Ein Ring, sie zu knechten, sie ewig zu binden..

Mittelerde ist ein geistiges Ground Zero - Des Epos zweiter Teil "Der Herr der Ringe - Die zwei Türme"

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Mittelerde bebt: Seit gestern läuft der zweite Teil von Peter Jacksons Verfilmung von J.R.R. Tolkiens Romanzyklus "Der Herr der Ringe" in den Kinos. Inhaltlich scheidet der globale Marketingerfolg sein Publikum in Gläubige und Ketzer: Was für die einen eine glaubwürdige "Neue Mythologie" für die Gegenwart oder legitime Flucht aus ihr ist, erscheint den anderen nur als konzeptloses Remmidemmi und monomanische Soap im Mammutformat.

Ein einziger keuscher Kuss wird mehr gehaucht als getauscht, und zwar neben, nicht auf die Lippen. Viel mehr wäre aber auch bei weniger stubenreiner Gesinnung der Macher nicht drin gewesen - ist doch Cate Blanchett kaum eine Minute im Bild und Liv Tyler vielleicht, wenn man wohlwollend zählt, fünf Minuten - von fast drei Stunden Filmdauer. Was für eine Verschwendung!

Nur eine dritte, Eowyn (Miranda Otto), darf den feschen Recken Aragorn, gespielt in Gestalt und Gestik eines Rocksängers von Viggo Mortensen, zumindest im Geiste lieben. Und bangen. Und schmachten. Kämpfen darf sie nicht, das dürfen in "Der Herr der Ringe - Die zwei Türme" nur die Männer. Weil die aber fortwährend im Bild sind, wird viel gekämpft, chaotisch und computeranimiert, und daher leider so verwirrend, dass auch geschulte Beobachter schnell den Überblick verlieren - im Gegensatz zu jenen PC-Spielen, dessen Bildschirmdarstellung dieser Film trotz aller neuseeländischer Landschaftsschönheiten über weite Strecken so ungemein ähnelt, gibt es hier ja kein Regelbuch, das einem hilft, alle Figuren auseinander zu halten.

Wer also wegen Tyler und Blanchett, den fraglos besten Darstellern im vielköpfigen Ensemble dieses Monumentalfilms, ins Kino gehen möchte, oder weil er sich unter "Fantasy" nicht nur Zaubersprüche und Schwertergeklirre vorstellt, sondern auch den Zauber romantischer Liebeszenen, sollte es besser lassen. Der Kinovorschau darf man da übrigens nicht trauen; die ist hier mehr denn je eine Mogelpackung, schon weil sie so ziemlich alles zeigt, was von Blanchett überhaupt in diesem Film zu sehen ist.

Man weiß also offenbar bei den Machern von Warner Bros. schon im Prinzip, wie man diejenigen Zuschauer ins Kino bringt, die nicht sowieso allein aufgrund des Titels blind hinein strömen - offenbar nicht mit Elijah Wood als Frodo. Auch das Wirken dieses "Hauptdarstellers" ist im zweiten Teil der Tolkien-Verfilmung auf eine Nebenhandlung beschränkt, was in diesem Fall aber nicht weiter beklagenswert ist, weil Wood vor allem durch seine allzu sichtbar abgekauten Fingernägel in Erinnerung bleibt.

Märchen für große Jungs

Wer den ersten Teil "Der Herr der Ringe - Die Gefährten" (Wie treu sind die Gefährten?) nicht kennt, hat Pech gehabt: Keine Einführung, kein "Was bisher geschah" erleichtert den Einstieg. Vielmehr werden alle Nicht-Eingeweihten, alle, die sich den ersten Teil erspart haben, zur Strafe einfach hineingeworfen nach Mittelerde, wo sie sich dann im Gestrüpp von Plot und Subplots, von Elben und Halblingen, Trollen und Hobbits, Orcs und Uruk-Hais, von 19 Hauptdarstellern und etwa fünf (oder waren es doch sieben?) parallel erzählten Handlungsebenen zurückfinden müssen.

Das Hermetische ist seit jeher Teil des Fantasy-Prinzips überhaupt, in diesem Fall ist man sich freilich nicht ganz sicher, ob es wirklich einer Arroganz der Macher geschuldet ist oder doch nur ihrer Kapitulation vor der Anforderung, die verwirrende Handlung des über 1000seitigen Romanzyklus in Filmform zu gießen.

