Einbürgerung erschwert

Innenministerkonferenz verschleppt Probleme und betreibt lieber Stimmungsmache

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Man sollte es nicht für möglich halten: Exportweltmeister Deutschland schottet sich weiter ab. Das Land der reisefreudigen Deutschen, das Auswanderungsland, das jährlich von rund 100.000 Bundesbürgern verlassen wird, die sich anderswo niederlassen wollen, will die Hürden für Einwanderer noch höher hängen. Die Innenminister haben es beschlossen, der Stammtisch wird's zufrieden sein. Wie war das noch? „Die Welt zu Gast bei Freunden“? Fragt sich, wer hier eigentlich nicht integriert ist.

Die Innenminister hätten auf ihrer zweitägigen Konferenz in Garmisch-Partenkirchen wahrlich etwas sehr dringliches zu beraten gehabt: 200.000 Menschen leben in Deutschland als lediglich „Geduldete“. Weil sie keinen Pass haben, mit ihren Herkunftsländern keine Abschiebeabkommen bestehen oder es aus anderen Gründen nicht möglich ist, sie abzuschieben, haben die Ausländerbehörden ihnen Duldungen ausgesprochen.

Das hört sich nett an, ist aber eine besonders prekäre Form des Aufenthaltsrechts. Selten laufen die Duldungen länger als ein halbes Jahr, meist nur wenige Wochen. Nach Ablauf heißt es wieder bei der Ausländerbehörde Schlange stehen, einen neuen Antrag stellen, einen neuen Stempel abholen. Vielleicht. Vielleicht wird man auch gleich in der Amtsstube festgenommen und in Abschiebehaft gesteckt. Und bei jeden Antrag muss die ganz Familie mit aufs Amt, müssen die Kinder aus der Schule geholt werden und zusehen, wie die Eltern von deutschen Beamten gedemütigt werden.

Jahrelang kann das so gehen. 120.000 Menschen leben schon länger als fünf Jahre in diesem Zustand. Immer das Damoklesschwert der drohenden Abschiebung überm Kopf, nie länger als ein paar Wochen planen können. Seit zwei Jahren macht daher das Bündnis Hiergeblieben! Recht auf Bleiberecht! gegen diese „Kettenduldungen“ mobil und fordert ein Bleiberecht für alle und als ersten Schritt eine Altfallregelung. Immer wieder versprechen sozialdemokratische Innenminister, sich dafür einzusetzen, immer wieder blockt das christdemokratische Lager. Letzte Woche machte gar Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD) auf einer Pressekonferenz im Kieler Landeshaus seine Zustimmung zu einer Einigung im Einbürgerungsstreit von einem Beschluss über eine Bleiberechtsregelung abhängig.

Doch Fehlanzeige: Wieder wurde das Thema vertagt, wieder lässt man die Betroffenen im Regen stehen. Jetzt heißt es, im November wird entschieden, und derweil kann jederzeit abgeschoben werden. Die Lobbyorganisation PRO ASYL, die sich für einen humanen Umgang mit Flüchtlingen stark macht, fordert daher zumindest ein Moratorium:

PRO ASYL fordert die Innenministerien der Länder auf, ein Abschiebemoratorium bis zur nächsten Innenministerkonferenz zu erlassen. Damit soll verhindert werden, dass in der Zwischenzeit Tausende längst integrierter Menschen abgeschoben werden. Die Länder können in alleiniger Verantwortung einen solchen Abschiebestopp für sechs Monate verfügen.

PRO-ASYL-Sprecher Bernd Mesovic

Es geht um Fälle wie den der kurdisch-türkischen Familie Aydin. Vor 17 Jahren flohen die Eltern aus der Türkei vor Bürgerkrieg und politischer Verfolgung. Viele der elf Kinder sind hier geboren. Vier von ihnen haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft, die Familie ist bestens sozial integriert. Dennoch soll jetzt, nach dem alle Asylanträge abgelehnt wurden und die Bundesregierung der Meinung ist, in der Türkei würden Kurden nicht mehr verfolgt, der Rest der Familie abgeschoben werden. Gegen die Empfehlung der Härtefallkommission. In Berlin ist Wahlkampf. SPD und CDU stimmten am Freitag im Abgeordnetenhaus einen Antrag der Grünen nieder, der ein Bleiberecht für die Familie forderte.

Aber das sind nicht Schicksale, die einem deutschen Innenminister den Schlaf rauben könnten. Statt also auf ihrer Konferenz in Garmisch ein wirklich drängendes Problem zu lösen, haben sie die meiste Energie in eine Debatte um die Verschärfung der Einbürgerungsbedingungen gesteckt. Herausgekommen sind – wie sollte es anders sein – neue Hürden: Wer künftig einen deutschen Pass beantragt, soll einen Einwanderungskurs mit anschließender Prüfung belegen. Die SPD hat sich zwar über das Abfragen von Moralvorstellungen verwahrt, aber das bei einem solchen Test nichts anderes als ein Gesinnungs-TÜV herauskommen kann, scheint klar.

Bei denjenigen, die die Anträge stellen, handelt es sich um Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland leben und auch meistens eindeutig ihren Lebensmittelpunkt hierher verlegt haben. Oft kamen sie schon als Kinder ins Land. Wahrscheinlich wird sich von den knapp 120.000 bis 150.000, die derzeit jährlich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, kaum jemand abschrecken lassen, genauso wenig, wie man auswandert, weil die CDU die Bundeskanzlerin stellt.

Aber Abschreckung ist auch nicht unbedingt das vorrangige Ziel der Konservativen. Es geht vielmehr um Stimmungsmache, es geht darum, die Einwanderer als potenzielle Gefahr darzustellen, muslimische Schreckgespenster an die Wand zu malen. Mit den Realitäten hat das alles herzlich wenig zu tun. Von den 6,75 Millionen, die das Bundesamt für Statistik Ende 2005 als ausländische Bevölkerung in Deutschland zählte, leben nur knapp 2,7 Millionen weniger als zehn Jahre in Deutschland. Rund 1,3 Millionen der Ausländer sind zudem Kinder oder Jugendliche, so dass vermutlich nur etwas mehr als die Hälfte der genannten 2,7 Millionen zugezogene Erwachsene sind. Und: Immerhin 1,4 Millionen Ausländer leben schon über 30 Jahre in Deutschland. Oder mit anderen Worten: Die „Ausländer“ sind in ihrer überwiegenden Mehrzahl Einwanderer, die ganz offenbar schon lange ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, hier Steuern zahlen, Beiträge in die Sozialversicherungen entrichten und ihre Kinder groß ziehen (was für deutsche wie für andere Eltern keine leichte Aufgabe ist, besonders wenn das Geld knapp ist). Die Politiker der großen Parteien sollten endlich aufhören, diese Menschen wie Außerirdische zu behandeln.