Ein Sommermärchen
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Die Flüchtlinge scheinen bis zum 13. September Glück gehabt zu haben, dass Deutschland dringend eine gute Public Relations Kampagne brauchte
Der Deutsche, das unbekannte Wesen. Das englischsprachige Wirtschaftsportal Business Insider versuchte unlängst, sich unter Rückgriff auf ausgedehnte historische Exkurse einen Reim auf die abrupten Wandlungen deutscher Politik im Verlauf der europäischen Flüchtlingskrise zu machen.
Die gegenwärtige Bereitschaft Berlins, die vor dem ausartenden Chaos im arabischen Raum fliehenden Flüchtlinge aufzunehmen, stehe im starken Kontrast zu der unnachgiebigen Haltung Schäubles und Merkels in der Griechenland-Krise, bemerkte der Business Insider.
Europas größte Volkswirtschaft sei während der Auseinandersetzungen mit der griechischen Linksregierung klar der "bad guy" gewesen, der für die Austeritätspolitik verantwortlich gemacht wurde, die Griechenland zu überwinden versuchte. Nun sei Deutschland "Europas Engel", ein Modell, das "Liberale nicht nur auf dem Kontinent, sondern auf der ganzen Welt" zu kopieren suchten, bemerkte Business Insider:
Viele Menschen sind deswegen verwirrt. Wie kann Deutschland so grausam in Südeuropa sein und so positiv gegenüber Menschen, die aus kriegszerrissenen Ländern fliehen?
Die Frage zu stellen heißt, sie zu beantworten: Gerade weil im Gefolge der Griechenlandkrise Schäubles rücksichtsloses Agieren wieder das Bild der "hässlichen Deutschen" europaweit etablierte (Willkommen in der Postdemokratie) musste Berlin nun jede Gelegenheit ergreifen, um das deutsche Image aufzupolieren. Die eskalierende Flüchtlingskrise schien gerade solch eine Gelegenheit zu bieten, um den Hegemon Europas in einem zivilisierten, humanen Licht erscheinen zu lassen.
"Licht für die Nationen der Welt"
Die Sorge um das - in letzter Zeit arg ramponierte - internationale Ansehen der Bundesrepublik im Ausland stellt ein zentrales Anliegen der deutschen Funktionseliten aus Politik und Wirtschaft dar, da der mehrmalige Exportweltmeister ökonomisch sehr stark von seinen Absatzmärkten im Ausland abhängig ist. Eine schlechte Presse ist somit auch schlecht für das Geschäft - und somit haben Politik und Massenmedien die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, als die schon seit Jahren an der europäischen Peripherie schwelende Flüchtlingskrise eskalierte.
Die von Merkel angeordnete Öffnung der deutschen Grenzen für die Flüchtlinge aus den Zusammenbruchsgebieten des Weltmarktes wurde von einer penetranten Pressekampagne begleitet, die vor allem auf Effekt abzielte: auf die Darstellung des guten, des offenen Deutschland. Das paternalistische Bild der "mitfühlenden Mutter Merkel" wurde kreiert: in Anlehnung an die Freiheitsstatue vor New Yorks Küste fungiert sie nun als eine Art Zufluchtssymbol für die Bedrängten und Verfolgten dieser Welt.
Und die PR-Kampagne war auch sehr erfolgreich, wie das um den deutschen Außenhandel stets besorgte Handelsblatt erleichtert feststellte:
Eine deutsche Kanzlerin, die Grenzen öffnet, statt Ländern wie Griechenland Sparsamkeit zu predigen, das rüttelt an Stereotypen. Italiens Medien beschäftigen sich seit Tagen mit diesem seltsamen neuen Deutschland. In der Griechenland-Krise wurde Merkel gerne mit der Pickelhaube dargestellt. Jetzt versuchen die Medien, den Wandel der deutschen Seele zu erklären.
Die deutsche "Offenheit gegenüber Flüchtlingen" sei dabei, das "Bild des Landes im Ausland" zu verändern, freute sich die Wirtschaftszeitung. Die "Zerstörerin Europas", die mit ihrem gnadenlosen Machtspielen die EU an den Rand des Zusammenbruchs führte, habe sich nun in eine "Heldin" und in "das gute Gesicht" gewandelt. Deutschland, dies sei nun nichts weniger als das "Licht für die Nationen der Welt", delirierte das Handelsblatt in Anlehnung an einen Kommentar der israelischen Haaretz.
Diese penetrante Imagekampagne im deutschen Pressewald, mit der die eskalierende Flüchtlingskrise zum Aufpolieren der Marke "Made in Germany" benutzt wurde, ließ auch das Satiremagazin Titanic aktiv werden. Die Hamburger Satiriker ließen Deutschland über die Maßen lobende "internationale Pressestimmen" zu Wort kommen - die ausschließlich aus den entsprechenden Schlagzeilen deutscher Zeitungen bestanden.