Umbau der Erinnerungspolitik

Der ehemalige Leiter der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht", Hannes Heer, zur geschichtspolitischen Wende

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Hannes Heer ist auf Lesereise. Einerseits wirbt er dabei für sein Buch Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei. Andererseits, aber das hängt zwingend damit zusammen, entlarvt er die Neuauflage alter Mythen. Das "Wunder der Deutschen Wiedervereinigung", sagt Heer, im Jahre 2000 mehr oder minder unehrenhaft entlassener Leiter der "Wehrmachtsausstellung", habe auch die "geschichtspolitische Wende" eingeleitet. Die oft beschworene Angst vor dem Aussterben der Zeitzeugen teilt er nicht. Denn mit oder ohne diese geschehe seit 1989 das, was er den "Umbau der Erinnerungspolitik" nennt. Man wolle eben die "Großmacht Deutschland" weltpolitisch wieder platzieren. Teil des "Schlussstrichs, ohne das Wort Schlussstrich zu gebrauchen", seien auch Jörg Friedrichs Bestseller "Der Brand" oder Bernd Eichingers Film "Der Untergang".

Wenn der Wahl-Hanseat am Rednerpult steht - wie am Montag in Aachen -, dann merkt man, dass seine Absetzung als Macher und Leiter der Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 durch das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) und Jan Philipp Reemtsma Spuren hinterlassen hat. Erst recht, wenn er über Reemtsmas neu entwickelter "Konsensausstellung" polemisiert. Diese heißt nun Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944 und ist die wissenschaftlich von einer Historikerkommission überarbeitete Neuauflage jener "Wehrmachtsausstellung", für die Heer einst verantwortlich zeichnete.

Hannes Heer. Foto: Michael Klarmann

Für den 63-Jährigen stand bei seiner Fassung der Ausstellung der Holocaust im Mittelpunkt, was gezeigt habe:

Soldaten waren keine Opfer, sondern Täter und Mitwisser.

Das zuvor herrschende Bild der sauberen Wehrmacht habe durch die alte "Wehrmachtsausstellung" schmutzige Flecken erhalten, denn auf den gezeigten Fotos, oft im Stile von Familien- und Erinnerungsbilder geknipst, seien Soldaten als Täter oder Begleiter zu sehen. Für Heer lüftete das Zeigen der meist aus privaten Alben stammenden Fotos "jedermanns Geschichte". Sie zeigen "die Nazizeit als bestgehütetes Familiengeheimnis". Insgesamt, sagt er, hätte Reemtsma nur wenige und - zugegeben - falsch zugeordnete Bilder aus der Ur-Ausstellung entfernen müssen und alles wäre wissenschaftlich korrekt und unangreifbar gewesen und geblieben.

"Jan Philipp Reemtsma ersetzte die Ausstellung aber durch eine ganz neue", sagt Heer und man merkt ihm an, dass ihn das heute sehr stört, auch wenn er an anderer Stelle sagte, es gehe ihm nicht um eine persönliche Abrechnung. Aber, so erläutert er nun, "der Holocaust war nicht mehr die Achse der Wehrmachtsausstellung, sondern nur noch ein Teil davon". Die "private Landserfotos" fehlten fast völlig, seien ersetzt worden durch Bilder der Propagandatruppen, die dem "nationalsozialistischen Blick auf dem Krieg entsprachen" (vgl. Zelluloide als "Kriegsmittel").

Verantwortlich für die Massenmord, das empört den Historiker am meisten an der neuen Ausstellung, "waren jetzt nur noch die Generäle, eine Handvoll Spezialisten des Holocaust" - aber nicht mehr jeder Einzelne, besser gesagt: dessen Gewissen. Und dann ergänzt Heer, habe es in Deutschland seit 1945 drei große Manöver von Schuldabwehr und Umdenken gegeben. "Ein viertes Manöver hinzugefügt hat Reemtsma." Seine Gesichtsmimik verändert sich dabei kaum. Aber denken könnte man sich in diesem Moment schon, dass er nicht eben freundlich dreinschauen mag.

Antrieb für jene "Manöver" waren für Heer immer die "Obsession der Deutschen, sich eine Vergangenheit zu suchen, die passend ist". Spätestens nach dem Russlandfeldzug 1941 und im Kampf gegen dem Bolschewismus habe es eine "Blutsbruderschaft zwischen Volk und Hitler" gegeben. Das zu relativieren sei kurz nach dem Krieg Ziel vom ersten Manöver gewesen.

Der Masse der Deutschen, zu der auch die Wehrmacht gehörte, wurde ein böser Rest entgegen gestellt: Hitler und seine Helfer.

Im zweiten Manöver, so der 63-Jährige weiter, sei es darum gegangen, dass die "Deutschen Opfer geworden waren". Opfer des Versailler Vertrages, der Weltwirtschaftkrise und des NS-Regimes. In einem dritten Manöver sei dann der Schritt gefolgt, ungeachtet von den damals alltäglichen Ausgrenzungen, Pogromen, Judensternen und Deportationen, den "Judenmord fernab vom Deutschen Volk" zu platzieren und in der "Blackbox Auschwitz verschwinden zu lassen". Für Heer war seine "Wehrmachtsausstellung" eine Kritik an allen drei "Manövern". Denn sie habe aufgezeigt, dass die Zusammenarbeit von Wehrmacht und Vernichtungsmaschinerie "von Anfang an geplant war". Und von den sechs Millionen ermoderter Juden, sagt er, seien rund zwei Millionen in einem "arbeitsteiligen Prozess" - im "Zusammenwirken mit den Einsatzgruppen beim Vormarsch und mit den Polizeibataillonen beim Partisanenkrieg" ums Leben gekommen. Die Soldaten waren dabei beteiligt -" als Zuschauer und Mitwisser, als Täter oder Helfer".