Der jetzige zweite Teil "Die zwei Türme" hat überdies mit der Schwierigkeit zu kämpfen, zwischen Exposition und Showdown ein wenig in der Luft zu hängen. Anders als etwa damals in der "Star Wars"-Fortsetzung "Das Imperium schlägt zurück" (eindeutig dem bisher besten Teil der Weltraum-Saga) gibt es in diesem Fall ja eine Buchvorlage, die Handlung ist insofern bekannt, und der Film hat die Funktion, das Drama zu überbrücken, zu verbinden, weiterzuführen, und nicht einfach voranzutreiben. Zudem verzichtete Tolkien auch darauf, seinen positiven Hauptfiguren ein echtes Leid anzutun. Schon als Oberzauberer Gandalf im ersten Teil einmal in einen Abgrund stürzte, musste man nicht das Buch kennen, damit sich die Angst um sein Schicksal in Grenzen hielt. Weil hier keiner ernsthaft gefährdet ist, muss der Zuschauer auch nicht ernsthaft bangen. Um so mehr zählen also die Schauwerte, das "Wie" der Umsetzung der Story.

Diese Story handelt - dies für diejenigen, die tatsächlich die Handlung des "Herrn der Ringe" noch nicht einmal vom Hörensagen kennen - vom Hobbit Frodo, einem ländlich sozialisierten Quasi-Zwerg (aber so dürfen wir ihn nicht nennen, ohne uns die Verachtung zumindest der Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V. zuzuziehen), dem schon aufgrund seiner universalen Niedlichkeit unsere Sympathien gelten sollen. Von seinem Onkel erbt er einen Ring, der theoretisch viel Macht verleiht, praktisch seinen Träger aber kraft der ihm eigenen Dynamik in eine Art Teufelspakt verwickelt - zur "dunklen Seite der Macht" hinüberzieht, würde man im "Star Wars"-Jargon sagen. Im Zentrum dieser bösen Seite sitzt der Oberbösewicht und Quasiteufel, Sauron, dessen Aussehen - so man ihn denn sieht - im Film irgendwo zwischen Alien und dem allgegenwärtigen Auge liegt, das auf Barockbildern für den dreieinigen Gott des Christentums steht.

Sauron wiederum bedient sich eines Oberpriesters, des bösen Zauberers Saruman, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Osama bin Laden, aber auch mit Graf Dracula nicht verleugnen kann. Auch Saruman hat seine al-Qaida, eben besagte Orcs und Uruk-Hais. Erstere reiten auf Drachen, letztere sind gegebenenfalls zum Selbstmordattentat bereit und jedenfalls so hässlich, dass man mit ihnen einen hübschen Horrorfilm hätte bestücken können - oder die in "Die zwei Türme" fraglos enthaltenen Horrorelemente stärker hätte betonen können. Aber der Film ist ab 12 Jahren freigegeben - die Filmbewertungsstelle ist auch nicht mehr, was sie mal war -, und darum ist der tatsächliche Horror schnell geschnitten und hält sich in engen Grenzen.

Zurück zur Story: Frodo muss (will? aber mit der Willensfreiheit ist es hier so eine Sache...) den gefährlich-bösen Ring vernichten. Dafür muss er aber ins Zentrum des Bösen vordringen, denn nur dort kann er das Zerstörungswerk wirklich vollenden. Auf diesem weiten, drei Teile dauernden Weg wird er von Saurons Häschern gejagt, und vom Ring selbst in Versuchung geführt.

Der zweite Teil dreht sich nun dabei weniger um Frodos Reise, die eher der Ordnung halber in regelmäßigen Abständen in Form kurzer Schnipsel auftaucht, als um das Schicksal des Volkes von Rohan, das von Saruman mit der Vernichtung bedroht wird. Bei denen handelt es sich um Menschen, die so ähnlich aussehen, wie Europäer im Mittelalter, außer jenen, die schon zu Werkzeugen des Bösen mutiert sind und die ein jeder leicht daran erkennt, dass sie ein bisschen heroinabhängig und überdies wie Mitglieder einer Dark Wave Band aussehen - weiße Schminke, schwarze Lippen, lange, irgendwie strähnig verschwitzte Haare. Nach allerlei Zwischenschlachten kommt es am Ende zur Endschlacht um die Festung "Helms Klamm" und einem Parallelangriff auf Isengard, den Sitz von Saruman. Der wird vor allem von Bäumen geführt, denn "Der Herr der Ringe" ist auch ein Öko-Melo, bei dem der Baum als der allerbeste Freund des Menschen mit dem Rest der bedrohten Natur einen Krieg gegen alles Böse anführt. Ach ja: Frodo wandert natürlich weiter...

