Ein fußballerischer Grexit auf Bewährung

Bild: Wassilis Aswestopoulos

Der griechische Fußball wird von politischen und unternehmerischen Interessen bestimmt und endgültig zur Farce

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Die jüngsten Entwicklungen im griechischen Fußball lassen den Sport immer mehr in den Hintergrund treten. Politische und unternehmerische Interessen bestimmen das Bild. Der "Böse" in dieser Geschichte ist nicht nur der als "Pistolero" bekannt gewordene Mehrheitseigner der Fußball AG PAOK Thessaloniki (Der Tod des griechischen Fußballs. Die Griechen erfuhren am Mittwoch, dass der fußballerische Grexit seitens der UEFA ernsthaft in Betracht gezogen wird. Es ist als erste Konsequenz von einem Grexit auf Bewährung die Rede.

Die Bilder von Ivan Savvidis, der nach einer umstrittenen Abseitsentscheidung in der Endphase des Spiels PAOK Thessaloniki gegen AEK Athen das Spielfeld stürmte, gingen um die Welt. Allein für den Platzsturm sind strenge Strafen vorgesehen. Zudem hatte der Oligarch bei seinem Wutausbruch sichtbar einen Revolver am Gürtel.

Auch, wenn der Waffenbesitz von Savvidis formal legal ist, stellt dieser Vorfall einen doppelten Gesetzesbruch dar. Waffen in Stadien sind verboten, das offene Tragen einer zum eigenen Schutz geführten Schusswaffe auch. Die griechische Fußballmeisterschaft wurde mit Verweis auf Savvidis von der Regierung unterbrochen. Es sollte über eine harte Strafe entschieden werden, damit der drohende Grexit des griechischen Profifußballs durch FIFA und UEFA verhindert wird.

PAOK würde durch die Bestrafung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die sportlich errungene Fußballmeisterschaft verlieren. Bei einer strengen Regelauslegung könnte sogar der Abstieg drohen. Dabei haben die Spieler auf dem Feld sowohl gegenüber randalierenden Fans als auch in Reaktion auf ihren wütenden Vereinspräsidenten Rückgrat gezeigt, was wiederum im Fall einer Vereinsstrafe ausgerechnet die Aufrechten bestrafen würde. Für den Fußball Nordgriechenlands wäre es doppelt bitter, denn PAOK ist momentan der letzte Verein Thessalonikis, der zweitgrößten Stadt Griechenlands, der in der ersten Liga spielt. Dagegen stammen sechs der sechzehn Teams der Superleague aus der Hauptstadtregion.

Auf- und Abstieg, Meisterschaften und Strafen werden nicht auf dem Spielfeld, sondern in einer dritten Halbzeit entschieden

Die Vereine Thessalonikis scheiterten am "grünen Tisch". Apollon Kalamaria, heute Apollon Pontou, hatte in der Saison 2007-2008 den österreichischen Stürmer Roman Wallner unter Vertrag genommen. Wallner erhielt vom griechischen Fußballbund eine Spielgenehmigung. Ob diese nach den Statuten der FIFA erteilt werden durfte, ist strittig, denn Wallner hatte zuvor innerhalb einer Saison für zwei Teams in Schottland unter Vertrag gestanden, was Apollon Kalamaria nachweislich nicht bewusst war. Allerdings hatte der Underdog aus Thessaloniki auf dem Spielfeld Olympiakos Piräus besiegt und dem Serienmeister somit die Meisterschaft vermiest.

Schließlich entschied das griechische Sportgericht für den Serienmeister und schickte Apollon Kalamaria in die zweite Liga und damit in den finanziellen Ruin. Erst in der laufenden Saison meldete die Kalamaria nun unter neuem Namen in Liga 2, der Footballleague in den Profifußball zurück. In dieser dümpelt ab der nächsten Saison auch Iraklis Thessaloniki, Griechenlands ältester existierender Fußballverein, der seit 2011 zweimal seine Lizenz verlor und sich zweimal wieder zurück kämpfte. Iraklis war bereits nach der Saison 1979-80 trotz achtem Platz in der Liga zum Zwangsabstieg verurteilt worden.

