Eine Volksfront des nationalen Widerstands

Rechte Strategiediskussionen nach den Wahlerfolgen in Brandenburg und Sachsen

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Mitte August holte Bundeskanzler Schröder zu einem seiner gewagten historischen Vergleiche aus und warf CDU und PDS vor, beim Widerstand gegen Hartz IV eine "neue Volksfront" zu bilden. Die so Gescholtenen reagierten empört. "Völlig unpassend" fand die CDU-Vorsitzende Angela Merkel des Kanzlers Anspielung auf das 1935 von der Kommunistischen Internationalen anvisierte Aktionsbündnis von Kommunisten, Sozialisten und linksbürgerlichen Parteien. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus sah sich genötigt darauf hinzuweisen, dass es schließlich "himmelweite Unterschiede" zwischen CDU und PDS gebe, und auch Lothar Bisky war der Meinung, dass Schröder "den Boden der Sachlichkeit" verlassen habe.

Gut einen Monat später gibt es nun freiwillige Interessenten für den alten Kampfbegriff, der weder in der selbsternannten politischen Mitte noch im ostalgisch-demokratischen Sozialismus wohlgelitten ist. Noch am Tag der sächsischen Landtagswahl veröffentlichte das Parteipräsidium der NPD im Internet eine Erklärung mit dem Titel "Volksfront statt Gruppenegoismus".

Sie versucht zu ergründen, warum rechtsextremen Parteien in Deutschland bis dato kein dauerhafter Erfolg beschieden war und findet die Verantwortung bei der "gezielten "Einflußnahme des Systems auf die Entscheidungsträger nationaler Gruppen", den "Unzulänglichkeiten einzelner Personen" und bei all jenen Vorgängern, "die aus ehrlicher Gesinnung mit einer überzogenen Ausschließlichkeitshaltung ihrer eigenen Überzeugung eine Ideologiedebatte nach der anderen vom Zaun brechen und so mehr blockieren als dem Ganzen nützen."

Das zentrale Problem lag aus Sicht der heutigen NPD-Führung allerdings im strategischen Bereich:

Entscheidender Fehler in der Konstruktion der nationalen Nachkriegsbewegung war der Umstand, daß sich nationale Parteien zu stark am Parlamentarismus orientiert und die außerparlamentarische Opposition vernachlässigt haben.

Die Erklärung ist ein offensives Angebot zur Zusammenarbeit am äußersten rechten Rand und geizt deshalb auch nicht mit vermeintlich vertrauensbildender Selbstkritik. Die NPD diagnostiziert in den eigenen Reihen bis heute eine Reihe von Defiziten, "da sie mancherorts noch nicht über die notwendige Struktur mit effektiver Schlagkraft und nicht immer über Persönlichkeiten mit dem notwendigen politischen Wissen, geschlossenem Weltbild und Führungseigenschaften verfügt." Um die nationale Opposition insgesamt zu stärken, sollen parteitaktische Überlegungen deshalb zunächst in der Hintergrund treten:

Es kommt nicht zuerst darauf an, die Deutschen, die es noch sein wollen, in eine Partei zu integrieren, sondern diese zunächst einmal grundsätzlich für den Kampf um unser Volk zu gewinnen. (...) Dazu gehört auch die Notwendigkeit, die Vorgehensweise, die politischen Ansichten und die Organisationen aller in der nationalen Opposition befindlichen Parteien und Aktionsformen zunächst einmal grundsätzlich als Bereicherung im Kampf für unser Volk zu betrachten.

Die NPD will die Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremen Gruppierungen und Parteien ausdrücklich nicht auf braune Freizeitaktivitäten wie den "Marsch der nationalen Einheit" am 1. Mai, den Rudolf-Heß-Marsch in Wunsiedel oder die Demonstration "Berlin bleibt deutsch" beschränken, die am 25. September in der Hauptstadt geplant ist. Ergänzend sollen Absprachen mit anderen Parteien dafür sorgen, dass Wählerpotenziale gebündelt werden, damit wenigstens eine Gruppierung die 5%-Hürde nimmt.

Wie gewinnbringend ein solches Konzept sein kann, bewies zuerst die Kommunalwahl in Sachsen im Juni 2004. Vor drei Monaten konnte das "Nationale Bündnis Dresden", ein Zusammenschluss von NPD- und DVU-Aktivisten, Republikanern und anderen rechtsgerichteten Zeitgenossen, immerhin drei "volkstreue Deutsche" in den Stadtrat der sächsischen Landeshauptstadt entsenden.

Das Erfolgsmodell wurde verfeinert, und so ist das Ergebnis des vergangenen Wahlsonntags auch dem Umstand geschuldet, dass - gemäß einer "gemeinsamen Erklärung" der Vorsitzenden Udo Voigt und Gerhard Frey vom 23. Juni 2004 - die NPD auf eine Kandidatur in Brandenburg und die DVU auf eine Kandidatur in Sachsen verzichtete. Im Saarland hatten sich die Rechten auf ein ähnliches Vorgehen verständigt und der NPD bei der Landtagswahl am 5. September so immerhin 4% beschert. Zur Zeit werden offenbar weitergehende Sondierungsgespräche im rechtsextremen Lager geführt, um bei der Bundestagswahl 2006 mit einer gemeinsamen Liste antreten zu können.