Kann man das ernst nehmen? Natürlich nicht wirklich. Macht es dann wenigstens Spaß? Leider auch ganz und gar nicht. Im Gegenteil hat man lange schon keinen so humorlosen Film mehr gesehen - wenn man sich nicht von den gelegentlichen Schmunzel-Grins-Einlagen der Hobbits entzücken lässt, oder vom glibbrigen Schelmentum Gollums, dessen Aussehen an eine missglückte Computeranimation E.T.'s erinnert, mit ähnlich prekärem Niedlichkeitsfaktor. Ansonsten: Kein Witz, kein Sex, kein subversives Crime, stattdessen schwerblütiger Bierernst - und das schlimmste Vergehen aller Filme: Langeweile.

Herr der großen Worte

Wer J.R.R. Tolkiens dreiteiligen Romanzyklus schätzt, von dem auch fast 50 Jahre nach dem Erscheinen seines ersten Bandes im Herbst 1954 nicht recht klar ist, ob es sich um ein Kinderbuch oder eine Geschichte für Erwachsene handelt - "von 12 bis 70" skizzierte ein zeitgenössischer Rezensent die Zielgruppe -, wer also diese beschreibungssatte Fantasy-Story liebt, der muss selbst entscheiden, ob er die Bilder in seinem Kopf dem Eindruck des Films aussetzen möchte. Unter den Fans war die Meinung schon vor Jahresfrist, als der erste Teil ins Kino kam, recht geteilt.

Technisch ist dieses Märchen für große Jungs dabei durchaus up to date. Was auch immer mit CGI, computer generated imaging, möglich ist, wird hier gemacht, und oben erwähnter Gollum ist in all seiner banalen Hässlichkeit doch ein hochinteressantes Stück Handwerk. Aber es wäre ja auch noch schöner, wenn man für 100 Millionen Dollar pro Film nicht irgendetwas erwarten dürfte. Stilistisch freilich wirkt alles über weite Strecken steril und eindimensional, in seiner Geschichte langweilig, weil zutiefst vorhersehbar.

Das liegt nicht allein am allzu starken Schwarz-Weiß-Charakter des Endkampfes zwischen Gut und Böse (der dann doch keiner ist, weil uns allen ja im kommenden Jahr noch der dritte Teil vorgesetzt wird), sondern daran, dass "Der Herr der Ringe" vor allem ein Herr der großen Worte ist: Ein ums andere Mal wird geredet und geredet, erklärt und gelabert, Pathos beschworen und mit rollenden Augen ein neues Zaubersprüchlein aufgesagt. Den Rest gibt einem der Soundtrack von - leider - Howard Shore, der noch nie einen Film mit derart sentimenttriefender, zugleich plump-bombastischer Klangsauce bestückt hat, wie diesmal.

Die meisten Mängel des Films sind freilich schon die des Buches. Auch hier tobt der Streit schon seit den 50ern. Auf der Internetseite der New York Times kann man die damalige Debatte nachlesen: Prominente Fans wie etwa der Dichter W.H.Auden stoßen da auf kaum weniger bekannte Verächter.

Künstlerisch lauten die häufigsten Vorwürfe Kitsch und Manierismus: Denn zur Hochzeit der literarischen Avantgarden entwarf der Oxforder Literaturprofessor Tolkien ein neoromantisches Epos, das vor allem das Verlangen des weniger kunstinteressierten Publikums nach Inhaltssattheit und "großer Erzählung", nach heldischen Helden und klarem Gut-Böse-Schema befriedigte - alles Elemente, die man nun getreulich auf die Leinwand zu bringen sucht.

Ein Hauch von Blut und Boden

Politisch halten sich die Lesarten die Waage: Man kann die letztlich glückende Rebellion der Hobbits durchaus marxistisch als proletarischen Sklavenaufstand, als Revolte der kleinen Leute interpretieren, umgekehrt aber auch als reaktionären Reflex und dumpfe Verherrlichung bäuerischen Landlebens gegen die als "böse" skizzierte industrialisierte Stadt.

Im Oberschurken Saruman lassen sich unschwer Züge von Tolkiens Faschismuserfahrung aufzeigen: Im Zentrum des jetzigen zweiten Teils steht der - auch so genannte - "Vernichtungskrieg" gegen das Volk der Rohan, bei der jeder informierte Betrachter Holocaust-Bezüge nicht völlig wegdenken kann, zumal Regisseur Peter Jackson in der Skizzierung von Sarumans Streitmacht und ihrer Kriegführung offen mit der Motivik von Leni Riefenstahls Parteitagsfilmen spielt.

Andererseits ist das, wofür Tolkien dann eintritt, eine Art Völkerbund von Mittelerde gegen das Böse, in der bis zum Erbrechen wiederholten Forderung nach Geschlossenheit, dem wenig variierten Appell an die Völker: "Ihr dürft nicht beiseite stehen, Ihr müsst kämpfen!", kaum weniger totalitär. Nur eines will partout nicht recht gelingen: Ein Loblieb auf Liberalismus, Demokratie und Individualität sucht man im "Herrn der Ringe" vergebens.

