Eine falsche Kritik am Geld des Staates aus der Welt der Kryptographie

Seite 2: Der Ausgangspunkt: Institutionalisierter Vertrauensmissbrauch im Geldverkehr und im Internet

Die Diagnose

Kurz bevor mit der Pleite von Lehman Brothers die große Finanzkrise beginnt, veröffentlicht ein gewisser Satoshi Nakamoto den "Bitcoin", ein neues Geld im Internet, 1 und begründet dies mit seinen Vorbehalten gegenüber den herkömmlichen, staatlich geschöpften und von Banken in Umlauf gebrachten Geldern, die er in Anlehnung an den modernen Sprachgebrauch als "Fiatgelder"2  bezeichnet3:

Das Kernproblem konventioneller Währungen ist das Ausmaß an Vertrauen, das nötig ist, damit sie funktionieren. Der Zentralbank muss vertraut werden, dass sie die Währung nicht entwertet, doch die Geschichte des Fiatgeldes ist voll von Verrat an diesem Vertrauen. Banken muss vertraut werden, dass sie unser Geld aufbewahren und es elektronisch transferieren, doch sie verleihen es in Wellen von Kreditblasen mit einem kleinen Bruchteil an Deckung. Wir müssen den Banken unsere Privatsphäre anvertrauen, vertrauen, dass sie Identitätsdieben nicht die Möglichkeit geben, unsere Konten leerzuräumen. Ihre massiven Zusatzkosten machen Micropayments unmöglich.

Ersichtlich flott und sehr grundsätzlich abgerechnet wird hier mit dem Geld des Staates und den maßgeblichen Instanzen des marktwirtschaftlichen Geldverkehrs; größeren theoretischen Aufwand betreibt der Kritiker, der beim Funktionieren des Geldkreislaufs ein "Kernproblem" ausfindig gemacht hat, jedenfalls nicht.

Sein Urteil über das staatliche Kreditgeld und gesetzliche Zahlungsmittel, mit dem er es zu tun hat, entnimmt er dem praktisch interessierten Standpunkt des Bürgers, der mit dem Geld, das es zur Verrichtung der aus Wikipedia in der Fußnote zitierten praktischen Dienste gibt, einkaufen geht und dabei von dem in der Hauptsache nur eines wissen will: wie viel er für es bekommt.

Seine elementare Funktion, allgemein verbindlich als Maß der Werte der zum Verkauf stehenden Waren und Maßstab ihrer Preise zu fungieren und so den Zugriff auf diese von der Verfügung über Geld abhängig zu machen, ist für Satoshi N. allein unter diesem bornierten Gesichtspunkt von Belang.

Dazu bemerkt er, dass dieses Verhältnis variabel ist, näher: die Geldeinheiten des Dings, das ohnehin immer zu knapp ist, regelmäßig ihre Kaufkraft verlieren. Was er von dieser "Entwertung" für wissenswert hält, ist gleichfalls kein Urteil über die Sache.

Nakamoto drückt am Geld nur aus, dass dessen Dienste zu wünschen übrig lassen, und nachdem er den Schuldigen für inflationsbedingte Kaufkraftverluste beim Namen genannt hat, ist er mit der Angelegenheit auch schon fertig: Die "Zentralbank" bringt die Bürger regelmäßig um ihr gutes Recht, mit einer soliden Ware versorgt zu werden, die ihnen auf Dauer verlässlich das Rechnen und Zahlen und die reibungslose Abwicklung ihres sonstigen Verkehrs untereinander gestattet.

Im Setzen auf dieses gute Recht leisten sich die Bürger das "Vertrauen", auf dem für den Kritiker das moderne Geldwesen beruht und das in seinem Blick deswegen zu dessen "Kernproblem" avanciert, weil es notorisch verraten wird.

Durch die Erosion des Geldwerts, den die Bank des Staates zu verantworten hat, und durch das Kreditgeschäft der privaten Geldinstitute, über das man von diesem Kritiker erfährt, dass bei dem auch diese Banken in etwa das Gegenteil dessen tun, wofür sie funktionieren sollen, nämlich "unser Geld" in spekulativen Kreditgeschäften weggeben, anstatt für seine sichere Verwahrung und seinen weisungsgemäßen Transfer zu sorgen.

