Ein weiteres schockierendes Opfer nach dem Ende des Booms

Die vergangene Ausgabe des Industry Standard könnte seine letzte gewesen sein.

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Als auf einer Mailinglist die ersten URL's, die auf die Nachricht verwiesen, ausgesandt wurden, da kamen sie mit einem Kommentar in Form eines einzigen Wortes: "Wow". Wenig später eine Antwort, vor den Kopf gestoßen: "Jeez". Die Schlagzeilen über den Artikeln selbst waren deutlich genug. Die meisten waren Variationen jener in AdAge.com, die da lautete "Industry Standard stellt Publikation ein.". Doch der Untertitel zu AdAge.com's Geschichte kam den Auswirkungen der Nachricht schon näher: "Beobachter charakterisieren Situation als schockierend."

Man kann sich vorstellen, wie nun all die Herausgeber und Redakteure in der Branche, on- und offline, die Journalisten und Grafiker, die Anzeigen- und Druckereileute in der Medien-Industrie herumlaufen, diese Schlagzeilen schwenken und rufen: "Bitte haltet das auf! Jemand - irgendwer, bitte macht, dass es aufhört".

Denn der Industrie Standard ist noch bloß irgendein weiteres Opfer der Post-Boom-, Post-Dot-Com-Ära. Wie man den Geschichten in der The New York Times, dem The Wall Street Journal (die scheinbar die Nachricht als erste brachten), in CNET's News.com und im Standard selbst, in einem Artikel von Redakteur Cory Johnson, entnehmen kann, so rechtfertigt eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Fakten tatsächlich den Begriff "schockierend".

Eine Zeit lang war, wie die Time letztes Jahr beobachtete, der Standard das am schnellsten wachsende Magazin der Geschichte. Ersmals veröffentlicht im Jahr 1997, begann das Magazin nach drei Jahren Gewinn abzuwerfen; für gewöhnlich geht man davon aus, dass ein Magazin diese Leistung frühestens nach 5 Jahren erbringt. Aber das ist noch gar nichts im Vergleich zu einigen anderen Zahlen. Seine dickste Ausgabe hatte mehr als 300 Seiten. Im Jahr 2000, das sowohl den Höhepunkt des Magazins als auch seinen schnellen Abstieg markiert, verkaufte es 7558 Anzeigenseiten - ein industrieweiter Rekord - und vervierfachte seine Einnahmen.

Während die Leiden bereits im Jahr 2000 begannen, so wurden die Schmerzen im Jahr 2001 unerträglich. In der ersten Jahreshälfte fielen die Anzeigenschaltungen um 75 Prozent. Die Maßnahmen zur Kosteneinsparung konnten da einfach nicht Schritt halten. Nach drei substantiellen Entlassungs-Runden hörten die Medienberichterstatter schließlich einfach zu zählen auf, als sich der Aderlass beim Standard langsam aber kontinuierlich fortsetzte. Von 400 Mitarbeitern zu seinen besten Zeiten sind nun noch 20 übrige geblieben, die hauptsächlich damit beschäftigt sind, die Web-Site am Leben zu erhalten, während die Muttergesellschaft, Standard Media International, entweder einen Käufer finden oder unter "Chapter 11" um Schuz vor Konkursvollstreckung ansuchen muss.

Das heißt, mit anderen Worten, dass die Entwicklung des The Industry Standard ziemlich genau der Branche, über die berichtet wurde, gleicht. Ganz New Economy, äußerst schnelles Wachstum, gefolgt von einem noch schnellerem Zusammenbruch - erst "Boom", dann "Bust".

Einge werden die Nachricht sicherlich mit einem weiteren Anflug von Schadenfreude begrüßen. Schließlich haben doch all diese New-Economy-Magazine nur zu dem Hype beigetragen, der die "Bubble" aufgebläht hat. Macht nur, lasst es in ihrem Gesicht explodieren.

Aber halt mal. Ja, Business 2.0, Red Herring, Fast Company und ihresgleichen, einschließlich des Standard, sind alle zum Teil verantwortlich für diesen Wahnsinn im Stile der Tulpen-Manie . Doch der Standard ist wahrscheinlich noch am wenigsten schuldig in dieser ganzen Gruppe von Magazinen. Ja, der Gründer und CEO, John Batelle, kam von Wired, das als erstes maßgebliches Magazin dieser ganzen Richtung bezeichnet werden kann. Doch der The Industry Standard erschien auf den Magazinständern in einer Form, als wäre er absichtlich als ein Anti-Wired konzipiert worden.