Kritik übt Heer indes nicht nur an seinem früheren Chef. Verschwundene Täter entdeckt er auch anderswo. Etwa in Jörg Friedrichs Bestseller "Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940 bis 1945". Für Friedrich werden Städte wie Lübeck durch ihre Lage, ihre Schwäche und ihre "Altersschönheit" zerstört, wodurch sich die "Empathie für das wehrlose Opfer" sofort einstellt. Er beschreibe deren kulturellen Werte und historischen Bauten, in seinen Städten lebten vorwiegend die Alten, die Fremdarbeiter oder Frauen mit Kleinkindern. Dass dort aber ebenso Produktionsstätten für Waffen, die Sitze der Großindustriellen und Kasernen lagen, Polizei- und NSDAP-Apparate aktiv waren sowie viele Menschen lebten, die Hitler einst an die Macht gebracht hatten - Friedrich "retuschiert das alles weg".

Und, kritisiert Heer, semantisch rücke der Autor zudem den Bombenkrieg in die Nähe des Holocaust. Die Keller, in denen die Menschen Schutz suchten und verbrannten, nenne Friedrich etwa Krematorien, Erstickende erlitten den Gastod und britische Bomberstaffeln seien Einsatzgruppen, wie das NS-Regime seine massenmörderischen Einheiten nannte. Der 63-Jährige nennt es ein "Umdeuten der Begriffe", und dies sei geschehen in einem sich zum Bestseller entwickelnden Buch, das manche Edelfeder im Feuilleton "mit der Milde von Deutschlehrern" behandelt habe - oder es gar zum "Antikriegbuch adelte".

Auch der Umgang von Politik und Feuilleton mit Bernd Eichingers und Joachim Fests Film "Der Untergang" (vgl. Eine deutsche Fleißarbeit und Ein Oscar für Adolf?) findet der Historiker sehr bedenklich. Statt wie zuvor Kurzfassungen zweier Kapitel seines aktuellen Buches vorzutragen, kommt Heer nun zu seinem neuen, noch unfertigen Buch. Das erscheint erst kommendes Jahr zur Buchmesse und soll den Titel "Hitler war's" tragen. Und ein Kapitel, sagt der 63-Jährige, widme sich jenem Film, den manch honorige Persönlichkeit gar "als ein Zeichen der Emanzipation" und als "Bahn brechend und besonders wertvoll" gelobt habe.

Für Heer aber hat sich der Film und dessen Darstellungen der Führungsriege NS-Deutschlands "Sympathien durch einen billigen Trick erschwindelt". Alle Figuren erschienen ohne historischen und politischen Hintergrund. "Ihre Aufgaben und Funktionen in Nazideutschland bleiben weitestgehend ungenannt," so der Historiker. Die letzten Tage in der "Zentrale des NS-Staates" würden so zum "Melodram", mit sympathischen Menschen, deren Funktionen, etwa als KZ-Leiter, SS-Standartenführer, Kriegsgeneral und Propagandaminister, fast unerwähnt blieben. Der Film und dessen Macher, kritisiert der 63-Jährige weiter, "schminken diese Männer zu Biedermänner um", denen man beim Privaten, beim Essen, Ankleiden und Sterben zuschaue. "Untertags sind alle Opfer", empört sich Heer über das Bild, das vermittelt werde. Und gibt zu bedenken, wie wohl die FAZ den Satz gemeint haben dürfte, der Film sei "das wichtigste Geschichtsprojekt seit Jahren".

Sowohl "Der Untergang", das Buch "Der Brand" und die Umgestaltung der "Wehrmachtsausstellung" sind für Heer die Fortsetzung dessen, was seit der Wiedervereinigung geschehen ist. Martin Walser, ein "ehemals Linksintellektueller, der sein Nationalbewusstsein entdeckte", die Gleichstellungsbemühungen von Opfern des Kommunismus mit denen des Nationalsozialismus und die Bestrebungen der Politik, "das Deutschland wieder weltpolitisch mitspielen darf" - für Heer hat das alles ein Ziel, nämlich der "Umbau der Erinnerungspolitik". Und wozu? Es gehe darum, eine neue "militärische Großmacht Deutschland" in der Weltpolitik zu platzieren:

Da ist das ständige Erinnertwerden an das, was zwischen 1933 und 1945 passiert ist, sehr hinderlich. Das stößt einen immer wieder zurück auf die Stufe eines Paria.

Heer prognostiziert am Schluss, hier mache sich "eine Lässigkeit und Nachlässigkeit breit - da wird noch einiges auf uns zukommen."

Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei. Aufbau-Verlag, 2004, 395 Seiten, 22.90 Euro