moderatere Glaubenssysteme werden vermutlich die Lesart ihrer Heilsbotschaften umdeuten. "Gott erschuf die Erde mit allen ihren Lebewesen" könnte wahrscheinlich ohne große theologische Probleme umgedeutet werden zu "Gott erschuf das Universum mit allen seinen Lebensformen". Wir gehen deshalb davon aus, dass von der Entdeckung außerirdischen Lebens keine übermäßig starken Folgewirkungen für die großen irdischen Religionen ausgehen werden. Entsprechend dürften sich auch die (inter-)religiösen Debatten um diese Frage in Grenzen halten. Die Erde selbst stellt genug Probleme bereit, die innerhalb und zwischen den Religionen zu erörtern sind.
Einfluss auf die öffentliche Diskussion
Als ähnlich überschaubar schätzen wir die Auswirkungen des Fundes auf allgemeine gesellschaftliche Debatten ein. Die Zahl der Themen, die in der Öffentlichkeit an prominenter Stelle prozessiert werden können, ist eng begrenzt. Meist sind es nur ein halbes Dutzend Themen, die die öffentliche Debatte zu einem konkreten Zeitpunkt bestimmen.
Wissenschaftliche Fragen erreichen diesen Grad der öffentlichen Aufmerksamkeit nur selten. Und wenn doch einmal, ist ihre Verweildauer in den oberen Plätzen der medialen Agenda außerordentlich kurz. Bezüglich der Entdeckung außerirdischen Lebens gibt es hierfür sogar einen guten empirischen Beleg: Die Entdeckung vermeintlicher oder tatsächlicher - diese Frage ist wissenschaftlich bis heute nicht entschieden - Lebensspuren im ursprünglich vom Mars stammenden Meteoriten ALH 84001. Der Funde wurde am 7. August 1996 vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton stolz verkündet - ein Prozedere, das diese Entdeckung damals spektakulär aus der großen Masse der wissenschaftlichen Nachrichten hervorgehoben hatte. In den folgenden Jahren wuchsen die Zweifel an der Entdeckung; die Mehrheit der Astrobiologen und Astrobiologinnen geht heute davon aus, dass Clintons Erklärung ein wenig voreilig war und die vermeintlichen Lebensspuren mindestens ebenso gut auch durch anorganische Prozesse entstanden sein können.
Diese wissenschaftliche Debatte nahm aber erst so richtig Fahrt auf, als die Meldung über das Leben auf dem Mars bereits aus der öffentlichen Agenda verschwunden war. Der Absturz des Themas in die mediale Irrelevanz hatte so gut wie nichts mit der kontroversen wissenschaftlichen Debatte, aber viel mit der prozessualen Logik der Massenmedien zu tun: Die Meldung aus der Wissenschaft war zwar eine Neuigkeit (ein wichtiger Nachrichtenfaktor), hatte jedoch keinerlei Konsequenzen für das irdische Leben, denn sie wies keine Bezüge zu irgendwelchen sozialen, ökonomischen oder politischen Handlungsprobleme (ein ebenso wichtiger Nachrichtenfaktor) auf. Themen ohne solche Bezüge vermögen das öffentliche Interesse stets nur für kurze Zeit zu fesseln - und so war es auch bei ALH 84001.
Heute bewegt die Frage, ob es tatsächlich Lebensspuren in diesem Objekt gab, nur noch die kleine astrobiologische Gemeinschaft, für den Rest der Menschen ist das Thema vollkommen irrelevant geworden. Und die Situation wird nach unserer Prognose keine andere sein, wenn irgendwo in den Wolken der Venus oder unter der Oberfläche des Mars mikroskopische kleine Organismen gefunden werden. Eine anfängliche Faszination der Öffentlichkeit wird angesichts der Vielzahl der anhaltenden irdischen Probleme und Konfliktlagen schnell verblassen.
In der Zusammenschau müssen wir sagen, dass die Vorstellung eines überragenden öffentlichen Interesses an der Entdeckung einfacher außerirdischer Lebensformen doch etwas weit hergeholt ist. Sicherlich wäre ein solcher Fund Thema in allen Nachrichtenmedien - aber nur für einen oder höchstens wenige Tage. Dann dominieren unserer Einschätzung nach wieder die irdischen Probleme die öffentliche Debatte. Die Entdeckung von Leben auf dem Mars wäre eine kurze Ablenkung von den Dauerthemen auf der öffentlichen Agenda - etwa so wie die Verleihung eines Wissenschaftspreises oder auch die unerwartete Hochzeit zweier Popstars.
Der entscheidende Punkt ist, dass die hier interessierende Entdeckung die öffentliche Agenda dauerhaft nicht beeinflussen würde. Anders als etwa der Brexit oder die Corona-Pandemie, die, ganz im Gegensatz zu einem Bakterienfund auf dem Mars, massive mittel- und langfristige Auswirkungen für die betroffenen Gesellschaften haben. Ein zu erwartender medialer Hype um den Fund außerirdischen Lebens dürfte nur extrem kurze Zeit dauern. Deutlich anders sähe die Situation aus, wenn die Menschheit ganz plötzlich mit einer außerirdischen Intelligenz konfrontiert wäre - aber das ist ein anderes Thema, dessen mögliche Folgen einer von uns an anderer Stelle ausführlich untersucht hatte (Schetsche/Anton: Die Gesellschaft der Außerirdischen; 2019).
Problematische rechtliche Auswirkungen dürfte die Entdeckung ebenfalls kaum haben. Das bestehende Weltraumrecht ist, bis auf den Punkt der Stationierung von Waffen im Weltraum, eher eine freundliche Verabredung, denn ein bindender Vertrag mit klaren Grenzen und Freiheiten. Vermutlich wird eine Absichtserklärung zum Schutz und der gemeinsamen friedlichen Erforschung der Lebensformen verabschiedet werden, vergleichbar mit dem Antarktis-Vertrag. Diese Vereinbarung dürfte aufgrund ihrer mangelnden ökonomischen und politischen Relevanz Bestand haben, bis eine Nation oder ein Unternehmen die ökonomische Nutzung der Rohstoffe des Himmelskörpers oder der Lebensformen selbst anstrebt. Dann werden die Karten international noch einmal neu gemischt. Diese Frage hängt insbesondere mit den Fortschritten in der unbemannten und insbesondere der bemannten Raumfahrt zusammen.
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