"Ein transatlantisches Handelsabkommen birgt große Chancen und Gefahren"
- "Ein transatlantisches Handelsabkommen birgt große Chancen und Gefahren"
- "Aufgrund des NSA-Skandals müssen wir davon ausgehen, dass die USA unsere Verhandlungsstrategie bereits im Detail kennen"
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Jakob von Weizsäcker (SPD) zur Europawahl
In Deutschland treten am 25. Mai zweiunddreißig politische Gruppierungen zur Europawahl an. Telepolis hat bekannten Kandidaten der sieben wichtigsten davon einige Fragen gestellt. Mit Jakob von Weizsäcker (SPD) sprach Reinhard Jellen über Legitmationsprobleme der EU, das TTIP-Abkommen und die Eurokrise.
Herr von Weizsäcker, viele Leuten haben den Eindruck, dass sie die EU überwiegend nichts angeht - und wo sie direkt von Entscheidungen der EU betroffen sind, sehen sie häufig negative Konsequenzen. Können Sie die Menschen verstehen, die in Brüssel ein undemokratisches, lobbygesteuertes und hyperbürokratisches Monstrum erblicken?
Jakob von Weizsäcker: Viele dieser Vorwürfe sind unfair. Nehmen Sie das Beispiel Bankenunion. Vor der Krise wurden Banken national reguliert. Das ermöglichte ihnen ein Erpressungsspiel. Wenn ihnen der Regulierer in Deutschland etwas nicht erlauben wollte, konnten sie mit Verlagerung wichtiger Aktivitäten an einen anderen europäischen Finanzplatz drohen, zum Beispiel nach London oder Paris. Das führte zu einer Deregulierungswettlauf. Die nationale Souveränität in der Bankenregulierung war deshalb virtuell. Mit der Bankenunion ersetzen wir diese virtuelle nationale Souveränität durch eine reale geteilte Souveränität. Die geteilte europäische Souveränität ist mühsamer und bisweilen auch bürokratischer. Aber sie ist gleichzeitig besser, weil sie real ist.
Haben die Vorwürfe gegen die EU nicht trotzdem einen wahren Kern?
Jakob von Weizsäcker: Doch. Tatsächlich ist die Balance zwischen spezialisierten Lobbyinteressen und allgemeinen Bürgerinteressen auch dank der größeren medialen Aufmerksamkeit im politischen Berlin besser als in Brüssel. Das liegt weniger daran, dass die Lobbies in Brüssel so ungewöhnlich stark wären, sondern eher daran, dass sie durch das Parlament und die Öffentlichkeit vergleichsweise weniger wirksam kontrolliert werden.
Was muss in der EU konkret geschehen, damit sich das ändert?
Jakob von Weizsäcker: Abhilfe schaffen kann hier die Entwicklung der europäischen Öffentlichkeit und der weitere Ausbau der europäischen Demokratie. Eine demokratische Entscheidung über die Kommissionspräsidentschaft zwischen Martin Schulz und Jean-Claude Juncker bei der Europawahl diesen Sonntag - so sie denn der Rat mitträgt - wäre ein großer Schritt zur Stärkung der europäischen Demokratie, die Einführung des Initiativrechts des Europaparlaments ein weiterer.
"Wir müssen verhindern, dass unsere hohen Standards Lobbyinteressen geopfert werden"
Ich habe den Eindruck, dass viele Kritikpunkte an der EU-Politik in den Debatten um das TTIP-Abkommen kulminieren. Was ist ihre Position zu den Verhandlungen?
Jakob von Weizsäcker: Ein transatlantisches Handelsabkommen bietet große Chancen. Wenn es dabei gelänge, die beste Regulierung von beiden Seiten des Atlantiks zu kombinieren, zum Beispiel den Umweltschutz der EU mit den hohen Anforderungen der USA im Bereich der Medikamentenzulassung, wäre das ein Riesenerfolg für Verbraucher und Wirtschaft.
In vielen Bereichen könnte ein solches Abkommen faktisch globale Standards schaffen, denn derzeit erwirtschaften die EU und die USA zusammen noch fast die Hälfte des Weltwirtschaftsprodukts. Speziell für Deutschland wären die Vorteile eines transatlantischen Handelsabkommens erheblich, denn schon heute betragen unsere jährlichen Exporte in die USA fast 90 Milliarden Euro.
Aber es gibt auch große Gefahren. Wir müssen verhindern, dass unsere hohen Standards Lobbyinteressen geopfert werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass das europäische Vorsorgeprinzip in Umwelt- und Verbraucherschutz durch ein solches Abkommen ausgehebelt wird und damit beispielsweise die Grüne Gentechnik in Europa erlaubt würde.
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