Ein Weblog des Terrors
Die Lebensgefährtin des Soziologen Andrej Holm, ein Opfer staatlicher Überwachung, schildert ihren Alltag
Über den unter Terrorismusverdacht stehenden Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm ist in den letzten Wochen viel geschrieben wurden (Andrej H., § 129a und die verdächtigen Begriffe). Es gab Solidaritätsbekundungen auch aus dem Ausland und von angesehenen Kollegen. Und einige der gegen ihn erhobenen Vorwürfe sind mehr als absurd. Dennoch wird Andrej Holm auch nach seiner vorzeitigen Haftentlassung vom BKA und der Bundesanwaltschaft weiterhin wie ein Staatsfeind Nr. 1 behandelt und davon betroffen ist auch seine Familie, seine Lebensgefährtin und ihre zwei Kinder.
Wie ein Leben unter ständiger Beobachtung durch das BKA ausschaut, schildert Holms Lebensgefährtin seit Anfang Oktober in dem Weblog Annalist. Ihr Versuch, die Isolierung aufzubrechen, Gegenöffentlichkeit herzustellen und auch der Versuch die staatlichen Beobachter zumindest ein Stück weit selber unter Beobachtung zu stellen. Gleichzeitig hat man zuweilen den Eindruck, dass beim BKA technische Dilettanten am Werke sind oder sollen die offensichtlichen Pannen die Überwachten zusätzlich verunsichern?
Und wieder. Ich rufe Andrejs Handy an und werde aufgefordert, meine eigene Mailbox-PIN einzugeben. Ich versuche es mit dem Festnetztelefon nochmal und höre meine eigene Ansage.
Dann ruft mich jemand anders auf dem Handy an, es klingelt zweimal.. und stürzt ab.
Ich schicke Andrej eine SMS in der Erwartung, dass die dann auch bei mir landet, aber die kommt nicht wieder.
Ich mache eine ersten Versuch, das zu bloggen, und der Rechner stürzt ab. Bei einem neuen Rechner mit neuem Kubuntu, auf dem nur Mail-Client, Browser, Pidgin und ein Open-Office-Dokument laufen, auch nicht unbedingt erwartungsgemäß - auch das kommt in den letzten Tagen zunehmend vor. Zunächst habe ich das für reguläres Schwächeln gehalten, wenn zuviel gleichzeitig läuft und verdächtigte Amarok. Ob mein Computer ein Morgenmuffel ist? Es gibt sicher für alles eine ganz rationale Erklärung.
Genau wie für den Brief, der neulich bei Andrejs Eltern ankam, von einer Bekannten, handschriftliche Adresse, korrekter Absender, offensichtlich privat. Als er ankam, fand sich links unten neben der Adresse ein Stempelaufdruck: 'Irrläufer! Poststelle der Berliner Senatskanzlei'.
Absicht oder Versehen? Auf jeden Fall ziemlich unsouverän.
Dass das BKA dabei nicht vor Schikanen zurückschreckt oder sie zumindest initiiert, wundert nach dem Lesen des Weblogs kaum noch:
Kleine Schikanen am Rande: einem Beschuldigten wurde gerade ohne Angabe von Gründen das Giro-Konto von der Bank gekündigt, einem anderen unvermittelt der Mietvertrag nicht verlängert. Bei uns kommt weiterhin täglich vor, dass, wer Andrej anruft, meine Mailbox erreicht.
Dass die Bundesanwaltschaft und das BKA eine eigene, wenn auch groteske Logik bei ihrer Arbeit entwickelt haben, zeigt dieses Beispiel:
Nach Ansicht von der zuständigen Unterbundesstaatsanwältin muss Andrej just deswegen sofort wieder in U-Haft, weil 1. zu befürchten steht, dass er sofort abhaut, wenn er draußen ist. Das begründet sie u.a. mit einem weiteren schnuckeligen Mitschnitt eines Telefonats zwischen Andrej und seiner Mutter irgendwann im Frühjahr (ein Wunder, dass die überhaupt noch telefoniert). Darin geht es um eine Bewerbung auf eine Stelle an einer Uni in den Niederlanden. Wie denn das gehen wird, wenn er da arbeitet, mit der Familie, fragte sie da. Und er antwortete, dass er dann, wenn das denn klappt mit der Stelle, vielleicht erstmal pendeln muss. Und dass wir vielleicht irgendwann nachziehen würden. Und was macht unsere Lieblingsbehörde daraus? Die angeblich so enge Bindung an die Familie ist ja wohl nicht gegeben = Fluchtgefahr, ganz klar! Bzw., falls das nicht reicht: er würde ins Ausland umziehen, mit Familie!
Wie schnell man als Überwachter an den Rand der Paranoia getrieben wird, beschreibt dieser Ausschnitt:
Was mich daran erinnert, dass ich kürzlich in einem Telefonat versehentlich die Formulierung gebraucht habe, dann denken sie bestimmt gleich wieder, dass wir sofort irgendwelche Anschläge vorbereiten, wobei ja meines Wissens niemand davon ausgeht, dass ich Anschläge vorbereite, und ich mir dann innerlich auf die Zunge biss, weil ja zu befürchten steht, dass das BKA samt BAW jetzt vielleicht denken, dass ich Anschläge vorbereiten wollen könnte.
Wer Annalist sorgfältig liest, erfährt also von Menschen, denen man das Recht auf Privatsphäre völlig genommen hat, die eingeschüchtert und in die Enge gerieben werden. Und er lernt dabei eine Bundesrepublik kennen, in der Bundesbehörden und Polizei ganz offen und scheinbar ganz legal staatliche Willkür ausüben. Ein Dokument, das erschrocken und betroffen macht. Und Schlimmes für die Zukunft befürchten lässt.