Eine Katastrophe zu Wahlkampfzeiten und Fouls im Kampf um die Deutungshoheit
Wie die politische Klasse das Rekordhochwasser mit 159 Toten verarbeitet und warum ein Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes "not amused" über die Berichterstattung der Bild ist
Mindestens 159 Menschen haben durch die Hochwasserkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz ihr Leben verloren, tausende ihren gesamten Hausstand. Statistisch gesehen sind Wählerinnen und Wähler aller Bundestagsparteien betroffen. Die Frage, ob wegen des menschengemachten Klimawandels in Zukunft öfter mit solchen Extremwetterlagen gerechnet werden muss, treibt aber auch Wahlberechtigte um, die bisher nicht persönlich betroffen sind.
Dem CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet ist es mittlerweile peinlich, dass eine Kamera in der Nähe war, als er während einer Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Katastrophengebiet gefeixt hatte - noch dazu als Ministerpräsident des betroffenen Landes NRW. Den Grünen wird von der Springer-Presse sowie neurechten Blogs vorgeworfen, sie würden die Katastrophe für ihren Wahlkampf ausschlachten - endlich kann die SUV-Fraktion den Populismus-Vorwurf einmal umdrehen!
Mehrere Spitzenpolitiker waren an Ort und Stelle, aber wohl nicht alle mit derselben Motivation. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wirkte auch dadurch in ihrer Betroffenheit authentisch, dass sie nicht für eine weitere Amtszeit antritt – und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) dadurch, dass sie gerade erst wiedergewählt worden und trotzdem ins Katastrophengebiet gereist war, obwohl sie an Multipler Sklerose erkrankt und auf Gehhilfen angewiesen ist.
Allerdings müssen sich die Parteien der beiden Frauen nach jahrelanger Regierungsverantwortung im Bund und Merkel nach fast 16 Jahren Kanzlerinnenschaft auch Kritik gefallen lassen. Ihr möglicher Nachfolger Laschet gilt bei der Grünen Jugend als "Kohle-König von NRW", mit dem die Mutterpartei auf keinen Fall koalieren sollte. All das macht die Deutungshoheit über Wetter und Klima nach dieser Katastrophe zu Wahlkampfzeiten so wichtig.
"Die Einschläge werden häufiger"
Wer in den letzten Jahren politisch oder publizistisch zum Ausbremsen der Energie- und Verkehrswende beigetragen hat, kann insofern beruhigt sein, als Klimawissenschaftler und Meteorologen ihn nicht direkt für die Toten der aktuellen Katastrophe verantwortlich machen. Tenor: Einzelereignisse auf den Klimawandel zurückzuführen, sei schwierig - laut Prof. Mojib Latif kann man sie "immer als Wetter abtun" - ein Trend zu mehr Extremwetterlagen im Zusammenhang mit dem Klimawandel sei aber klar erkennbar.
"Not amused" war der Metereologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst über die Berichterstattung der Bild, die eine Art Expertenstreit herbeizuschreiben versucht hatte. Das Blatt habe ihn nach einem längeren Gespräch "selektiv zitiert", sagte Friedrich am Montag gegenüber Telepolis. Durch die Unterüberschrift "DWD-Experte: 'Ein solches regionales Unwetter ist ein Einzelereignis, das ist Wetter. Die Behauptung, der Klimawandel ist schuld, ist so nicht haltbar'", sei ein falscher Eindruck entstanden. Das Zitat sei zwar nicht falsch, aber tendenziös herausgestellt worden.
Er habe in dem Gespräch deutlich gemacht, dass in den letzten 20 Jahren die Häufigkeit von Starkregenereignissen in Deutschland zugenommen habe. "Die Einschläge werden häufiger", betonte Friedrich. Das zeige die Datenlage - und es könne zum einen auf die schon vorhandene Klimaerwärmung zurückgeführt werden. Außerdem hat sich in den letzten Jahren der Jetstream abgeschwächt. Das Starkwindband in etwa zehn Kilometer Höhe transportiere dadurch auch Tiefdruckgebiete wie "Bernd" langsamer. Daher würden größere Regenmengen über einem Gebiet abgeladen, während in anderen Gebieten Wassermangel herrsche.
Die Verlangsamung des Jetstream wird wiederum von der Wissensplattform Erde und Umwelt des Helmholtz-Zentrums Potsdam damit erklärt, dass sich die Arktis im Zuge des Klimawandels schneller erwärmt als der Rest der Welt: "Welche Wellen die Starkwindbänder schlagen, ist ganz davon abhängig wie stark die Temperaturunterschiede zwischen Äquator und Arktis ausgeprägt sind."
Aufarbeitung der letzten Tage
Nach einer Unbedenklichkeitsbescheinigung für weiteres Bremsen in Sachen Klimaschutz klingt all das nicht. Teil der Aufarbeitung sind aber nun berechtigterweise auch die Fehlentscheidungen der letzten Tage. Im Fall der aktuellen Hochwasserkatastrophe war der Deutsche Wetterdienst laut Friedrich von den Regenmengen keineswegs überrascht. Eine Unwettervorabinformation war am Montag vergangener Woche herausgegeben worden.
"Die Katastrophenleitstellen bekommen von uns als Behörden die Wetterwarnungen für ihre entsprechenden Gemeinden und Landkreise und setzen dann ihre Krisenstäbe ein. Dort wird entschieden, ob beispielsweise evakuiert wird. Auch die Hochwasserzentralen mit den Hydrologen müssen mit ins Boot geholt werden, die dann die Pegel für die Flüsse berechnen", sagte Friedrich am Sonntag in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der Leiter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, bestätigte am Sonntagabend im heute journal des ZDF die Qualität der Warnungen des DWD, vereidigte aber auch seine Behörde gegen Kritik. "Unsere Warninfrastruktur hat geklappt im Bund", betonte der ehemalige CDU-Politiker und gelernte Polizist. Das Problem sei, dass man oft eine halbe Stunde vorher noch nicht sagen könne, welchen Ort es mit welcher Regenmenge treffen werde.
Ein weiteres Problem scheint aber auch darin bestanden zu haben, dass die Menschen in den gefährdeten Gebieten hauptsächlich über Apps gewarnt wurden, da Sirenen auch dort nicht flächendeckend verfügbar sind. Gerade ältere Menschen, die sich im Ernstfall weniger schnell in Sicherheit bringen können, nutzen aber nicht zwangsläufig Apps. "Wir haben 150 Warnmeldungen über unsere Apps, über die Medien ausgesendet", sagte Schuster und verwies darauf, dass die Warn-App Nina des BBK insgesamt neun Millionen Nutzer habe. Wo die Bevölkerung durch Sirenen gewarnt worden sei, könne er noch nicht sagen. Eines aber steht fest: Sirenen werden wohl gut 76 Jahre nach dem letzten Krieg wieder verstärkt gebraucht.
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