Eine Niere für 6.000 Dollar

Organhandel ist eine Realität: Menschen aus armen Ländern verkaufen ihre Körperteile an Schwerkranke aus den Industrienationen

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Immer am ersten Samstag im Juni ist der Tag der Organspende. Viele Patienten warten dringend auf eine Leber, ein Herz oder eine Niere. Und es gibt viel zu wenige Spender. Bisher ist die Lebendspende streng reglementiert, aber es gibt zunehmend Stimmen, die verlangen, den gesetzlichen Rahmen zu erweitern. Doch der Ausverkauf des menschlichen Körpers hat längst begonnen..

Die New York Times stellte kürzlich einige Brasilianer aus einer Favela nahe des Flughafens der Stadt Recife vor, die einem internationalen Organhandelring ihre Nieren verkauft haben. Einer von ihnen, Alberty José da Silva, ist 38 Jahre alt, eines der 23 Kinder einer Prostituierten und außer sich selbst hat er zehn Personen zu versorgen, die mit ihm zusammen in einer Bretterbude mit zwei Zimmern hausen. Dieser Mann war immer arm und als ihm 6.000 Dollar für eine seiner Nieren geboten wurden, war ihm klar, dass er diese einmalige Chance nicht verpassen sollte.

Der Mindestlohn in dieser Region liegt bei 80 Dollar monatlich und selbst diese schlecht bezahlten Jobs sind so rar, dass unter der Hand viele für einen Dollar am Tag arbeiten. Eine solche Summe könnte Alberty da Silva sein Leben lang nie mit ehrlicher Arbeit verdienen, egal wie sehr er schuften würde. Also nahm er das Angebot an. Mittelsmänner in Brasilien, die inzwischen wegen Organhandels inhaftiert sind, organisierten alles. Sie besorgten die Papiere und ein Flugticket nach Südafrika, wo die Operation über die Bühne ging.

Die indische Künstlerin Shilpa Gupta zeichnete mit ihrer Installation Your Kidney Supermarket und dem Webprojekt xeno.bio.lab auf der Transmediale 04 ein düsteres Zukunftsbild eines globalen Organhandels, in dem moralische Bedenken keinen Platz haben. Die bizarre und hemmungslose Konsumgier der ersten Welt entblößt sich zwischen den hübschen Vitrinen, in denen "Take-away"-Nieren auf ihre Käufer warten und den luxuriösen Angeboten des Medizintourismus auf der Website. Der Besucher wird aufgeklärt über die Handelswege der Organe, die an die Kolonialzeiten erinnern, ebenso wie über die Lebensgeschichten der Spender, die aus finanzieller Not ihr Organ verkaufen. (Bild: Transmediale)

Sowohl Brasilien wie Südafrika haben Gesetze gegen den Organhandel. Aber da Silva wusste das noch nicht einmal, dass er an etwas Verbotenem teilnahm, er hielt die ganze Sache für offiziell und genehmigt:

"Sechs Riesen sind eine Menge Geld, besonders wenn man keines hat. Niemand hat uns gewarnt, dass das, was wir taten, illegal war. Erst als ich in Südafrika angekommen bin, wurde ich aufgefordert, ein Dokument zu unterschreiben, in dem stand, dass die Empfängerin meine Cousine ist. Da habe ich begriffen, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber dann war es zu spät, um auszusteigen."

Mehr als 3000 US-Amerikaner sterben jedes Jahr, während sie auf eine Nierentransplantation warten, auf der Liste der Anwärter stehen 60.000 Namen. In den USA ist es illegal, einen Spender für sein Organ zu bezahlen. Die Empfängerin der Niere von da Silva ist eine Frau aus New York City, die aus verständlichen Gründen ungenannt bleiben möchte. Sie war 15 Jahre Dialysepatientin und wartete sieben Jahre lang vergeblich auf ein Spenderorgan von einem Toten. Es ging ihr immer schlechter und schlechter und es wurde ihr klar, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte. Obwohl sie Gewissensbisse verspürte, kam sie zu dem Punkt, für die Lebendspende eines ihr Unbekannten viel Geld auf den Tisch zu legen. Über verwandtschaftliche Beziehungen nach Israel erfuhr sie von der Möglichkeit, in Südafrika für 60 000 Dollar eine neue Niere zu erhalten und ihr wurde versichert, alles sei völlig legal. Der Vermittler in Israel, Ilan Peri, erklärte ihr auch, der brasilianische Spender werde 25 000 Dollar erhalten, was natürlich schlicht erlogen war.

