Zelluloide als "Kriegsmittel"

Die NSDAP und ihr Propagandaapparat des braunen Lichtspiels

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"Der Kinosaal wurde zum Ort der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, wo der Führer durch seine übergroße Leinwandchimäre das Volk beherrschte", schreibt Bernd Kleinhans in seinem Buch über die NS-Film- und Kinopolitik. Zudem weist er darauf hin, dass die als Vorfilm fungierende Wochenschau "kriegswichtig" wurde. Der Historiker zitiert dazu aus einem Abkommen zwischen Propagandaministerium und Militär: "Der Propagandakrieg wird in seinen wesentlichen Punkten neben dem Waffenkrieg als gleichrangiges Kriegsmittel erkannt." Jener "Propagandakrieg" indes begann lange vor dem offenen Kriegsausbruch 1939.

Zutreffend schreibt der Verlag, Bernd Kleinhans' Buch "Ein Volk, ein Reich, ein Kino" liefere einen "fundierten Beitrag zur Mediengeschichte des Dritten Reichs." Zwar widmet sich der Autor der NS-Film und Kinopolitik generell. Indes, so Kleinhans, sei ein "wirkliches Verständnis der NS-Propagandapolitik nicht ohne den Blick auf die Provinz möglich". Denn das "flächendeckende Massenmedium" Kino habe deren "Anbindung an die Machzentrale" in Berlin dienen sollen.

"Der Ufakonzern (hatte) mit seiner zentralistischen Steuerung und Verflechtung bis in die Provinz schon das Modell für die künftige Gleichschaltung des Filmwesens (geboten). (...) Je stärker die Filmwirtschaft konzentriert und je weniger plural sie organisiert war, desto leichter war der Zugriff nach 1933. Die Konzentration der Marktmacht bei den großen Verleihern und Produktionsfirmen, vor allem in Berlin, bedeutete auch eine zunehmende Entrechtung der Provinz und den Verlust der Autonomie der kleinen Kinos außerhalb der Metropolen."

In seiner spannenden Lektüre zeichnet der Historiker und Philosoph detailliert nach, wie die NSDAP, ihr Propagandaminister Joseph Goebbels und dessen Ministerium seit der Machtübernahme ein Netz von Institutionen, Gesetzen und finanziellen Verflechtungen zwecks Beherrschung der Kinolandschaft von der Filmproduktion bis zur Vorführung schufen (vgl. Lichtspieltheater im 3. Reich). Mit deren "totalen" Verstaatlichung sicherte sich die Partei alsbald eines ihrer wichtigsten Propaganda-Instrumente, womit sie überall präsent sein konnte und das gewünschte Bild der "Volksgemeinschaft" verbreitete. Zu diesem Zweck bereisten sogar mobile Filmtrupps der Gaufilmstellen - 1941 besaßen diese 835 "Tonfilmwagen" - die Provinz. Selbst in "abgelegensten Bereichen Oberschlesiens, Pommerns und des Bayerischen Waldes" wurden so Wirtshaussäle, Zelte oder Marktplätze zu Kinos.

Analysiert hat Kleinhans auch Machart und Publikumswirkung einiger Filme, etwa Jud Süß, Der ewige Jude, Komödien mit Heinz Rühmann, Leni Riefenstahls Triumph des Willens und die Wochenschau (vgl. Propaganda im Film des Dritten Reichs). Zwar gab es aktuelle Propagandamedien wie das Radio und die Presse, indes war es laut dem Autor erst dem Vorläufer des Fernsehens möglich, die Menschen halbwegs zeitnah "emotional und ideologisch" zu manipulieren. Genutzt hatte die NSDAP jenes Konzept aber schon vor der Machtergreifung, indem sie mit Parteifilmen ihre Kader ideologisch festigte oder Interessierte anlockte. Später verstärkte sie mittels Filmen latente Ressentiments in der übrigen Bevölkerung. Und so lange die Wehrmacht noch vorrückte, ließen sich so Männer und Jungen für das Militär begeistern.

"Propagandainszenierungen wie Militärparaden, Führergeburtstage und Reichsparteitage wurden erst durch ihre filmische Verbreitung zu Ereignissen, an denen das ganze Volk optisch wie emotional teilnehmen konnte. (...) Aus (...) bloßen Filmvorführung (wurde) eine nationalsozialistische Kulturfeier. (...) Gerade in den kleineren Städten, in denen die Kinos nur wenig Konkurrenz zu anderen kulturellen Einrichtungen hatten, boten sich hier besondere propagandistische Möglichkeiten. (...) Der Nationalsozialismus wollte das Volk nach dem Willen des Führers und der NS-Weltanschauung formen, nicht aber den Volkswillen selbst vollziehen."

Zu bedenken gibt der Autor daher auch, der NSDAP sei es selbst mit diesem mächtigen Propagandaapparat nicht gelungen, das individuelle Denken der Menschen auszuschalten. Denn verschiedene Lebensumstände - etwa in den Metropolen und der Provinz - oder unterschiedliche Grundstimmungen während des Kinoprogramms führten bei immergleichen Filminhalten zu unterschiedlichen Schlüssen. "Das NS-Kino war weniger wirksam," resümiert Kleinhans, "als es sich Goebbels und seine Propagandisten vorstellten. Es war aber weit effektiver, als der heute verharmlosende Blick auf 'Opas Kinos' annehmen lässt." Und aus diesem Grund ist "Ein Volk, ein Reich, ein Kino" ein längst überfälliges und wichtiges Buch. Denn Kleinhans gibt auch zu bedenken:

"Das Bild in konkretem Sinne, das wir uns vom Dritten Reich machen, ist das von diesem Regime selbst erzeugte Bild. Man braucht sich dazu nur eine beliebige Dokumentation im Fernsehen über die Zeit anzusehen. Illustriert wird immer mit Wochenschaubildern, Filmausschnitten aus Parteitagsfilmen und Propagandaspielfilmen. Noch immer entfalten diese Bilder eine eigenartige Faszination, indem sie einen authentischen Blick in das Geschehen zu geben scheinen, und mit Bildern von Hitler und anderen NS-Führern scheinbar sogar den inneren Machtzirkel des Dritten Reiches sichtbar machen. In gewisser Weise funktionieren sie damit noch genauso wie (damals) (...), als sie mit diesem Versprechen die Menschen vor die Leinwand lockten. Natürlich wissen wir, dass diese Bilder manipuliert sind und dass sie lügen. Aber: Das sehen wir nicht."

Bernd Kleinhans: Ein Volk, ein Reich, ein Kino. Lichtspiel in der braunen Provinz. PapyRossa, Köln 2003 (erscheint im April), rund 220 Seiten, ca. 15 Euro