Der nächste Traditionsverein aus Thessaloniki, der vom Verband benachteiligt wurde, ist Aris Thessaloniki. Der Verein war in der Saison 2010-11 knapp an der Qualifikation für die Europa-League gescheitert. Allerdings geschah dies nachweislich wegen geschobener Spiele der Konkurrenten. Obwohl die Schiebung bereits vor dem Start der Europa-League bekannt war, regierte die Sportgerichtsbarkeit zu langsam für Aris. Entschädigt wurde der Verein nie. Die entgangenen Einnahmen erwiesen sich als fatal, nach "Sanierung auf Griechisch" durch freiwilligen Gang in die dritte Liga, kämpft der Verein nun um den Wiederaufstieg in die Superleague.

So weit so gut - oder auch nicht. Denn am Beispiel PAOK und Thessaloniki zeigt sich, dass Auf- und Abstieg, Meisterschaften und Strafen im Land nicht auf dem Spielfeld, sondern in einer dritten Halbzeit entschieden werden. Wie anders ist es zu erklären, dass der finanziell bankrotte Club Panathinaikos Athen, ein Traditionsverein, mit allen Mitteln in der ersten Liga gehalten werden soll? Panathinaikos Athen, kurz PAO, geriet mit der Zahlung der Gehälter an ehemalige Spieler in Verzug. Gemäß den Statuten hatte dies Punktabzug zur Folge, der mit der verspäteten Zahlung der Schulden an die Sportler, oder mit vereinbarten Ratenzahlungen wieder rückgängig gemacht werden konnte. Sportlich hielt diese für PAO vorteilhafte Regelung den Club am Leben. Die Lizenzunterlagen sind jedoch so dürftig, dass dem Verein die Lizenz entzogen werden müsste.

Panathinaikos, mit einem gegen Ajax Amsterdam 1971 verlorenen Endspiel im Pokal der Landesmeister der bislang international erfolgreichste griechische Fußballverein, darf aber nicht absteigen. Denn das wollen weder die Hauptstadtclubs, noch die von ihnen abhängigen Vereine. Sie wollen, dass die entsprechende Regel nachträglich geändert wird. Für diese Gnade gegenüber dem Konkurrenten stimmte auch AEK Athen, der Verein, der ebenso wie Aris die Sanierung über die dritte Liga wählte. PAO jedoch müsste nach mittlerweile verschärften Gesetzen noch tiefer neu anfangen. Das wollten die Hauptstadtkonkurrenten dem bei Derbys geliebten Zuschauermagneten dann doch nicht zumuten.

PAOK hat nun die moralische Oberhand - trotz des Platzsturms des Präsidenten. Denn, so die Verantwortlichen von PAOK, wenn Panathinaikos als Traditionsclub nicht absteigen müsse, dann sollte auch der in der letzten Saison zum Zwangsabstieg verurteilte Traditionsverein Iraklis wieder in die erste Liga gehievt werden. Pikant ist, dass PAOK ausgerechnet von dem Reeder und Medienmulti in den Ruin gewirtschaftet wurde, der in den Jahren der Wirtschaftskrise Griechenlands mit seinen Medien die Zahlungsmoral der Hellenen anprangerte, Yannis Alafouzos.

"Der, dessen Name nicht genannt werden sollte"

Bleibt noch über den Serienmeister zu berichten. Dieser heißt bekanntlich Olympiakos Piräus. Der Verein stieg nicht ab, als Ende der achtziger Jahre sein Clubpräsident Giorgos Koskotas wegen Millionenbetrug festgenommen wurde.

