Ein Vorname und der Untergang des französischen Nationalstaats
Seite 3: Zemmour & Vichy
In einem weiteren Punkt unterscheidet Zemmour sich deutlich von Sarrazin. Letzterer versuchte sich nicht darin, etwa die NS-Politik offen zu rehabilitieren, was in Deutschland auch ein politisch vergleichsweise riskantes Unterfangen wäre. Hingegen wirft Eric Zemmour sich in manchen Passagen relativ offen für das Vichy-Regime in die Bresche.
Seine Motive sind dabei nicht im Antisemitismus zu suchen; auch wenn Eric Zemmour auf Seite 263 seines Schinkens bspw. auch behauptet, die französischen Juden seien heutzutage in der Gesellschaft "eine unantastbare Kaste" geworden, und wenn er auf Seite 383 das angebliche "Talent" des Theatermachers und antisemitischen Agitators Dieudonné M’bala M’bala positiv hervorhebt. Dabei geht es im allerdings zuvörderst darum, das "politisch Unkorrekte" sowie die nationale Einheit zu rehabilitieren, und nicht im Kern um Judenhass.
Zemmour stammt selbst von einer algerisch-jüdischen Familie ab und ist vielleicht gerade deswegen ein glühender französischer Nationalist, weil die Juden in der nordafrikanischen Siedlungskolonie durch die Kolonialmacht als vergleichsweise privilegierte Gruppe behandelt wurden.
Um die einheimische Gesellschaft zu spalten, verlieh Frankreich im unterworfenen Algerien seit 1870 - neben den Christen, also den europäischen Siedlern - auch den ortsansässigen Juden die französische Staatsbürgerschaft, die der Bevölkerungsmehrheit aus Arabern und Berbern jedoch vorenthalten blieb.
Dies führte zu einer dauerhaften Herauslösung der jüdischen Bevölkerungsgruppe, die zum Teil seit über zweitausend Jahren und zum Teil seit der Vertreibung aus Spanien 1492 dort lebte, aus der örtlichen Bevölkerung und kettete ihr Schicksal an die französische Kolonialmacht.
Als französischer Etatist und Nationalist, der erklärtermaßen sein Land am liebsten in einer Figur von der Statur Napoléon Bonapartes verkörpert sähe, ist Zemmour unterdessen um eine zumindest teilweise Rehabilitierung des Vichy-Regimes bemüht. Gegen die Vorwürfe "der dominanten (/ herrschenden) Ideologie", wie er es ausdrückt, nimmt Zemmour dieses und seinen Chef, den Marschall Philippe Pétain, in Schutz.
Deswegen greift er auch den US-amerikanischen Historiker Robert Paxton, dessen 1972 auf Englisch und 1973 auf Französische erschienenes Werk "Das Frankreich Pétains" bahnbrechend war zahlreiche Erkenntnisse aus den Archiven zum Vorschein brachte, heftig an. Im Gegensatz zu dem, was solche Ignoranten behaupteten, wettert Zemmour, habe das Vichy-Regime "die Juden mit französischer Staatsbürgerschaft beschützt".
Dabei habe es, zugegebenermaßen, "die ausländischen Juden geopfert", also an die Vernichtungsmaschine NS-Deutschlands ausgeliefert - dies sei jedoch aus Sicht der Staatsräson verständlich. Im Ergebnis sei es Pétain, welcher "95 Prozent der französischen Juden rettete".
Diese Ausführungen, die in der Nacht vom 05. zum 06. Oktober 2014 zu einem heftigen Wortgefecht im Fernsehen zwischen Zemmour und der (französisch-libanesischen) TV-Journalistin Léa Salamé führten, werden von Historikern und in Fachzeitschriften zerrissen.
So weist der Geschichtswissenschaftler François Delpha in einem Aufsatz in Erwiderung auf Zemmour darauf hin, dass es nicht das Pétain-Regime, sondern ein Teil des französischen Klerus war, der im Sommer 1942 heftig gegen die Deportationen zu protestieren begann. Dessen Druck wurde allerdings durch Teile des klerikal-reaktionären Regimes in Vichy, das für Kritik aus den Reihen der Kirche empfindlich war, aufgegriffen und an die Besatzungsmacht weitergegeben.
Am 23. August jenes Jahres wandte sich der Erzbischof von Toulouse, Saliège, auf der Kanzel offen gegen die Judenverfolgungen. Im September ’42 hätte auf Anweisung der Besatzungsmacht hin auch die Deportation der Juden mit französischer Staatsbürgerschaft aus Frankreich beginnen sollen. Doch am 25. September 1942 ordnete Heinrich Himmler deren vorläufige Aussetzung an.
Zu dem Zeitpunkt bereitete NS-Deutschland sich darauf vor, auch die bisher allein vom Vichy-Regime verwaltete und ohne deutsche Soldaten verbliebene Südzone Frankreichs militärisch zu besetzen, weil die Landung der Alliierten näher zu rücken schien. Deswegen hatte das Reich vorläufig andere Prioritäten. Da Frankreich auf drei Seiten vom Meer umgeben ist und weil zudem viele Juden in die Résistance gingen, konnte tatsächlich eine deutliche Mehrheit von ihnen gerettet werden.
Zu jener Zeit gab Zemmour sich noch betont un- respektive überparteilich, was Auseinandersetzungen zwischen parteipolitischen Protagonisten betrifft. Ende November 2014 allerdings berichtet das Wochenmagazin L’Express auf seiner Webseite darüber, wer - anscheinend auf ehrenamtlicher Basis - das Lektorat des Buchmanuskripts für Eric Zemmours Opus "Le Suicide français" übernommen hatte.
Es handelte sich um Philippe Martel, einen ehemaligen Mitarbeiter bürgerlicher Politiker wie Alain Juppé, der sich jedoch in den Jahren zuvor nach rechts radikalisierte hatte. Bei den Kommunalwahlen 2014 trat er als Spitzenkandidat des rechtsextremen Front National (FN) in Paris an.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.