Das beginnt schon beim Design. Während Wired berühmtberüchtigt neonfarben, psychedelisch und laut beinahe bis zum Punkt der Unleserlichkeit innen und außen war, so kam der Standard in neokonstruktivistischen Farbblöcken in Rot, Schwarz und Weiß auf der Außenseite, und in nüchternen, die Fakten unterstreichenden Textspalten mit unaufdringlichen Illustrationen im Heftinneren. Während Wired, bevor es von Condé Nast übernommen wurde, missionarisch libertär war, dann müsste man sich schon sehr anstrengen, um dem Standard irgendeine politische Linie zuschreiben zu können. Sicherlich, auf seinem Cover erschienen immer wieder Ho-ruck-Stil CEOs, aber auch Spaßverderber wie Jeremy Rifkin. Wired verkündete eine "digitale Revolution"; der Standard versandte tägliche, trockene, manchmal schneidend kritische Zusammenfassungen von Branchenereignissen aus der Berichterstattung in anderen Magazinen in seinem E-Mail-Newsletter "Media Grok" -- dessen letzte Ausgabe mit den Worten begann, "heute drehen wir den Dolch um und richten ihn auf uns selbst".

Ebenso wie Wired erschienen die meisten anderen New-Economy-Magazine monatlich. Im Zentrum ihres redaktionellen Inhalts standen lange Artikel für ruhige Abendstunden. Obwohl sich die meisten Mitarbeiter darunter winden würden, so kam der The Industry Standard doch dem näher, was sein Titel suggerierte zu sein: ein Branchenmagazin, das einmal wöchentlich erschien und viel unumwundene Berichterstattung mit Fakten statt mit ausgefalleneren Features verbrähmte.

Genau das mag aber eventuell zu seinem Absturz beigetragen haben. Absichtsvoll oder nicht, sein Schicksal war untrennbar mit der "Industrie in seinem Titel verbunden.

Das war ein Teil des Problems. Schnippsel dessen, was einen anderen Teil ausmacht, werden in zwei Artikeln ehemaliger Mitarbeiter geboten, von Patricia Sullivan und Jim Evans. Beide hatten nie die Absicht, Wirtschaftsjournalismus zu machen und beide wundern sich noch immer, wie schnell sie vom Malstrom absorbiert wurden. Beide verstehen es in ihren Artikeln ganz wunderbar die Vor- und Nachteile dessen darzustellen, was es heißt, an vorderster Front der New Economy zu stehen: die berühmten Dachparties auf dem Bürokomplex des Standard, die Berge von Riesen-Shrimps, die Ausflüge mit vollem Spesenersatz, und dann natürlich der "Blizzard an Visitenkarten jüngst Entlassener, der von den Fenstern von Wolkenkratzern regnete".

Weder Sullivan noch Evans gehen soweit, mit dem Finger zu zeigen und zu rufen:"Hallo, ihr Verschwender". Doch wenn man diesen einen Satz liest, der jüngst von Investoren und Vorstand an Angestellte des Standard verschickt wurde - "die einschneidenden Korrekturen des Jahres 2001 gekoppelt mit höheren Festkosten haben zum Verbrauch der gsamten Cash-Reserven des Unternehmens geführt" - so kommt man nicht umhin, sich zu fragen, welche unerwähnten anderen Ausgaben da noch zu den Schulden beigetragen haben, welche die Firma nun offensichtlich nicht bezahlen kann.

Klar, diese Dachparties und die jährlichen Riesen-Feten waren sicherlich alle "gut fürs Geschäft" - auf jene unhinterfragte Weise, wie nahezu alle solchen Bewertungen in der kurzen Geschichte der New Economy getroffen wurden. Wenn dann aber die Rechnungen eintrudeln, dann sind die Beträge eben doch nur zu real. Das ist die Lektion, welche die Dot-Coms, von Boo bis Webvan schlucken mussten, und nun eben auch die Medien, die mit ihnen aufgestiegen und gefallen sind.

"Jene Periode der wirtschaftlichen Geschicht, über die am meisten berichtet wurde, ist nun vorüber", fasst es Paul Kedrosky zusammen, Assistenz-Professor an der Wirtschaftsfakultät der Universität von British Columbia und gelegentlich auch Autor für den Standard: "Und die Berichterstatter sind pflichtschuldig ins eigene Schwert gefallen."

David Hudson hat sechs Monate lang den Media-Grok für den The Industry Standard Europe verfasst, bevor dieser im April eingestellt wurde. Seine englischsprachige Wochenrückschau für Telepolis wird am Ende des Monats wieder aufgenommen.