Ein Rahmenkonzept zur Bekämpfung der Rockerkriminalität

Seite 2: Die Rolle der Polizei und das Ziel des Konzeptes

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zunächst zur Rolle der Polizei. In der Akte steht: "Die 'BLPG BR-RK' misst der Rolle der Polizei bei der Bekämpfung von Rockerkriminalität vor dem geschilderten Gesamthintergrund grundsätzliche Bedeutung zu" (S. 7). Die beiden Ziele der Projektgruppe sind "die Erarbeitung präventiver und regressiver Bekämpfungsstrategien unter Einbeziehung anderer zuständiger Stellen" sowie "Information und Beratung der Politik … insbesondere im Hinblick auf Rechtsfortentwicklung".

Clubhaus der Hells Angels Karlsruhe in Waghäusel. Bild: Ikar.us. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Gleich dieser Beginn wirft die Frage auf, ob es die Rolle der Polizei sein darf, Lobbyarbeit für "Rechtsfortentwicklung" zu treiben: Wird dadurch nicht die Gewaltenteilung infrage gestellt? Das Konzept empfiehlt, ein Verbotsverfahren nach dem Vereinsgesetz zu prüfen, "sofern Ermittlungen gegen Rockergruppen zu dem Ergebnis geführt haben, dass die Aktivitäten des Clubs auf die planmäßige Begehung von Straftaten ausgerichtet sind, dass der Club Straftaten einzelner Mitglieder im Clubinteresse duldet, fördert oder deckt oder dass die Aktivitäten des Clubs gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung ausgerichtet sind" (S. 60).

Hieran ist natürlich nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Allerdings war dies auch schon vorher möglich.

Außerdem wird eine lange Liste "taktischer Maßnahmen" aufgezählt (S. 13 - 25), die nicht nur der Ermittlung von Straftaten dienen, sondern auch der Überzeugung von Justiz und Ordnungsbehörden von der polizeilichen Sicht (S. 17), oder der einfachen Störung von Rockergruppen. So seien Gewerbeanmeldungen "intensiv" zu prüfen (S. 48), oder die sehr professionell gesicherten Vereinshäuser sollten von Bauordnungsämtern "restriktiv geprüft" werden (S. 48). - Vielleicht mussten die ehemaligen Mitglieder des früheren Bremer Charters "West Side" deswegen kürzlich ihr altes Clubhaus räumen - nach Angaben des Weser-Kuriers hat das Bauressort die Nutzung ihres Gebäudes für Versammlungen und Veranstaltungen untersagt.

So fragt sich, ob dies Konzept nun eigentlich nur darauf zielt, die polizeilichen Ermittlungen zu unterstützen, oder ob es nicht (zumindest im Nebeneffekt) die Auffassung durchsetzen soll, dass Rockergruppen wie die Hells Angels grundsätzlich kriminell sind und verboten gehören.

Die Legitimität dieses Konzeptes bestreitet denn auch der Rechtsanwalt Michael Karthal, der für den verbotenen Charter HAMC Frankfurt die Verbotsverfügung des Hessischen Innenministeriums anficht. In seiner Klagebegründung schreibt er mit Bezug auf dieses Konzept: Einziges Ziel sei, "die Innenministerien zu veranlassen, Vereinsverbote auszusprechen." Diese unterliegen nämlich "nicht der strengen Nachweispflicht für strafrechtliche Verurteilungen […], sondern ein Zurechnungszusammenhang zwischen den Taten einzelner und mehrerer Mitglieder und dem Verhalten der übrigen Vereinsmitglieder" genüge.

Natürlich: Wenn ein, wie Rechtsanwalt Karthal schreibt, "Zurechnungszusammenhang zwischen den Taten einzelner und mehrerer Mitglieder und dem Verhalten der übrigen Vereinsmitglieder" nachgewiesen werden kann, und dies Grundlage für ein Vereinsverbot ist, dann kann ein Vereinsverbot durchaus im Sinne der Bevölkerung sein. Es fragt sich aber, ob die hohe Anzahl der Vereinsverbote nahelegt, dass so ein Zurechnungszusammenhang regelmäßig besteht? Wenn ja, dann folgt unvermeidlich eine weitere Frage: Besteht dieser Zusammenhang erst seit April 2010? Der Tod des Polizisten ist tragisch, aber kann man daraus bei so vielen Chartern bundesweit auf diesen Zusammenhang schließen?

Karthal zieht den umgekehrten Schluss: "Der von nun an verfolgten polizeilichen Strategie ist insbesondere die Erkenntnis geschuldet, dass der strafrechtlich geforderte Nachweis einer organisierten kriminellen Vereinigung trotz umfangreicher und zielgerichteter Ermittlungen nicht geführt werden konnte. Als dennoch sanktionierendes Instrument für eine nicht nachgewiesene organisierte Strafrechtswidrigkeit der Vereinigungen haben die Polizeibehörden zur Beseitigung des Vereinslebens die den Grundrechtsschutz einschränkenden Verbotsverfügungen erkannt."