Eine neue "Rosa Flut" durch den "Historischen Pakt"?
Seite 2: Kann die Linke das Momentum nutzen?
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Im Unterschied dazu ist für die Gegenwart festzustellen, dass die neuen links-progressiven Regierungen auf dem Kontinent heute relevante Elemente teilen. Die Protestwelle im Jahr 2019 erschütterte die meisten der rechtsgerichteten Regierungen, die sich in der Region nach dem Rohstoffabbau etabliert hatten.
Es ließ sich also eine allgemeine Dynamik beobachten, bei der alle regierenden Regierungen die Wahlen verloren haben (außer in Paraguay). Und einige haben es nicht einmal in die zweite Runde geschafft, wie im Fall von Chile und Peru. Die Menschen mögen sich vor allem angesichts der Enttäuschung über die lateinamerikanische Rechte für die Linke entschieden haben.
Aber die Frage ist, ob die Linke dieses Momentum nutzen kann. Sind wir Zeugen einer Wiederbelebung der alten "rosa Flut" sind? Und gibt es wirklich überhaupt ein gemeinsames Projekt der Gewinner?
Erstens scheint der politische Kontext heute ein anderer zu sein. Die antidemokratischen Regierungen Venezuelas und Nicaraguas haben nicht mehr die Unterstützung der anderen neuen Regierungschefs – Boric hat bereits beide Regimes verurteilt, und der neue kolumbianische Präsident scheint dieselbe Linie zu verfolgen.
Die neuen Gesichter der neuen Linken werden mittelfristig dazu führen, dass bekannte Figuren (wie Maduro, Lula und Cristina Fernández) an Bedeutung verlieren werden. Umgekehrt darf auch die institutionelle Konsolidierung der extremen Rechten in der Region, die in vielen Fällen die traditionelle Rechte verdrängt hat, nicht außer Acht gelassen werden.
Obwohl Bolsonaro bisher der einzige gewählte Vertreter dieser radikalen Rechten ist, haben ihre wichtigsten Figuren durchschlagende Wahlergebnisse erzielt und standen kurz vor der Wahl.
Zweitens ist der wirtschaftliche und soziale Kontext ein völlig anderer. Neben dem Abschwung bei den Rohstoffen ist auch der gewünschte Spielraum bei den Steuereinnahmen weggebrochen. Die durch die Covid-19-Pandemie verursachte Gesundheitskrise hat sich zu einer langwierigen sozialen Krise ausgewachsen.
Dem Bericht der "Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik" Cepal zufolge wird Lateinamerika zwischen 2021 und 2022 um 27 Jahre zurückfallen, was die extreme Armut betrifft, statt 81 leben 86 Millionen Menschen unter solchen Bedingungen.
In diesem Sinne ist es für neue Regierungen schwierig, Reformen durchzuführen, ohne die makroökonomischen Gleichgewichte zu berücksichtigen. Eine Verschlechterung der Inflationszahlen könnte den Lebensstandard in der Region noch weiter verschlechtern.
Lila Flut? Oder grün? Oder türkis?
Dies hat zum Teil dazu geführt, dass sich die programmatischen Prioritäten der progressiven Kräfte erheblich verändert haben. Einerseits gewann Boric in Chile die Wahl mit den Stimmen der jungen Frauen aus der Arbeiterklasse.
Sein Regierungsprogramm enthält eine ehrgeizige feministische Agenda, die die Schaffung eines nationalen Betreuungssystems vorsieht, das die Hausarbeit aufwertet, sowie die Förderung der Beschäftigung von Frauen als Reaktion auf die Wirtschaftskrise.
Und Petro ist der allererste lateinamerikanische Präsident, der vorschlägt, die Nutzung fossiler Brennstoffe zu ersetzen, und damit eine Art "Umweltprogressismus" einleitet. In Anbetracht der jüngsten Rückschläge Europas in dieser Frage ist dies auf globaler Ebene ein fraglos ein avantgardistischer Vorschlag.
Vielleicht sollten wir statt von einer neuen "rosa Flut" also eher von einer lila oder grünen Flut sprechen. Sogar eine türkisfarbene Flut, wie Boric auf dem Gipfel der Amerikas Anfang des Monats sagte, als er eine kontinentale Politik zum Schutz der Ozeane ankündigte.