Auf diese Weise, durch die missbräuchliche Verwendung des ihnen gutgläubig anvertrauten Geldes seitens verantwortlicher Instanzen und Institute, von deren Dienstleistungen jedermann abhängig ist und deswegen auf deren Verrichtung vertrauen muss, die sich aber jeder Aufsicht und Kontrolle entziehen und denen man daher gar nicht vertrauen kann, werden Geldfunktionen gestört, teilweise ganz unterbunden, werden Bankkunden um das Eigentum gebracht, das sie doch nur übertragen wollen, usw. In Bezug auf die mit dem elektronischen Datenverkehr bei Kauf und Verkauf via Internet eingerissenen Usancen sieht es nicht besser aus4:

Es hat sich ergeben, dass der Handel im Internet inzwischen fast vollständig darauf beruht, dass Finanzinstitute als zu vertrauende dritte Parteien dienen, um elektronische Zahlungen zu verarbeiten. Während dieses System für die meisten Transaktionen ausreichend gut funktioniert, leidet es nach wie vor unter den Schwächen eines Modells, das auf Vertrauen beruht. Völlig unumkehrbare Transaktionen sind nicht wirklich möglich... Die Kosten der Vermittlung erhöhen die Kosten der Transaktion...

Ein größerer Schaden entsteht darüber hinaus durch den Wegfall der Möglichkeit, irreversible Zahlungen für irreversible Dienstleistungen zu tätigen... Ein bestimmtes Maß an Betrug wird als unvermeidbar akzeptiert. Diese Kosten und Zahlungsunsicherheiten können durch persönlichen Kontakt und die Verwendung einer physischen Währung vermieden werden, doch es existiert kein Mechanismus für die Leistung von Zahlungen über einen Kommunikationskanal ohne eine vertrauenswürdige Partei.

Auch hier sieht sich Bürger Nakamoto, für den es beim Kaufen und Verkaufen um unbedingte Vertragstreue sowie reibungslose und vor allem kostengünstige Abwicklung seines Zahlungsverkehrs und dabei darum geht, dass die an ihm Beteiligten für die Waren, die sie hergeben, und die Leistung, die sie erbringen, auch bezahlt werden und umgekehrt für ihr Geld bekommen, was sie bezahlt haben, stellvertretend für alle anderen um seine nur allzu berechtigte Erwartung betrogen, von den "Finanzinstituten" mit der seiner Interessenlage entsprechenden Dienstleistung versorgt zu werden:

Ohnmächtig sieht sich die mit Geld wirtschaftende Menschheit Instanzen ausgeliefert, die mit ihrer Macht das Zahlungswesen für ihr Interesse benutzen, nicht als Treuhänder des Vermögens ihrer Kunden wirken, sondern sich an denen bereichern, sich zum eigenen Vorteil einmischen in das Hin und Her von Rechten und Pflichten zwischen Käufern und Verkäufern und so praktisch unter Beweis stellen, dass sie das Vertrauen, das man in sie zu setzen nicht umhinkann, nur missbrauchen.

Die Therapie

Wenn das Kernproblem des marktwirtschaftlichen Geldverkehrs "eine vertrauenswürdige Partei" ist, der man dessen Abwicklung einerseits überantworten muss, die sich andererseits des in sie gesetzten Vertrauens als absolut unwürdig erweist, liegt die Behebung dieses Mangels auf der Hand5:

Vor dem Aufkommen starker Verschlüsselung mussten die User sich auf Passwortschutz für ihre Daten verlassen und dem Systemadministrator vertrauen, dass dieser ihre Informationen vertraulich hielt... Dann aber wurde starke Verschlüsselung für die Masse der Nutzer verfügbar, und Vertrauen war nicht länger nötig... Es ist Zeit, dass wir dasselbe mit Geld machen. Mit einer elektronischen Währung, die auf einem kryptographischen Beweis beruht und kein Vertrauen in Mittelsmänner benötigt, ist Geld sicher und kann mühelos transferiert werden.

