"Eine so offene Diskussionskultur ist andernorts nicht mehr selbstverständlich"

Kai-Uwe Lassowski über das Telepolis-Forum, die Folgen der Polarisierung in Gesellschaft und Internet sowie absurde Manipulationsversuche von Unruhestiftern.

Telepolis und das Leserforum gehören eng zusammen. Seit über zweieinhalb Jahrzehnten können Leserinnen und Leser unter den redaktionellen Beiträgen mitdiskutieren. Doch auch das Telepolis-Forum als Instrument des offenen Meinungsaustauschs und der freien Meinungsbildung leidet unter der Polarisierung in der Gesellschaft. Debatten werden zunehmend aggressiv geführt, Unterstellungen und Angriffe treten an die Stelle von Argumenten.

Mitarbeiter des Heise-Verlags und ein engagiertes Moderatorenteam setzen sich täglich mit diesen Entwicklungen auseinander: Postings werden kontrolliert, Meldelisten abgearbeitet. Alle Beteiligte eint ein Ziel: Eine breite Debattenplattform zu erhalten, die in dieser Form in der deutschen Medienlandschaft einzigartig ist, und zugleich Missbrauch durch politische Akteure und Trolle abzuwehren. Eine schwierige Aufgabe, die oft für Kontroversen sorgt.

Telepolis-Chefredakteur Harald Neuber sprach darüber mit Kai-Uwe Lassowski, der die Moderation als Forenmanager bei Heise Medien koordiniert. Das Gespräch soll den Auftakt für eine lose Serie von Interviews zu Forenthemen geben. So werden wir den Umgang mit diesem Medium, seinen Chancen und Problemen, transparent machen.

Kai, Du hast vor gut einem Jahr die Verantwortung für die Leserforen bei Heise Medien übernommen, darunter auch das Forum von Telepolis. Was hast Du vorgefunden?
Kai-Uwe Lassowski: Vorgefunden habe ich ein Stück Zeitgeschichte, ein geradezu geschichtsträchtiges Forum mit über 40 Millionen Beiträgen und einem recht kontroversen Renommee. Etwas eingestaubt, aber quicklebendig. Doch während das Heise-Forum bei anderen Verlagen, mit denen ich gesprochen habe, einen größtenteils hervorragenden Ruf genießt – Heise an einigen Stellen geradezu darum beneidet wird – wurden das Telepolis-Forum und die jüngsten Entwicklungen im Forum intern deutlich kritischer gesehen.
Weshalb?
Kai-Uwe Lassowski: Das Diskussionsklima galt als rau, die Forennutzer mitunter als schwierig. Es gibt nicht wenige Kolleginnen und Kollegen im Verlag, die das Forum bis heute gänzlich meiden, weil sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen damit gemacht haben. Die Forensoftware basiert zudem auf einer mehr als 15 Jahre alten Entwicklungsstufe, die seither nur vereinzelt an heutige Anforderungen angepasst wurde. Es kam also einiges zusammen, was das Potenzial hatte, das Bild vom Forum nachhaltig zu trüben.
Wie geht man mit so einer Situation um?
Kai-Uwe Lassowski: Ich sah vor allem viele ungenutzte Chancen. Das hat mich letztlich an dieser Aufgabe auch gereizt. Die Schwierigkeiten können nicht geleugnet werden. Dass sie die positiven Aspekte des Forums allerdings so sehr überschatten, ist schade und im Grunde unnötig. Dieses Problem gehe ich mit den Kolleginnen und Kollegen im Haus gemeinsam an.
Was ist denn der Unterschied zwischen dem Leserforum hier bei Telepolis, und den Foren anderer Medien des Hauses?
Kai-Uwe Lassowski: Zum einen ist Telepolis ein politisches Medium. Das mag auch für andere Heise-Marken an vereinzelten Stellen gelten – bei Telepolis gilt es immer. Dieser Umstand färbt auf das Diskussionsklima ab. Beim ewigen Streit um das bessere Betriebssystem mag es auch mal etwas schroffer zugehen, aber das ist kein Vergleich zum intellektuellen Wettstreit um die Deutungshoheit bei politischen Kontroversen. Damit sticht das Forum von Telepolis ganz klar heraus.
Diese Erkenntnis hat sich durchgesetzt, deswegen hat Telepolis seit einigen Wochen erstmals auch eine eigene Domain.
Kai-Uwe Lassowski: Und das ist gut, weil damit tatsächlich mehr Klarheit in Bezug auf die Zielgruppe geschaffen wird. Solange man Heise vor allem als Technikverlag begreift, scheint Telepolis nicht so recht ins Portfolio zu passen. Aber Heise geht als Marke weit darüber hinaus, das ist vielen gar nicht bewusst.
Klar ist aber auch: Es gibt einen journalistischen Schwerpunkt im Technikbereich. Das spiegelt sich in einem großen Teil unserer Leserschaft wider. Umso brisanter wird es, wenn dadurch Zielgruppenkonflikte entstehen, weil Weltansichten aufeinanderprallen. Das war bislang sicherlich nicht immer zu unserem Vorteil.
Was waren seither die größten Herausforderungen?
Kai-Uwe Lassowski: Nicht zuletzt genau diese Problematik: Wie gehen wir mit Zielgruppenkonflikten um? Wie arbeiten wir vielleicht auch auf, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist? Insbesondere dem Telepolis-Forum wird immer wieder vorgeworfen, dass es spätestens ab 2015 von politisch fragwürdigen Akteuren unterwandert worden sei.

