Ein gestrandetes Geschäft

ExxonMobil bei Chicago. Bild: Richard Hurd/CC BY-2.0

Der Ölkonzern ExxonMobil warnt nach Produktionsrückgang und Gewinneinbußen vor bevorstehenden größeren Abschreibungen von Reserven

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Als Ölreserven gelten jene Lagerstätten, deren genau bekannte Ölmengen mit heutiger Technik vor dem Hintergrund aktueller Rohstoffpreise wirtschaftlich förderbar sein sollen. Sind sie es nicht, gelten sie als Ressourcen. Viele von ihnen hat der hohe Ölpreis in der ersten Dekade des neuen Millenniums zu Reserven befördert - zwischenzeitlich. Mit dem Einbruch des Ölpreises werden sie nun wieder zu dem gemacht, was sie vorher waren. Für Anleger werden sie damit vorerst wertlos: sie sind "stranded assets".

Das weltweite Ölgeschäft hat angesichts der aktuell niedrigen Ölpreise mit Problemen zu kämpfen. Das bisherige Geschäftsmodell bestand meist darin, wenigstens soviel neues Öl zu finden, wie verkauft wurde, es dann unter künftige Verkäufe zu buchen und in die Suche nach neuen Reserven zu reinvestieren. Das funktionierte bei hohem Ölpreis, der 2008 bis auf 147 US-Dollar pro Barrel kletterte. Diese Logik zwang die Unternehmen in einen Teufelskreis, in dessen Folge immer teuere Lagerstätten angegangen wurden. Plötzlich waren auch nichtkonventionelle Vorkommen wie die kanadischen Ölsande attraktiv.

Doch jetzt ist alles anders. Die Anzahl der betriebenen Bohrtürme ist rückläufig. Von den noch 2014 allein in Texas operierenden mehr als 900 Fördertürmen waren im Oktober 2016 noch 250 aktiv. Die Zahl der Erkundungsbohrungen geht zurück. An anderen Stellen der Wertschöpfung kommt es ebenfalls zu Verwerfungen (Tanker-Stau auf den Weltmeeren).

Auch ExxonMobil steckt in einer ernsten Krise - zumindest einem Beobachter zufolge sei das Unternehmen in einem "unumkehrbaren Niedergang" begriffen. Die Profite bewegen sich auf einem 17-jährigen Tiefstand, die Aktien sind 17% weniger wert als noch 2014. Die jährlichen Einkünfte sind in den letzten fünf Jahren um 45% zurückgegangen, die langfristigen Verbindlichkeiten haben sich im gleichen Zeitraum auf 30 Milliarden US-Dollar vervierfacht.

Exxon hatte sich außerdem bei Ausgaben für Bohrungen und neue Erschließungen von Öl- und Gasfeldern zurückgehalten, um Geld für die fälligen Dividendenzahlungen von 9.2 Milliarden US-Dollar allein für die ersten neun Monate des laufenden Jahres aufbringen zu können. Erstmals seit der "Great Depression" hat Exxon in diesem Jahr sein AAA-Kredit-Rating verloren. Und erstmals seit 1992 hat das Unternehmen seine Öl- und Gasreserven vom letzten Jahr nicht vollständig ersetzt.

Ärger im Tschad

Im Oktober 2016 entschied das Hohe Gericht in N'Djamena, der Hauptstadt des Tschad, auf eine Rekordstrafzahlung von 74 Milliarden US-Dollar. Die Summe entspricht dem Fünffachen des tschadischen Bruttoinlandsprodukts. ExxonMobil soll seinen Verpflichtungen als Steuerzahler nicht nachgekommen sein, außerdem seien Lizenzgebühren fällig. Internationale Beobachter glauben nicht, dass der Tschad das Urteil durchsetzen kann. Sie deuten das Urteil eher als ein Signal zu Neuverhandlungen der Abmachungen als etwas, worüber sich Anteilseigner Sorgen machen sollten. Dafür spreche eine einstweilige Verfügung, in der zunächst 669 Millionen US-Dollar gefordert werden. Im schlimmsten Falle würde Exxon seine Vermögenswerte im Tschad verlieren. Doch im Konzern pocht man auf Vertragstreue, um die im Projekt erträumten Langzeitvorteile zu erreichen.

2006 gab es einen ähnlichen Fall mit den ebenfalls vor Ort aktiven Unternehmen Chevron und Petronas, die wegen nicht erfolgter Steuerzahlungen 24 Stunden Zeit hatten, das Land zu verlassen. Später wurde eine Einigung gefunden.

Der Tschad kämpft mit einer Wirtschaftskrise, da die Einnahmen aus dem Ölgeschäft wegen der gegenwärtigen Weltmarktpreise zurückgehen. Boko Haram behindert den Handel mit Nigeria und Kamerun, Haushaltskürzungen haben Streiks und Studentenproteste ausgelöst.

Exxon hatte 2001 mit Erkundungen im Tschad begonnen. Seit 2003 wird Öl gefördert und über die unternehmenseigene Pipeline nach Kamerun gepumpt, von wo aus es verschifft wird.

Reserven zu Ressourcen zurückstufen

Während ein Großteil der Unternehmen ihre Reservenangaben bereits an den niedrigeren Ölpreis anpasste, hat ExxonMobil bisher weitestgehend darauf verzichtet. Dort hieß es 2014, dass keine der Reserven Gefahr liefe, zu "stranden", man rechnete mit Gewinnen über längerfristige Zeiträume. Doch jetzt ist das Öl nur noch die Hälfte wert, und nun warnt man auch bei ExxonMobil vor der möglicherweise bevorstehenden größten Berichtigung von Reservenangaben in der Unternehmensgeschichte.

