Ein zweiter Kanal nimmt Konturen an
Der Ausbau des Panamakanals für größere Schiffe soll den Projekten für alternative Routen den Wind aus dem Segel nehmen - die damit aber lange nicht vom Tisch sind
Mit fast 80 Prozent gaben die Panamaer am vergangenen Sonntag bei einer Volksabstimmung ihrer Regierung grünes Licht zum Ausbau des Panamakanals, den das Land nach jahrzehntelanger US-Verwaltung 1999 übernahm. Eine kostspielige Erweiterung soll die interozeanische Verbindung für größere Schiffe befahrbar machen und dem Land auch in Zukunft wirtschaftliche Stabilität garantieren. Pläne für alternative Verbindungen von Kanälen auf Meeresniveau und moderne Eisenbahntrassen auf dem Isthmus könnten jedoch bald Realität werden und dem Kanal seine Bedeutung nehmen.
Die Zeiten, in denen Containerschiffe bei ihrem Bau den Schleusenmaßen des Panamakanals angepasst wurden, sind längst vorbei. Stimmte bis vor wenigen Jahren noch der Spruch von der "Handbreit Wasser unterm Kiel" für die Schiffe der nach dem Kanal benannten "Panamax-Klasse", ist der Panamakanal für die weit größere Version - die so genannte "Post-Panamax-Klasse" - unbefahrbar geworden.
Für das kleine zentralamerikanische Land, dessen Wirtschaft auf Gedeih und Verderb auf den Wasserweg angewiesen ist, kann dieser Zustand nur mit einem Versiegen des Erdöls in Saudi-Arabien gleich gesetzt werden. Denn geschätzt wird, dass diese Schiffe mit einer Kapazität von bis zu 14.000 Containern in nur wenigen Jahren mehr als 50 Prozent des Schiffsverkehrs weltweit abwickeln werden. Rund 40 Prozent des Haushaltseinnahmen des kleinen zentralamerikanischen Landes mit seinen drei Millionen Einwohnern stammen aus den Durchfahrtsgebühren für die 81 Kilometer lange Wasserstraße, die den Pazifik mit dem Atlantik vereint und den Reedereien einen tausende Kilometer und somit wochenlangen Umweg um das sturmgepeitschte Kap Hoorn am Südzipfel Lateinamerikas erspart. Neben einer bescheidenen Tourismusindustrie hat das Land wenig mehr aufzubieten, um sich wirtschaftlich über Wasser halten zu können.
Knapp 14.000 Schiffe durchqueren jährlich den Kanal mit mehr als 300 Millionen Tonnen Fracht, die jedoch tagelang für eine Durchfahrt Schlange stehen müssen. Wer genug Geld oder Eile hat, kann sich eine Durchfahrt reservieren, was allerdings bis zu 100.000 US-Dollar kosten kann. Die billigste Durchquerung gelang 1928 dem US-Amerikaner Richard Halliburton mit 38 Cent - schwimmend. Schon jetzt haben die Schiffe der Panamax-Klasse Platzprobleme. Mit ihren 294 Metern Länge bleiben ihnen an Bug und Heck innerhalb der Schleusen nur wenige Zentimeter Platz. Herrscht Trockenheit und somit Wassermangel für den Kanal, laufen diese Gefahr, auf Grund zu laufen. In dem El Niño-Jahr 1998, das eine Dürreperiode in Zentralamerika zur Folge hatte, musste der Wasserpegel des Kanals um mehr als einen Meter abgesenkt werden. Voll beladene Containerschiffe sahen sich gezwungen, Teile ihrer Fracht zu löschen, um durch den Kanal zu kommen. Gleiches könnte in den kommenden Monaten passieren, da dieses Phänomen wieder vor der Tür steht. Die Regierung rührte wegen dieser Probleme erfolgreich die Werbetrommel für den Ausbau des Kanals, dem knapp 80 Prozent der Wähler trotz großer Risiken zustimmten.
Megaprojekt mit Risiken
Laut Regierungsplänen soll der Startschuss für den Baubeginn 2007 erfolgen und der dritte Kanalweg bis 2014 pünktlich zum hundertsten Jahrestag des Panamakanals fertig gestellt sein. Geplant sind Schleusensysteme von 427 Metern Länge und 55 Metern Breite, welche die Schiffe wie bereits jetzt auf 26 Meter über den Meeresspiegel hieven. Laut der staatlichen Kanalbehörde ACP kostet das Megaprojekt 5,2 Milliarden US-Dollar, welche größtenteils durch eine Gebührenerhöhung für die Schiffe aufgebracht werden, die den Kanal benutzen. Mehr als zwei Milliarden US-Dollar sollen jedoch durch Neuverschuldungen des Landes bereitgestellt werden, was die Gegner des Ausbaus kritisierten.
