Eine Frage der Gerechtigkeit

Griechische und deutsche Wissenschaftler arbeiten gemeinsam an der Durchsetzung von Entschädigungsforderungen griechischer Opfer des Nationalsozialismus

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In internationalen Verträgen und von deutschen und griechischen Gerichten wurde in vielen Fällen bereits die Verpflichtung der BRD als Rechtsnachfolgerin des nationalsozialistischen Unrechtsstaates festgehalten, verursachtes Leid angemessen zu entschädigen. Wenn es trotzdem bisher nicht zur Anerkennung und Begleichung der Schuld gekommen ist, so hat dies im Wesentlichen politische und nicht juristische Gründe.

Distomo, 10. Juni 1944: Deutsche Soldaten zerstören das griechische Dorf in der Nähe von Delphi. 218 Einwohner, darunter viele Frauen und Kinder werden ermordet.

Kalavryta, 13. Dezember 1943: Als Vergeltung für die Gefangennahme von 78 Soldaten durch griechische Widerstandskämpfer zerstört die Wehrmacht insgesamt 25 Dörfer der Region. Etwa 1.200 Männer und Jugendliche werden in der Bezirkshauptstadt Kalavryta erschossen.

Kommeno, 16. August 1943: Gebirgsjägereinheiten der Nazis zerstören die griechische Kleinstadt und ermorden 317 Bewohner unabhängig von Geschlecht und Alter. Unter den Opfern sind auch schwangere Frauen.

Kreta, September 1943: Eine Einheit der 22. Infanteriedivision ermordet fast 500 Bewohner der Ortschaft Vianos.

Namen wie Distomo, Kommeno, Kalavryta und Vianos stehen beispielhaft für Hunderte von Massaker, die deutsche Faschisten während der Besetzung Griechenlands verübten. Aber noch heute, 60 Jahre nach Beendigung des zweiten Weltkrieges warten die Überlebenden und Angehörigen der Opfer auf eine angemessene Entschädigung.

Seit 1996 setzt sich der Griechische Nationalrat für Entschädigungsforderungen gegen Deutschland für eine Wiedergutmachung des erlittenen Unrechtes ein. Die auf Initiative des griechischen Nationalhelden Manolis Glezos, der 1941 zusammen mit Apostolos Santas die Hakenkreuzfahne von der Akropolis entfernte, gegründete Initiative wird maßgeblich von ehemaligen Widerstandskämpfern aber auch von Antifaschisten der jüngeren Generation getragen. In einem vom Nationalrat am Wochenende in Athen ausgetragenen Symposium versuchten griechische Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen, das Ausmaß des Schadens aufzudecken und juristisch verwertbare Beweise und Argumente für bestehende und zu stellende Entschädigungsforderungen zu sammeln.

Die unter anderem vom Historiker Martin Seckendorf aufgestellte Bilanz des Schreckens ist erdrückend. Mindestens 800.000 Menschen verloren in Griechenland in den Jahren 1940 bis 1944 ihr Leben. Tausende wurden von der Wehrmacht in Vergeltungsaktionen für von den Partisanen erschossene deutsche Soldaten hingerichtet. Als Richtschnur galt die Ermordung von 50 bis 100 „Kommunisten“ für einen gefallenen Deutschen. Weitaus mehr Griechen ließ das Besatzungsregime gnadenlos verhungern, weil fast die gesamte griechische landwirtschaftliche Produktion des Landes zur Ernährung der Besatzer, aber auch zur Versorgung des deutschen Afrikakorps beschlagnahmt wurde.

Raub antiker Kunstschätze

Die Deutschen ließen sich 51 Prozent Eigentum an jedem griechischen Industrieunternehmen überschreiben, sämtliche gewonnenen Rohstoffe, vor allem das für den Panzerbau nötige Chrom, wurden nach Deutschland exportiert. Zum Teil geschah die Plünderung des Landes dabei mit offenem Raub. So wurde den Soldaten zeitweise über weite Teile des Landes erlaubt, sich die Güter ihrer Opfer anzueignen. Auch Kulturgüter aus der griechischen Antike wurden massenhaft außer Landes gebracht oder landeten in Privatbesitz von Nazigrößen.

Teilweise achteten die Faschisten aber auch auf eine „legale“ Verbrämung der Plünderung. So wurde durch eine einfache Anpassung der Preise an die vielen Exporte und wenigen Importe, vorgenommen durch die „Deutsch-Griechische Warenausgleichsgesellschaft“ die für Deutschland negative Außenhandelsbilanz von 73 Millionen Reichsmark im Jahre 1943 auf ein Guthaben von 20 Millionen Reichsmark korrigiert.

In den ersten Monaten des Jahres 1941 erhielten die in Griechenland stationierten deutschen Truppen ein extra gedrucktes Zahlungsmittel für ihre Einkäufe. Die „Reichskreditkassenscheine“ wurden von keiner deutschen Bank als Zahlungsmittel anerkannt und waren nichts als wertloses Falschgeld. Händler in Griechenland waren gezwungen, die verlangten Waren umsonst an die Soldaten herauszugeben, wenn sie nicht zusätzlich zu den beispielsweise mit 50 Reichsmark „bezahlten“ Zigaretten noch wertvolle 44 griechische Drachmen Wechselgeld verlieren wollten. Selbst den Abzug der Falschwährung vom Markt ließ sich das 3. Reich noch mit mehreren Milliarden Drachmen von der griechischen Kollaborationsregierung vergüten.

Falschgeld “Reichskreditkassenscheine“

Andere Referenten zeigten vor allem die Strategie der BRD auf, sich gegen Entschädigungszahlungen zu wehren. So wies der Dozent für Geschichte Rolf Surmann in seinem Beitrag auf die besondere Qualität des 2. Weltkrieges hin, der nicht nur einfach ein „normaler“ Eroberungskrieg, sondern in einer Verbindung von Weltherrschaftsstreben und Rassismus ein ganz neuartiger Vernichtungskrieg gewesen sei. Bei seinen Verbrechen handele es sich nicht um bekannte Kriegsverbrechen, sondern um die in Nürnberg erstmalig zur Verhandlung gekommenen „Verbrechen gegen die Menschheit“ (Crime against humanity).

Bereits kurz nach der Gründung der Bundesrepublik habe die damalige CDU Regierung unter Konrad Adenauer in enger Zusammenarbeit mit den westlichen Siegermächten eine harte Bestrafung der Täter oder eine angemessene Entschädigung der Opfer verhindert. In den bundesdeutschen Entschädigungsgesetzen wurde eine Wiedergutmachung auf deutsche Opfer des Faschismus reduziert, die 1953 in London ausgehandelten Westverträge verschoben eine Zahlung von Reparationen auf den Abschluß eines Friedensvertrages und 1990 in dem de facto als Friedensvertrag geltenden 2+4-Vertrag im Zuge der Wiedervereinigung werden „humanitäre Gesten“ und „Wirtschaftshilfen“ anstelle von Wiedergutmachung genannt. Schon von ihrer Gründung an war den Westalliierten eine Einbindung der BRD auf Westseite im kalten Krieg wichtiger als die Herstellung von Gerechtigkeit gegenüber den Opfern des Faschismus.

Genau um diese Gerechtigkeit geht es aber den im und mit dem Nationalrat arbeitenden deutschen und griechischen Antifaschisten. Denn nur, wenn die Verbrechen von damals gesühnt werden, so Damianos Vassiliadis, Sprecher des Griechischen Nationalrates, könnte potentielle Täter von heute abgeschreckt werden, die gleichen Verbrechen wieder zu begehen.