Ein ideologischer Hurrikan über Polen
Staatspräsident Andrzej Duda nennt im Zuge des Wahlkampfs die LGBT-Bewegung "neobolschewistisch", um das rechte Elektorat zu mobilisieren. Dabei hat er jedoch eine Grenze überschritten
"Wir müssen diesen ideologischen Hurrikan aushalten", rief Staatspräsident Andrzej Duda seinen Anhängern am Montag in Lublin zu, während ihm Buhrufe von Gegendemonstranten entgegenschallten.
Der Nationalkonservative hatte am Wochenende beim Wahlkampf mit einer umstrittenen Äußerung zu sexuellen Minderheiten für einen Skandal mit internationalem Ausmaß gesorgt.
Duda verglich die Vertretungen von Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender mit "Neobolschewismus" und warnte vor einer neuen Ideologie, die die Kinder an Schulen sexualisieren könnte - ein Vergleich mit der sowjetischen Indoktrination Polens.
Duda verteidigte dabei Jacek Zalek, einen Abgeordneten der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), der zuvor aus dem Studio des Fernsehsenders TVN flog, da er erklärte, dass "LGBT keine Menschen, sondern eine Ideologie ist". Auch diesen Satz wiederholte Duda in etwa sinngemäß. Dabei entsteht die Gefahr eines Missverständnisses. Der Präsident wollte sexuellen Minderheiten nicht das Menschsein absprechen, sondern wollte die Art und Weise, wie ein Teil der sexuellen Minderheit ihre Rechte einfordern, als ideologische Strömung abtun. Duda führte dies auch aus, als er sich auf Homosexuelle bezog, die ihre Orientierung nicht mit offiziellen Forderungen verbinden.
Die Topmedien Amerikas und Großbritanniens, Associated Press, Reuters, New York Times und weitere griffen dies, so eine Kurzübersicht, auch korrekt auf. Duda twitterte hierzu "Bitte keine Fake News mehr verbreiten. Meine Worte wurden aus dem Kontext gerissen. . Die PiS, die Duda unterstützt, hat wie einst im Parlaments-Wahlkampf vor einem Jahr nun das Thema sexuellen Minderheiten ausgepackt, die mit ihren Forderungen nach mehr Rechten das traditionelle Polen in seinem Kern bedrohen (Wir müssen unsere Nationalkultur schützen).
Elio Di Rupo, Ministerpräsident der belgischen Region Wallonien beantragte ein erneutes Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen und einen Entzug von EU-Geldern, bislang laufen Verfahren aufgrund der umstrittenen Justizreform.
Dabei äußerte sich ein Mitarbeiter seines Wahlkampfstabes, Przemyslaw Czarnek, hierzu weit deutlicher: "Diese Menschen sind nicht gleichwertig gegenüber normalen Menschen." Und der Fraktionsvorsitzender der PiS, Ryszard Terlecki, einst ein Hippie, stellte ebenso die Normalität der sexuellen Minderheiten in Frage.
"Ideologie des Bösen"
Beobachter sehen die Attacke auf sexuelle Minderheiten als Zeichen einer gewissen Nervosität im Stab von Duda angesichts der Wahlen, die am 28. Juni und voraussichtlich am 12. Juli stattfinden. Zum einen könnten so die steigenden Fallzahlen in der Pandemie überspielt werden. Zum anderen ist der mit 47 Jahren gleichaltrige Rafal Trzaskowski, Kandidat des Wahlbündnisses "Bürgerliche Koalition" (KO), Duda für den Stichtag im Juli in Umfragen gefährlich nahe gekommen.
Der Warschauer Oberbürgermeister wirkte als EU-Politiker und als stellvertretender Außenminister in der Vorgängerregierung und verspricht, Polen wieder zu vereinen - als Korrektur zu dem polarisierenden Kurs des einflussreichen PiS-Parteichefs Jaroslaw Kaczynski. Und gerade Trzaskowski löste Anfang vergangenen Jahres mit seiner Initiative für mehr Aufklärung über die LGBT-Gruppe einen Sturm der Entrüstung aus - Gemeinden, Kreise und auch Wojewodschaften erklärten sich darauf zur LGBT-freien Zone, was das EU-Parlament im Dezember kritisierte. LGBT-Paraden konnten nur unter massivem Polizeischutz stattfinden.
Derzeit wird er von den Medien des Regierungslagers angefeindet, da er seine Kinder nicht zur Kommunion schickte, weil die Eltern mit dem Kurs des Klerus nicht einverstanden waren - ein Akt der im fast einheitlich katholischen Polen ungewöhnlich ist, zumal sich seine Partei als konservativ-liberal betrachtet.