Sollten die derzeit bestehenden niedrigen Ölpreise andauern, würden 3,6 Milliarden Barrel kanadischen Ölsands des Kearls-Projekts und eine Milliarde Barrel Öl aus anderen nordamerikanischen Feldern zu Ressourcen abgestuft werden, weil bei den gegenwärtigen Preisen ihre Förderung nicht mehr rentabel sei. Das entspräche 19% der ExxonMobil-Reserven und käme der größten Umdeklarierung seit der Fusion 1999 gleich, seit der der Konzern in seiner heutigen Form operiert.

ExxonMobil hatte bereits im letzten Jahr eine halbe Milliarde Barrel Erdgas aus seinen Reserven gestrichen, hauptsächlich aus Feldern in den Vereinigten Staaten, die aufgrund fallender Rohstoffpreise nicht mehr profitabel waren. Das entsprach einer Verringerung der Gesamtreserven des Unternehmens um 2%, der ersten seit 2008.

Exxon-Doba-Ölfeld, Tschad. Die Förderanlage braucht sechsmal soviel elektrischen Strom wie der ganze Tschad zusammen. 1996 hatte Exxon im Doba-Becken die Entdeckung von bis zu einer Milliarde Barrel Öl bekanntgegeben. Das Förderprojekt galt zunächst als Modellfall für die afrikanische Erdölförderung. Doch bald drangen Geschichten mit apokalyptischen Untertönen nach außen. Und während das Öl des Tschads über Kamerun aus dem Land geschafft wird, bleibt den Einheimischen nur die Versorgung mit nigerianischem Benzin, meist Schmuggelware. Bild: Google Maps

Neue Funde

ExxonMobil versucht, mit neuen Lagerstättenmeldungen das Gesamtbild zu verbessern, so im Mai 2015 mit der Entdeckung einer "Weltklasse-Lagerstätte" in den Gewässern Guyanas, die bis zu 1,4 Milliarden Barrel Öl zutage fördern soll.

Ende Oktober 2016 hatte Exxon eine weitere große Entdeckung bekanntgegeben, diesmal vor der Küste Nigerias. Die Nachricht kam zeitnah zur Ankündigung der Berichtigung vorhandener Reserven des Unternehmens. Die beiden 100 Kilometer südöstlich des Bonny-Ölterminals im Nigerdelta gelegenen Felder Owowo-2 und Owowo-3 sollen es zusammen auf bis zu eine Milliarde Barrel Öl an förderbaren Ressourcen bringen.

Ob diese Meldung aufgestörte Investoren beruhigen wird, ist fraglich. Das Offshore-Öl Nigerias ist nach wie vor Angriffsziel der Niger Delta Avengers. Deren Strike Team 06 hatte erst am 25. Oktober 2016 die von Chevron betriebene Escravos Export Pipeline unterbrochen. Die Pipeline bringt Offshore-Rohöl zu Raffinerien auf das Festland, das dort zu Treibstoffen aufgearbeitet wird.

Klima: "Lasst das Zeug im Boden!"

Aufgrund des zwischenzeitlichen Schieferöl-Booms ist es um die Debatte zum globalen Ölfördermaximum ruhiger geworden. Mit wachsenden Bedenken aufgrund des Klimawandels geriet das alte Geschäftsmodell der Ölförderer zunehmend in die Kritik. Die Internationale Energieagentur vertritt heute die Auffassung, dass zwei Drittel der bekannten Reserven fossiler Energieträger unverbrannt im Boden verbleiben müssten, um das 2°C-Ziel nicht zu gefährden - falls in absehbarer Zeit keine brauchbaren Technologien zur CO2-Abscheidung und -Speicherung zur Verfügung stünden.

2015 veröffentlichte die Citigoup einen Bericht, demzufolge Maßnahmen gegen den Klimawandel große Teile der Reserven von Ölunternehmen wertlos machen und zu Verlusten in der Größenordnung von Billionen von US-Dollar führen könnten.

Mit dem ratifizierten Übereinkommen von Paris glauben immer mehr Investoren, dass die Regierung Schritte zur Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen einleiten wird. Die größten Gesellschafter der Ölkonzerne sind bei Rentenkassen, institutionellen Investoren und großen Vermögensverwaltern angesiedelt, die unter Umständen nun mit auf dem Trockenen sitzenden Vermögenswerten konfrontiert werden.

Die US-Börsenaufsichtsbehörde (Securities and Exchange Commission - SEC) und die New Yorker Generalstaatsanwaltschaft untersuchen mittlerweile, wie ExxonMobil den momentanen und künftigen Wert seiner Assets einschätzte. Dabei soll auch Exxons Praktik beleuchtet werden, Öl- und Gasreserven trotz fallender Preise nicht zurückzustufen. Die SEC hatte bereits 2013 zum selben Sachverhalt angefragt, gab sich aber mit den Projektionen erwarteter künftiger Einnahmen von Seiten Exxons zufrieden.

Die New Yorker Generalstaatsanwaltschaft untersucht seit vergangenem Jahr außerdem, inwieweit ExxonMobil Informationen zu möglichen klimawandelbedingten Risiken vor Anteilseignern und der Bevölkerung zurückgehalten hat. Das Unternehmen hatte gegenüber der SEC erstmalig 2007 Angaben zu diesen Risiken gemacht.