"Der Kanal sollte im Dienste des Landes stehen und nicht umgekehrt. Die Kosten werden um das Drei- bis Vierfache höher sein als veranschlagt", meint der Analyst Miguel Antonio Bernal. In die gleiche Kerbe schlagen der panamaische Ex-Präsident Jorde Illueca und der ehemalige Chef der Kanalbehörde ACP, Fernando Manfredo, welche das Projekt als "zu teuer, unhaltbar und falsch" brandmarken.
Die ACP geht bisher davon aus, dass sich die Baukosten samt Krediten mit den jährlich um 3,5 Prozent steigenden Durchfahrtsgebühren selbst tragen und der Ausbau 8.000 Arbeitsplätze direkt sowie 200.000 weitere Stellen indirekt schafft. Zudem wird kalkuliert, dass sich die jetzigen staatlichen Einnahmen aus dem Kanal von rund 500 Millionen US-Dollar bis 2025 mit 3,8 Milliarden US-Dollar durch die erhöhte Abfertigung von Schiffen vervielfachen. Doch andere Analysen sehen das Land vor einer finanziellen Aufgabe, dem es nicht gewachsen ist. Auf 16 bis zu 25 Milliarden US-Dollar werden etwa die Kosten im US-Verteidigungsministerium für den Ausbau geschätzt. Für Panama wäre dies ein Fiasko: Schließlich wird veranschlagt, dass der Ausbau nur dann rentabel ist, wenn die Kosten nicht die Marke von sechs Milliarden US-Dollar überschreiten. Bereits jetzt ist das Land mit 7,8 Milliarden US-Dollar hoch verschuldet, und auch nach sieben Jahren souveräner Kontrolle des Panamakanals hat sich das Armutsproblem in Panama nicht gelöst. 40 Prozent der Bevölkerung lebt nach wie vor in Armut.
Der Ausbau birgt nicht nur für den Fiskus erhebliche Risiken, sondern auch für die Betreibung des Kanals und die Umwelt. Umweltschützer warnten vor einer erhöhten Verschwendung der Süßwasserressourcen, die bereits jetzt latent ist. Mit jedem Schiff, das den Kanal durchquert, verschwinden 200 Millionen Liter Süßwasser in den beiden Ozeanen. Dieses wird aus dem eigens für den Kanal angelegten Gatun-Stausee und dem Mirafloressee herangeholt, die bereits jetzt bis zu ihrem Maximum ausgeschöpft werden. Die Anlegung des Gatunsees war deshalb erforderlich, um in der Hügelregion die notwendigen 26 Höhenmeter für eine problemlose Durchquerung zu erlauben. Die nach der 15 Jahre dauernden Flutung verbliebenen Bergkuppen in dem knapp 500 Quadratkilometer großen See stellen neben einer Herausforderung für die Lotsen ein Rückzugsgebiet für viele Tierarten dar, die sich vor der ökologischen Katastrophe durch den Bau zu Beginn des 19. Jahrhunderts retten konnten.
Unter der Landbevölkerung schlich sich deshalb die Angst ein, dass weitere Überflutungen für die Betreibung des neuen Schleusensystems ihre Lebensgrundlage zunichte machen. Allein der Gatun-See, der als einer der größten künstlich angelegten Seen auf der Welt gilt, hatte mehr als ein Dutzend Dörfer verschlungen und die Flora nachhaltig beeinträchtigt. Laut der Regierung Panamas soll jedoch auf neue Stauseen verzichtet werden. Stattdessen sollen riesige künstliche Becken einen Großteil des Süßwassers, welches bisher mit jedem Schiff in den Ozeanen verschwindet, zur Wiederverwendung aufgefangen werden.
Die Konkurrenz schläft nicht
Andere Gefahr droht den Betreibern des Kanals und letztlich der Wirtschaft Panamas von seinen Nachbarländern. Nicaragua, das seit Jahrzehnten Kanalpläne in den Schubläden verstauben ließ, holte diese in den letzten Monaten wieder ans Licht der Öffentlichkeit. Demnach soll dieser alternative Kanal den Fluss San Juan an der Grenze zu Costa Rica einschließen, der in den Nicaragua-See mündet. Ein 19 Kilometer langer künstlicher Kanal würde von dort aus den Weg in den Pazifik frei machen. Geplante Kosten: 18 Milliarden US-Dollar.