Nach Umfragen sind derzeit jedoch nur 37 Prozent der Polen bereit, eine eingetragene Lebenspartnerschaft von Homosexuellen zu akzeptieren. Auf der anderen Seite gibt es mit Robert Biedron einen offen schwulen Präsidentschaftskandidaten, der aufgrund der großen liberalen Konkurrenz gerade bei drei Prozent liegt. Er ruft nun zu Großdemonstrationen auf, da das Regierungslager den sexuellen Minderheiten die Menschlichkeit abspräche.
Duda beschwor hingegen am Montag den verstorbenen Papst, der bei Lebenspartnerschaften Homosexueller und deren Kinderwünschen von einer "Ideologie des Bösen" spricht. In Polen sind über 90 Prozent katholisch, ein schwerwiegendes Argument also.
In seinen Wahlauftritten ist Duda nun schärfer geworden, er spricht von "Verrätern" und "Dieben", die er bekämpfen will. Somit zeichnet sich ab, dass er lieber das rechte Elektorat mobilisiert, als zu versuchen, die Mitte für sich zu überzeugen.
Polens Regierung könnte es sich mit den USA verscherzen
Doch angesichts der Unruhen in den USA und anderer Länder über die Diskriminierung von Menschen anderer Hautfarbe, kann er zwar die Opposition scharf attackieren, jedoch werden Attacken gegen sexuelle Minderheiten weit weniger ein Heimspiel, wie das 2019 war.
Die Vertreter der britischen und amerikanischen Medien entgegneten Duda, sie würden sich gerne mit ihm treffen, um das Thema tiefer zu diskutieren. Der Staatspräsident hat sich noch nicht zu diesem Angebot geäußert.
Bezeichnenderweise sollen Dudas Äußerungen der US-Botschafterin Georgette Mosbacher keineswegs gefallen haben. Nach Angaben der Zeitung Dziennik habe die Diplomatin dem Präsidenten eine Abmahnung geschickt. Darin hieße es, dass "es nicht möglich sei, freundschaftliche Beziehungen mit Washington zu pflegen und sich gleichzeitig einer diskriminierenden Rethorik zu bedienen". Auch soll Dudas Auftreten ein großes Echo in Washington hinterlassen haben.
Die Botschafterin wies die Behauptung der Zeitung via Twitter als Falschinformation ab, betonte jedoch, dass "die USA jede Diskriminierung und Hass in Bezug auf Rasse, Religion, Herkunft sowie sexuelle Orientierung verurteilt". Zu beachten ist zudem, dass Richard Grenell, der ehemalige Botschafter in Deutschland, ein bekennender Homosexueller ist und sich an den Verhandlungen zur Truppenerweiterung in Polen beteiligt.
Polen ist jedoch an einem exklusiven Verhältnis zu den USA gelegen, das Land hofft auf eine Truppenerweiterung der US-Truppen, ein brennendes Thema vor allem angesichts der Reduzierung der amerikanischen Soldaten in Deutschland. Konfliktpotential bietet jedoch ein anderer Umgang mit der Freiheit des Einzelnen in Polen und den USA. Im aktuellen PiS-Polen gibt es den bedrohlichen Druck des immer wieder beschworenen "Wir", eines Gemeinschaftsgefühls, dem man sich unterordnet, eine Opposition dazu wird als Fein außerhalb der Wagenburg, interpretiert. Zu diesem "Wir" gehört auch ein traditioneller Lebensstil.
Der Kollektivdruck, der darüber wacht, speist sich aus der sozialistischen Vergangenheit und der Monopolstellung, die die Katholische Kirche in Polen mit 90 Prozent Zugehörigkeit der Bevölkerung besitzt. In den USA stehen auch bei konservativen Staatsbürgern die Minderheitenrechte und vor allem die Religionsfreiheit in viel höherem Kurs. Dass nun der Kampf einer sexuellen Minderheit für mehr Rechte schlimmer als der Bolschewismus sein soll, leuchtet dort wohl nur einer rechten Randgruppe ein.
Nicht von Ungefähr traten die traditionell PiS-wählenden Polonia-Vorsitzenden in den USA für Duda am Dienstag vor die Öffentlichkeit, um die Wähler und ein positives Polenbild zu mobilisieren.
Andrzej Duda hat jetzt den Konkurrenten Robert Biedron samt dessen Mutter Helena sowie einen LGBT-Aktivisten heute in den Präsidentenpalast geladen und wird hoffen, dass die entsprechenden Bilder bald viral gehen. Helena Biedrona hatte sich zuvor stellvertretend als Mutter von einem schwulen Sohn vor den Präsidentenpalast gestellt und protestiert. Einen Protest von Müttern kann der Nationalkonservative schon gar nicht gebrauchen.
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