"Eine EU unter dem Diktat von Berlin"
Gipfel verlängert Donald Tusks Amtszeit gegen den Willen der polnischen Regierung
Auf ihrem Gipfeltreffen verlängerten gestern 27 der 28 der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer die Amtszeit des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk bis zum 30. November 2019. Tusk erhielt sechs Stimmen mehr als für eine Verlängerung notwendig waren. Als Vorsitzender der Gipfeltreffen der 19 Euro-Länder wurde er ebenfalls bestätigt.
Vorher hatte die polnische Regierung den polnischen Europaabgeordneten Jacek Saryusz-Wolski (der ebenso wie Tusk der oppositionellen Platforma Obywatelska angehört) als Gegenkandidaten nominiert. Außenminister Witold Waszczykowski hatte darüber hinaus versucht, die Wahl verschieben zu lassen, was Malta, dass derzeit den EU-Vorsitz inne hat, jedoch ablehnte. Daraufhin warnte die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo zu Beginn des Gipfels, man könne keinen Ratspräsidenten wählen, dem die Unterstützung seines Heimatlandes fehle, und eine Verlängerung der Amtszeit Tusks werde die EU "destabilisieren".
Tusk kritisierte Maßnahmen der polnischen Regierung
Hintergrund der Ablehnung des Kaschuben und ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten ist dessen Kritik an mehreren Maßnahmen der aktuellen polnischen Regierung, die nicht mehr von der liberalen Platforma Obywatelska, sondern von der konservativen PiS gestellt wird. Das wertet die neue Regierung als Verletzung der Neutralitätspflicht - was Tusk selbst anders sieht.
Allerdings war Tusk der Favorit der deutschen Bundesregierung - und Kanzlerin Angela Merkel ließ sich in einem persönlichen Gespräch Beata Szydlo ebenso wenig von der polnischen Position überzeugen wie Bundesaußenminister Sigmar Gabriel bei einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen Waszczykowski am Mittwoch in Warschau.
Auch die Vertreter Ungarns, Tschechiens, der Slowakei und anderer Länder, die zur neuen polnischen Regierung ein besseres Verhältnis haben als die deutsche Kanzlerin, wollten sich anscheinend nicht in eine Angelegenheit einmischen, die sie als vorwiegend innerpolnisches Problem sahen, was Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite ganz offen aussprach. Witold Waszczykowski kritisierte es als undemokratisch, dass der Gipfel den polnischen Gegenkandidaten Tusks nicht einmal anhören wollte, und meinte: "Wir wissen nun, was das ist, eine EU unter dem Diktat von Berlin". Auch Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS wertete Tusks Bestätigung als Beweis deutscher Dominanz, meinte aber, man werde die EU trotzdem nicht verlassen.
"Europäische Perspektive" für die sechs Westbalkan-Länder
Außer über Tusk sprachen die 28 Staats- und Regierungschefs heute über den aktuellen Stand der Migrationskrise, die Währungs- und Wirtschaftslage, ein geplantes Freihandelsabkommen mit Japan und eine "europäische Perspektive" für die sechs Westbalkan-Länder (vgl. Serbischer Ministerpräsident schlägt Westbalkan-Zollunion vor). Weil Polen blockiert, soll es statt offizieller "Schlussfolgerungen" dazu eine informellere "Schlusserklärung" geben.
Heute geht der Gipfel ohne die britische Premierministerin Theresa May weiter, die wegen des kommenden Ausstiegs ihres Landes aus der EU nicht an den Vorbereitungen zur Feier des 60. Jubiläums der Römischen Verträge teilnimmt, die am 25. März in Rom stattfinden. Über Mays "Brexit" wurde und wird offiziell nicht gesprochen - inoffiziell dürfte er eines der wichtigsten Themen gewesen sein.