Koskotas hatte die Bank of Crete mit ihrem eigenen Kapital gekauft - die Politik sah dabei zu. Er hatte einen Teil des so "gewonnenen" Reichtums in den Club gesteckt, was diesen zwar nach dem Skandal ein paar Jahre ohne Meisterschaft, nicht jedoch den Zwangsabstieg bescherte. Ein politischer Witz im Land besagt, dass die Revolution des Volkes keineswegs aufgrund der sozial ungerechten Sparmaßnahmen kommen wird. Sie würde erst auf einen Zwangsabstieg von Olympiakos folgen, meinen Spötter.

Der heutige Clubpräsident, bei dem für Medienschaffende der Rat, ihn "du weißt schon wer" zu nennen, angebracht ist, wehrt sich juristisch gegen alle Anschuldigungen, welche ihn mit Skandalen in Verbindung bringen. Er hat sein Medienimperium, Savvidis hat ein anderes. Der Fußballstreit wird in Griechenland auch medial ausgetragen.

"Der, dessen Name nicht genannt werden sollte", wurde am Montag vom obersten Gericht per Dekret von Anschuldigungen der Verwicklung in den großen griechischen Wettskandal frei gesprochen. Es gibt kaum jemand, der zweifelt, dass dies auch mit den gegen ihn in anderen Fällen erhobenen Anklagen geschieht. Er beschäftigt nun die britische Presse, weil er Mehrheitseigner eines Clubs in der zweiten englischen Fußballliga ist. Hier wurden entsprechende Berichte des Guardian mittlerweile entfernt.

Es ist nahezu unmöglich, juristisch korrekt einzuschätzen, welcher Verein und welcher Clubpräsident vollkommen unschuldig ist. Savvidis könnte sich auf eine Verteidigungsstrategie begeben, welche die oben erwähnten und zahlreiche aus Platzgründen nicht erwähnten Ereignisse als Grund für seinen Platzsturm erklärt. Dann hätte er auch die "berechtigte Wut", welche ansonsten strafbare Handlungen straffrei lässt, sofern keine Personen zu Schaden kommen, als Argument. Er könnte also durchaus straffrei bleiben.

Darüber entscheiden bekanntlich Gerichte und alle, die nicht rechtskräftig in letzter Instanz verurteilt sind, gelten vor dem Gesetz als unschuldig. Das, was jedoch zweifelsfrei festgestellt werden kann, ist, dass sich die Presseerzeugnisse von drei Fußballpräsidenten nun gegen die Regierung richten.

Die griechische Fußballmeisterschaft wird am nächsten Wochenende wieder beginnen. Bereits 1989 hat der griechische Rocker Vassilis Papakonstinou das Fußballwesen gekonnt zu Versen und Noten von Stamatis Mesimeris (9.1.1950 - 3.4.2009) kommentiert. Allein die ersten drei Strophen beschreiben die bis heute gefühlte Wahrheit der Fans:

Die Meisterschaft beginnt,

die Tribüne füllt sich, bei jedem Tor gibt es Trubel.

Aber das Derby ist geschoben, und im Vorfeld verkauft, und du erdrosselst dich mit zweifarbigen Schals

Griechenland, Griechenland, mein Freund, was wird mit uns? Griechenland, Griechenland, sprich zu uns selbst wenn du uns nicht liebst!

Der hörenswerte Song kann über den offiziellen YouTube-Kanal von Papakonstantinou gehört werden.

"Show must go on", entschied die Regierung, die sich in Verlautbarung immer rühmt, den Fußball zu einer Katharsis zu führen. Diese jedoch folgt für die griechischen Vereine nicht in einheimischen Stadien und Sportgerichten. Das böse Erwachen der Vereine, die sich in der griechischen Meisterschaft für europäische Fußballwettbewerbe qualifizieren, folgt in der Regel beim Wettbewerb mit den übrigen Vereinen Europas. Hier können sich die griechischen Vereine die Wintertrikots mit Spielernamen in lateinischen Buchstaben sparen, sie scheiden meist bereits im Herbst aus. Die Zeiten, in denen Fußball-Stars nur "für die Ehre des Trikots" spielten, sind in Griechenland lange vorbei - in anderen Ländern vermutlich auch, aber fast nirgends ist es so offensichtlich wie in Hellas.