Ein nachahmenswertes Open Source Modell in der Genforschung
Die Grenzen zwischen Wissen als öffentlichem Gut und Privateigentum müssen neu gezogen werden
Der Übergang von der Industrie- zur Wissens- oder Informationsgesellschaft bringt es mit sich, daß Reichtum nicht mehr auf dem Besitz natürlicher Ressourcen oder Produktionsmitteln basiert, sondern auf Wissen, daß in Techniken und Produkte umgesetzt werden. Das Eigentum an Wissen läßt den Schutz dieses immateriellen, aber oft teuer herzustellendes Eigentums durch Gesetze oder durch Techniken zu einem der primären Kampffelder der Wissensgesellschaft werden, gleich ob es um Musik, Gensequenzen, Bilder, Software oder Forschungsberichte geht.
Der Trend geht eindeutig in die Richtung der Privatisierung des Wissens, während früher Wissenschaft, vornehmlich innerhalb von öffentlich geförderten Institutionen wie Universitäten betrieben, ihre Dokumente und Ergebnisse eher als Open Source handhabte. Das gehörte auch zum Verständnis der Wissenschaft, die von einer offenen Gemeinschaft von Wissenschaftlern betrieben wurde. Die offene Zugänglichkeit der Information durch Publikationen erlaubt eine Überprüfung der Ergebnisse, aber auch eine Weiterführung der Forschung. Heute hingegen ist eine Patentmanie eingetreten, an der nicht nur die Forschungslabors der Privatwirtschaft, sondern auch die der Universitäten teilhaben. Auf der Strecke bleibt dabei vielfach eine Diskussion darüber, ob die Inbesitznahme von Wissen nicht den wissenschaftlichen Forschungsprozeß langfristig eher behindert und die scientific community zerstört, während die Konkurrenz um die schnelle Aneignung von neuem Wissen überdies zur Verstärkung des Wohlstandsgefälles beiträgt. Das Recht auf Information und auf Zugang zum Wissen ist jedenfalls in die Defensive geraten und wird immer weiter beschnitten.
Aus diesem Grund ist die Bildung eines Konsortiums für einen Bereich der Genforschung, an dem sich 10 große pharmazeutische Unternehmen, darunter Bayer, Hoffmann-La Roche, Novartis und Hoechst Marion Roussel, und vier britische und amerikanische universitäre Forschungslabors sowie die Stiftung Wellcome Trust beteiligen, zumindest vorerst ein gewisser Lichtblick - und ein mögliches Modell für die Zukunft. Das Konsortium will die Ergebnisse des zweijährigen Projekts über 45 Millionen Dollar der weltweiten scientific community unentgeltlich zur Verfügung stellen.
Ziel des gemeinsamen Projekts ist es, die sogenannten SNPs zu sequenzieren und sie in einer Datenbank zu publizieren. SNPs (single nucleotide polymorphismus) sind Varianten der Nucleotiden in den Genen, die sich bei den Menschen unterscheiden. Man geht davon aus, daß die Menschen rund 100000 Gene besitzen und daß 99,9 Prozent der Gene bei allen Menschen identisch sind. Sequenziert sollen in den zwei Jahren 300000 SNPs, deren Identifizierung darüber Aufschluß geben könnte, warum Menschen für bestimmte Krankheiten anfälliger sind, aber natürlich auch, wie sich spezifische Medikamente zur Behandlung entwickeln lassen. Wenn überdies bald DNA-Chips zur Verfügung stehen, mit denen sich schnell und billig der genetische Code eines einzelnen analysieren läßt, dann könnte die SNP-Datenbank die medizinische Forschung und Behandlung enorm voranbringen.
Durch die Kooperation können die beteiligten Unternehmen natürlich Kosten sparen. Man habe sie davon überzeugen können, so Michael Morgan von Wellcome Trust, daß sie ihr Ansehen erhöhen können, wenn sie die Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen: "Das gleicht dem Konzept der Open Source Software. Während Menschen die Datenbank nutzen, gewinnen sie Informationen, die der Datenbank zugunsten von allen hinzugefügt werden." DNA-Sequenzen für das Projekt können der gleichfalls öffentlich zugänglichen Datenbank des Human Genome Project entnommen werden. Die DNA selbst soll von anonymen Spendern kommen. Die im SNP-Projekt gesammelten Ergebnisse können dann natürlich von den Unternehmen zur eigenen Forschung genutzt werden, um Produkte zu entwickeln, die sich dann auch patentieren lassen. An diesem Punkt haben die großen Firmen, die sich am Konsortium beteiligen, weiterhin einen Vorteil, auch wenn der "Quellcode" frei ist.
Interessant ist als Hindergrund für das Projekt, daß das amerikanische Patentamt entschieden hat, daß SNPs patentierbar sind. Daher sind bereits zahlreiche Firmen dabei, die SNPs zu sequenzieren, um sie an pharmazeutische Unternehmen zu verkaufen. Das Projekt des Konsortiums könnte also in diesem Fall auch den Grund haben, durch gemeinsame Anstrengung schneller möglichst viele SNPs zu sequenzieren, um nicht zuviele Lizenzen für die genetische Ressource zahlen zu müssen. Für die scientific community würde die Patentierbarkeit der SNPs zu dem Problem führen, daß es möglicherweise eine Vielzahl von privaten Datenbanken geben wird, die ihre Informationen unter Verschluß halten und nur über Lizenzgebühren zur Verfügung stellen.
Wie immer ehrenvoll oder egoistisch also dieses Projekt auch sein mag, so ist es, was die freie Zugänglichkeit von Forschungsergebnissen aus universitären und privatwirtschaftlichen Labors anbelangt, doch nur ein Tropfen auf einem heißen Stein, solange nicht geklärt ist, wie ganz allgemein der Zugang zu wissenschaftlichen und anderen Informationen geregelt wird, also etwa ob die Weltgesellschaft einen Anspruch darauf hat, bestimmte Informationen frei und unentgeltlich einsehen zu können. Man darf auch gespannt sein, wie wissenschaftliche Fachblätter, die sich auf das elektronische Publizieren umstellen, die Zugangsrechte gestalten werden. Heute kann man gedruckte Zeitschriften noch kostenlos in öffentlichen Bibliotheken lesen, aber wie sieht es mit einem derartigen "öffentlichen Raum" im Cyberspace aus? Können Bibliotheken mit einem Internetzugang das Recht erwerben, daß von ihren Rechnern aus etwa wissenschaftliche Zeitschriften mitsamt des Archivs von allen unentgeltlich aufgerufen werden können? Müssen sie, also der Steuerzahler, für ein bestimmtes Kontingent an Nutzern oder Artikeln zahlen, ist die Gebühr nur für einen bestimmten Zeitraum gültig? Welche Informationen müssen grundsätzlich öffentlich zugänglich bleiben, also nicht nur von Bibliotheken aus, die möglicherweise mit der zunehmenden Auswanderung der Literatur ins Internet allmählich ihre Funktion verlieren? Das sind Fragen, die bislang nur in dem Sinn angegangen worden sind, daß die Regierungen versuchen, das Schlimmste zu vermeiden, aber noch nicht wirklich dazu übergegangen sind, positiv die Grenzen der privaten Aneignung und damit Verschließung von Wissen und Informationen zu definieren.