"Diese Variante ist realer als in irgendeinem Moment zuvor", meint der Schifffahrtsexperte Marc Hershman von der Washington-Universität, der auf den stark steigenden Seeverkehr hinweist und auf die Kapazitätsgrenzen des Panamakanals auch nach dessen Ausbau. Die Zahlen sprechen für sich: Der Containerschiffsverkehr stieg in den letzten 30 Jahren im Schnitt um 10 Prozent jährlich, Werften sind auf Jahre für neue Schiffe ausgebucht. Mit 7,2 Milliarden Tonnen an Gütern wurden 95 Prozent aller jährlichen Warentransporte weltweit per Schiff abgefertigt. Ein Kanal in Nicaragua könnte laut Hershman weit größeren Schiffen die Durchfahrt ermöglichen und deren Transportkosten senken, da Frachten mit einem einzigen Schiff verschickt werden könnten, wo bisher wegen dem Panamakanal zwei nötig waren. Andere Pläne verfolgen Länder wie Mexiko und Guatemala mit modernen "Trockenkanälen". Eisenbahntrassen und Schnellstraßen sollen den Transport der Container von einer Küste zur anderen ermöglichen, wo diese von wartenden Schiffen aufgenommen werden.
Alternative Kanalpläne oder deren Existenz sind fast so alt wie die koloniale Geschichte des Kontinents. 1788 soll ein Mönch laut einem Gerücht in der heutigen kolumbianischen Provinz Chocó Indigenas den Auftrag gegeben haben, einen bisher nicht gefundenen kleinen Kanal zwischen den Flüssen San Juan, Atrato und Raspadura anzulegen, um so Schmuggelwaren an der spanischen Krone vorbei nach Europa zu verschiffen. Kanalpläne im 19 Jahrhundert gab es viele, scheiterten aber zumeist an der Geldbeschaffung für deren Umsetzung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kristallisierten sich Panama und Nicaragua als ernsthafte Kandidaten für den Bau des Kanals heraus, dessen Durchführung sich die USA vornahmen, nachdem französische Projekte im Ansatz scheiterten.
Den Zuschlag für Panama löste dabei offenbar eine Briefmarke aus. Die Befürworter - aus geschäftlichen Interessen - stellten die Route durch den Nicaragua-See als zu gefährlich dar, da in dem Gebiet Vulkane existieren. Ein Vulkanausbruch auf der Insel Martinique 1902 mit tausenden Toten lieferte den Panama-Befürwortern den Anlass, ihr Projekt bei den US-Parlamentariern gegen den favorisierten Nicaragua-Kanal zum Durchbruch zu verhelfen. Diese kauften alte Briefmarken bei New Yorker Händlern auf, die den Nicaragua-See mit Vulkanen im Hintergrund darstellten, und schickten diese den US-Abgeordneten zu. Der Designer dieser Briefmarke nahm sich der Folgen unwissend die Freiheit heraus, entgegen der Realität die Marken mit Rauchsäulen zu verzieren. Diese und lancierte Falschmeldungen über einen Vulkanausbruch in Nicaragua in US-Zeitungen machten bei der Abstimmung den Weg frei für die Beendigung des Kanalbaus in Panama, den die Franzosen zuvor begonnen hatten.
Ein Nicaragua-Kanal wäre etwa dreimal so lang wie der Panamakanal, birgt aber die Möglichkeit, diesen annähernd auf Meeresniveau zu bauen, was komplizierte Schleusentechniken unnötig machen und die Kosten verringern würde. Zudem würde sich für die Mehrzahl der Schiffe, welche die US-amerikanische Ostküste von Kalifornien aus anlaufen, die Fahrtstrecke um bis zu 800 Kilometer verringern.
Mitte des letzten Jahrhunderts gab es gar handfeste Pläne, mit hunderten nuklearen Sprengköpfen den Weg für Kanäle auf Meeresniveau am Isthmus freizumachen. Die radioaktiven Folgen spielten zu der Zeit kaum eine Rolle. Zwar will die Regierung Nicaraguas auf solche verheerenden Planspiele verzichten, aber ein Kanal steht in dem mittelamerikanischen Land wieder auf dem politischen Programm und soll in den kommenden zwölf Jahren Konturen annehmen. Laut dem nicaraguanischen Präsidenten Enrique Bolaños stelle ein zweiter Kanal keine Konkurrenz für den Panamakanal dar, sondern eine notwendige Erweiterung. "Der Kanal würde für Zentralamerika einen nie dagewesenen wirtschaftlichen Schub bedeuten", glaubt Bolaños, der damit das zweitärmste Land Lateinamerikas aus der Armut zu holen glaubt. Dennoch könnte die Bedeutung des Panamakanals, der zu Beginn des letzten Jahrhunderts als achtes Weltwunder gefeiert wurde, seine jetzige Bedeutung trotz des Ausbaus verlieren.