Ein Hauch von Blut und Boden, eine Lust am Spiel mit dem Apokalyptischen und an einer manichäisch kristallklaren Antinomie der zwei unvereinbaren Realitäten von Gut und Böse weht durchaus durch die Geschichten vom Auenland und Mittelerde, vom Bündnis der Bäume und Trolle und Elben mit den Menschen, gegen die "neue Macht".

Mit seinem Paralleluniversum entwirft Tolkien einen synthetischen Mythos, nicht totalitär vielleicht, aber reaktionär, in seinen Botschaften zutiefst anti-modern. Wie in vielen Mythen steht eine Reise des Helden im Zentrum, die zugleich eine Fluchtbewegung ist, eine Vertreibung aus einem Paradies, das von nun an für immer verloren ist. Diese Fluchtbewegung führt die reisenden Helden in diesem Fall ins Innere des Bösen und ähnelt darin Conrads apokalyptischem Heart of Darkness. Frodo und seine Kumpels, die schon Helden der Hippie-Bewegung waren, sind "psychadelic soldiers" der anderen Art.

Blut und Herkunft, erfährt man, sind stärker als Willenskraft, Mission und "Auftrag" wichtiger als Hedonismus, Individualität zählt wenig, das Volk ist alles.

Die Verhältnisse sind autoritär, die Mythen vulgär

Das Arsenal der Bilder und Denkfiguren ist dabei eindeutig der europäischen Romantik entlehnt: Und Tolkien ergreift Partei für deren harmonisierende, anti-rationale, germanische Seite, gegen die kritische, düstere, die sich als Fortsetzung und Ergänzung der Aufklärung des 18.Jahrhunderts begriff, nicht als ihr entgegengesetzte "Neue Mythologie". Hölderlin soll über Byron siegen, die Blaue Blume über "Gothic".

Tolkiens Werk ist in seiner Naturverherrlichung, Ruinenästhetik und Technikfeindschaft geprägt von Nostalgie gegenüber einer vorindustriellen, romantisch verkitschten und dabei von aller inhärenten, Brüchigkeit garantierenden Bedrohlichkeit befreiten, Welt. Magie und Utopie, damit auch Apokalypse (= "Heilsbeschleunigung") sollen dazu dienen, die Fragmente der modernen Welt in der Idylle einer rückwärts gewandten Utopie wieder zusammenzufügen.

So erscheint die Geschichte als eine kathartische Katastrophe, die zwei ungeschichtliche Zeitalter - "vorher"-"nachher" - miteinander verknüpft, und diese Katastrophe wird zu einer märchenhaften Entlastungsgeschichte ästhetisiert, die die Erfahrung des Unheimlichen und des Monströsen zur "anderen Seite" verniedlicht, die "das Gute" letztlich nicht tangiert, sofern man nur der Versuchung widersteht...

Dazu passt auch das traditionalistische, rechtskatholische Menschenbild des sex- und humorlosen Werkes: Frauen sind entweder madonnen- und mütterhafte Elben oder Monster, ansonsten herrschen männerbündelnde Gefolgschaftsbeziehungen (Frodo-Sam, Aragorn-Gimli) oder Vater-Sohn-Verhältnisse (Gandalf-Frodo). Die Verhältnisse sind autoritär, die Mythen vulgär, geprägt von Obskurantismus und einem diffusen Wandern um das Unsagbare, dunklen Vorahnungen - Mittelerde ist ein geistiges Ground Zero.

Diener des Marktes

Egal, ob man sich diesem nun mit Sigmund Freud oder C. G. Jung, mit Theologie oder Philosophie, Ethnologie oder Geschichtswissenschaft nähert - immer wird man mit vielerlei Fundstücken zurückkehren. Gerade diese Deutungsvielfalt, oder vielleicht einfach Beliebigkeit macht ja die kaum gebrochene Wirkung dieser Geschichten in der Gegenwart aus, die offenbar dem Weltfluchtbedürfnis vieler Menschen zur Jahrtausendwende sehr entgegenkommen. Insofern entzieht sich auch der Film aller Kritik, scheidet das Publikum in Gläubige und Ketzer.

Dass all dies die Fans überdies wenig bekümmern und ebenso wie die Opfer der übermächtigen Marketingstrategie kaum vom Kauf der Kinokarte abhalten dürfte, ist ebenfalls klar. Aber mit künstlerischem oder gar intellektuellem Niveau verwechseln darf man Kassenerfolge deswegen noch lange nicht.