Satoshi Nakamoto

Eine reine Peer-to-Peer-Version eines elektronischen Zahlungsverfahrens würde es ermöglichen, dass Online-Zahlungen von einer Partei direkt an eine andere gesendet werden, ohne über ein Finanzinstitut zu gehen... Notwendig ist ein elektronisches Zahlsystem, das auf kryptographischem Nachweis anstelle von Vertrauen basiert und es zwei bereitwilligen Parteien ermöglicht, Transaktionen direkt untereinander durchzuführen, ohne dass eine vertrauenswürdige dritte Partei benötigt wird.

Bitcoin, Whitepaper, S. 1

Bei den von Satoshi N. angeführten Funktionsdefiziten des "Fiatgeldes" – Entwertung, Kosten, Zahlungsunsicherheiten ... – ist bei allen angesprochenen "Transaktionen" – im Wesentlichen Kauf und Verkauf und der korrespondierende Geldverkehr – von ihm ganz selbstverständlich ein denen vorausgesetztes Zahlungsmittel unterstellt: Geld fungiert als Äquivalent zu der Ware oder Leistung, um die es den Akteuren geht.

Gleichfalls von ihm unterstellt ist bei allen monierten, den öffentlich-rechtlichen und privaten Instanzen des Geldwesens zur Last gelegten Verfälschungen und Verteuerungen des Geldverkehrs eine bestimmte Geldsumme, die da ihren Besitzer wechseln soll.

Deren Reduktion bei ihrer Übermittlung durch Machenschaften welcher Art auch immer bzw. deren Kaufkraftverlust begründet ja in der Sache das Problem des modernen Zahlungswesens, das der Kritiker aufwirft.

Und im Gestus, dieses Problem im Interesse der beteiligten Menschheit lösen zu wollen, reicht er einen Vorschlag ein, der insofern äußerst bemerkenswert ist, als er rein gar nichts zu schaffen hat, mit dem Problem, dessen Lösung er sein will.

Denn sein selbst fabriziertes "elektronisches Zahlungsverfahren" im Internet eliminiert zwar mit Sicherheit die missliebigen "dritten Parteien" aus dem Transaktionswesen der Bürger – zusammen mit denen aber eben das Geld, mit dem sie dabei zu wirtschaften pflegen und das Nakamoto auch als selbstverständliche Grundlage ihres Wirtschaftens unterstellt hat.

Der nicht geringe Widerspruch seines Bemühens, der kapitalistischen Geldwirtschaft mit einem Einfall zu ihrem besseren Funktionieren verhelfen zu wollen, der den Stoff, um den sich in dieser Wirtschaft alles dreht, zur unwichtigsten Nebensächlichkeit degradiert, irritiert ihn offensichtlich nicht.

Er bleibt einfach konsequent in seinem funktionalistischen Denken, das seiner Kritik am Geld des Staates zugrunde liegt, und wenn die in den Vorwurf mündet, dass dieses Geld als Mittel des Zahlungsverkehrs nur schlecht funktioniert, dann geht er eben mit größter Selbstverständlichkeit davon aus, mit einem im Internet konstruierten, zwischen Privaten reibungslos funktionierenden Transaktionswesen, das er "Zahlungsverfahren" nennt, das für sie optimale Zahlungsmittel gleich mit konstruiert zu haben.

Auf einem anderen Blatt steht, was man sich der Sache nach für einen blödsinnigen Riesenaufwand leistet, eine Identifizierung des Geldes mit seinem elektronischen Transferwesen praktisch wahr werden zu lassen und so zu tun, als wäre man in einer virtuellen Parallelwelt im Internet ohne das Geld aus dem wirklichen Leben erstens genauso als Käufer und Verkäufer unterwegs wie in diesem, dies aber zweitens viel besser.

Peter Decker ist Redakteur der politischen Vierteljahreszeitschrift GegenStandpunkt, in deren aktueller Ausgabe dieser Artikel ebenfalls erschienen ist.