Von Brasilien über Israel und Südafrika in die USA

Andere Empfänger sagten während der laufenden Ermittlungen aus, sie hätten beim gleichen Deal wesentlich mehr bezahlt, in der Regel waren wohl 120.000 bis 150.000 Dollar fällig. Gegen den 52jährigen Ilan Peri wurde inzwischen ein Ermittlungsverfahren eröffnet, er soll der Kopf des Organhandelrings gewesen sein. Die Behörden in Südafrika haben die Beweise gegen das kriminelle Syndikat gesammelt, es geht um mehr als 200 suspekte Transplantationen, die alle in den privaten Krankenhäusern der Firma Netcare durchgeführt wurden.

Israel ist eine Drehscheibe für Organe, weil es dort kaum postmortale Spender gibt, was mit der nicht unumstrittenen, sehr strikten Auslegung des jüdischen Glaubens zu tun hat: Viele Juden glauben, dass der Körper möglichst komplett und unversehrt bestattet werden muss (Ask Rabbi Simmons und Jewish Law and Organ Transplantation).

Der brasilianisch-südafrikanisch-isarelische Ring um Peri soll allein für mehr als 100 Israeli neue Nieren "beschafft" haben. Das ist in Israel an sich nicht illegal, Meir Broder vom Gesundheitsministerium erläutert: "Bis heute gibt es kein Gesetz in Israel, dass den Handel mit menschlichen Organen verhindert". Das Ministerium hat eine Vorlage ins Parlament eingebracht, um das zu ändern, aber Experten meinen, dass die Opposition groß ist und es wahrscheinlich nicht verabschiedet wird. Bei Transplantationen im Ausland übernehmen die Krankenkassen sogar Kosten bis zu 80.000 Dollar.

Die Armen als Ersatzteillager für die Reichen

Die südafrikanischen Behörden sind sich sicher, den Organhändlerring in ihrem Land zerschlagen zu haben. Aber sie sind nicht so naiv zu glauben, dass damit das Problem wirklich gelöst ist. Auf der einen Seiten stehen reiche Menschen aus Industrieländern, die bald sterben werden, wenn sie kein Organ bekommen – allein in Westeuropa warten derzeit 40.000 Patienten dringend auf eine Spenderniere . Auf der anderen Seite stehen arme Menschen aus Entwicklungsländern, die kaum das Nötigste zum puren Überleben haben und auf dem globalen Markt nicht anderes verkaufen können als Teile ihres Körpers.

Ronald Winston Green-Thompson vom Gesundheitsamt der Provinz KwaZulu-Natal ist überzeugt, die Organhändler nur verdrängt zu haben:

"Das ist offensichtlich ein gut geöltes Syndikat, das es versteht, sich von einem Land zum anderen zu bewegen. Ich bin sicher, dass dieses Problem bald in einem anderen Land auftauchen wird. Die Frage ist nur in welchem."

In China, das schon in der Vergangenheit wegen seiner Praxis, Hingerichteten ihre Organe zu entnehmen, in Verruf geraten war (China sells organs of slain convicts), sollen inzwischen die ersten israelischen Organhändler aufgetaucht sein. In Brasilien wird der Ausverkauf menschlicher Ersatzteile zweifelsfrei fortgesetzt, obwohl da Silva und einige andere im Moment noch auf ihre Strafverfahren vor Gericht warten.

In den Slums von Recife war der Preis für eine Niere wegen der vielen Verkaufswilligen kurz vor dem Auffliegen des Organhandelsrings auf 3.000 Dollar gefallen. Einige der mindestens 60 Männer, die ihre Niere in Südafrika ließen, haben dadurch heute Gesundheitsprobleme, weil es an der sorgfältigen Nachsorge fehlt. Das es den Lebendspendern anschließend meistens schlechter geht als vorher, berichtet die Organisation Organs Watch: Die verdiente Geldsumme reicht nicht lange, und dann haben die Betroffenen Probleme zu arbeiten, sie fühlen sich nicht voll leistungsfähig, sind häufiger krank und haben oft psychische Probleme.

Brasilien ist in der Vergangenheit schon mehrfach in den Verdacht gekommen, dass hier Organe verkauft werden (Menschenjagd, Organhandel und Drogenkrieg). Aber auch in Indien blüht der Organhandel, konkrete Fälle wurden in der Vergangenheit außerdem aus Moldawien und anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks bekannt.

Es folgt Teil II "Der Handel mit menschlichen Ersatzteilen"