Durch die jüngsten Stimmabgaben in Brandenburg und Sachsen bekommt das Projekt einer rechten Volksfront zweifelsohne weiteren Auftrieb. Die Zugewinne zahlen sich per Wahlkampfkostenerstattung in barer Münze aus und dürften die Parteikassen mindestens mit rund 60.000 Euro (DVU) bzw. mit etwa 190.000 Euro (NPD) füllen. Außerdem ist es sowohl der NPD als auch der DVU gelungen, junge Wähler an sich zu binden. Ihre Klientel setzt sich längst nicht mehr aus Altnazis und Ewig-Gestrigen zusammen. Stattdessen verbuchte die NPD im Freistaat 18% bei den unter 30-Jährigen, während sich in Brandenburg 15% der Erstwähler für die DVU entschieden. Darüber hinaus konnte insbesondere die NPD regionale Hochburgen errichten bzw. gegenüber der Kommunalwahl festigen. Im Wahlkreis "Sächsische Schweiz 2", wo gerade einmal 5,6% für die SPD stimmten, fuhren die Rechten 15,1% ein, in Reinhardtsdorf-Schöna, schon bei der Kommunalwahl im Juni der braune Trendsetter, waren es 23,1% , in Annaberg 14%.

"National befeite Zonen"

Die NPD kommt ihrem Ideal der "national befreiten Zonen", das 1991 erstmals in einem Strategiepapier des "Nationaldemokratischen Hochschulbundes" auftauchte, wieder ein Stück näher. Darin hieß es:

Wir betrachten die befreiten Zonen aus militanter Sicht, also aus der Sicht des politischen Aktivisten. Es geht keinesfalls darum, eigenständige staatliche Gebilde oder ähnlichen Unsinn ins Leben zu rufen. Nein, befreite Zonen bedeutet für uns zweierlei. Einmal ist es die Etablierung einer Gegenmacht. Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind, d.h. wir bestrafen Abweichler und Feinde, wir unterstützen Kampfgefährtinnen und -gefährten, wir helfen unterdrückten, ausgegrenzten und verfolgten Mitbürgern. Das System, der Staat und seine Büttel werden in der konkreten Lebensgestaltung der politischen Aktivisten der Stadt zweitrangig. Entscheidender wird das Verhalten derer sein, die für die Sache des Volkes kämpfen, unwichtig wird das Gezappel der Systemzwerge sein. Wir sind drinnen, der Staat bleibt draußen.

Während der brandenburgische Verfassungsschutz noch vor drei Jahren erklärte, das Konzept der national befreiten Zonen sei ein "papiernes Wunschgebilde", das von "rechtsextremistischen Propagandisten" und "gutmeinenden Publizisten" praktisch gleichermaßen als "Kampfbegriff" gebraucht werde, scheinen den Kollegen in Sachsen wenigstens Ansatzpunkte für dessen Realisierung aufgefallen zu sein:

Die Sächsische Schweiz ist bezüglich rechtsextremistischer Aktivitäten bereits seit Jahren eine Schwerpunktregion in Sachsen. Die rechtsextremistische Szene ist hier straff organisiert und strukturiert.

Und könnte demnächst ihrerseits gezielt und offiziell Einfluss auf die Berichterstattung des sächsischen Verfassungsschutzes nehmen. Nach Auskunft des künftigen Fraktionschefs Holger Apfel will die NPD im neuen Landtag einen Sitz in der für die Überwachung des Verfassungsschutzes zuständigen Parlamentarischen Kontrollkommission beantragten. Dieser Wunsch entspricht laut Apfel prinzipiellen Erwägungen und nicht etwa dem Bestreben, mögliche V-Leute in den eigenen Reihen zu enttarnen (Ein System, das das Problem, über das es informieren will, selbst erschafft, ist absurd). Schließlich sei die Partei nach dem Verbotsantrag, der vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte, von "Minusseelen gesäubert" worden.

Vor diesem Hintergrund könnte sich die Behauptung, der Wahlerfolg von NPD und DVU sei das lästige Ergebnis einer vorübergehenden Proteststimmung, als ebenso untauglich wie fahrlässig erweisen. Umso bedenklicher, dass sie noch während der laufenden Hochrechnungen von führenden Vertretern aller im Bundestag vertretenen Parteien aufgestellt wurde, denen offenbar nichts ferner liegt als eine substanzielle politische Auseinandersetzung.

Selbstredend könnten sie argumentativ überzeugend nachweisen, dass sich aus dem Begriff Deutschland kein grammatikalisch korrekter Satz und schon gar kein Parteiprogramm zusammenbasteln lässt, wie es die neue Volksfront in skrupelloser Anlehnung an den historischen Erzfeind derzeit versucht. Doch die Konfrontation mit dem Auftrumpfen rechter Parteien bedeutet für CDU, SPD, FDP und Grüne eben auch das freimütige Eingeständnis eigener Fehler, Versäumnisse und eklatanter Kompetenzprobleme.

Ein solches Eingeständnis und der erklärte Wille zur sachorientierten Kooperation würde bei den Wählerinnen und Wählern sicher besser ankommen als die ewig gleichen Worthülsen und das schmerzfreie Ignorieren der simplen Tatsache, dass ihnen die Stammwähler von einst zu Zehntausenden den Rücken kehren.