"Frontenbildung der Gesellschaft zeigt sich auch im Forum"

Warum ausgerechnet seit 2015?
Kai-Uwe Lassowski: Das steht in direktem Zusammenhang mit den damaligen Entwicklungen, die bis heute gemeinhin als "Flüchtlingskrise" bezeichnet werden. Einer durch die Regierung auferlegten Willkommenskultur standen in zunehmend radikalisierten Teilen der Gesellschaft vermehrt Skepsis, Ablehnung oder gar Fremdenhass gegenüber. Diese Polarisierung schlug sich vornehmlich im Internet nieder.
Als Reaktion oder infolgedessen mussten viele Diskussionsräume und -plattformen temporär, zu bestimmten Themen, einige aber auch dauerhaft eingeschränkt oder geschlossen werden. Nicht alle davon freiwillig, in den wenigsten Fällen jedoch grundlos.
Das Telepolis-Forum bot mit seiner liberalen Sperrpolitik und dem alternativen Tenor die perfekte neue Heimat für jene, die anderswo, oft zurecht, ausgeschlossen wurden. Die Auswirkungen spüren wir bis heute.
Die großen Krisen – der Klimawandel und dann konkreter die Corona-Pandemie und der Krieg Russlands gegen die Ukraine – haben die Polarisierung massiv befördert, und damit auch die wechselseitigen Vorwürfe. Das betrifft die Leitmedien ebenso wie alternative Medienangebote. Im redaktionellen Teil gehen wir damit möglichst offen um, wir versuchen, diese Debatten transparent darzustellen, ebenso die redaktionellen Entscheidungen, etwa in unserer Kolumne "Themen des Tages". Wie macht Ihr das im Forum?
Kai-Uwe Lassowski: Die Frontenbildung in der Gesellschaft zeigt sich ganz klar auch bei uns im Forum. Solange dabei in der Sache diskutiert wird, stellt dies nicht unbedingt ein Problem dar. Doch dabei bleibt es oft nicht. Wird es unsachlich oder gar beleidigend, greifen wir ein, sobald wir darauf aufmerksam werden.
Gleiches gilt, wenn sich Diskussionen zu weit vom Artikelinhalt wegbewegen. Wir versuchen dadurch zu verhindern, dass unter jedem Beitrag zu einem bestimmten Thema die gleichen Grundsatzdiskussionen stattfinden, während der Artikel eigentlich einen konkreten Aspekt oder eine neue Erkenntnis behandelt.
Pandemie und Krieg haben dieses Problem verschärft. Auch mit Desinformation sehen wir uns zunehmend konfrontiert. Da wir nicht jede Aussage im Forum redaktionell prüfen können, erfolgt die Moderation hier nach bestem Wissen und Gewissen. Dabei passieren auch Fehler, aber das müssen wir in Kauf nehmen. Zudem sind wir stark auf die Hinweise unserer User angewiesen, wenn es darum geht, unsere Aufmerksamkeit an die richtigen Stellen zu lenken. Die Moderation im Telepolis-Forum ist und bleibt daher ein Drahtseilakt.
Dennoch hat Telepolis-Forum doch aber einen Wert.
Kai-Uwe Lassowski: Absolut. Immerhin konnte bei uns weiterhin diskutiert werden. Auch wenn vereinzelt gern etwas anderes behauptet wird. Eine so offene Diskussionskultur wie bei Heise ist andernorts längst nicht mehr selbstverständlich.
Niemand verpflichtet den Verlag dazu, überhaupt eine Diskussionsplattform anzubieten. Schon gar nicht in seiner jetzigen Form: In Echtzeit, nahezu ohne jegliche Vorab-Moderation, auch zu unbequemen Themen – an einzelnen Stellen vielleicht sogar entgegen der eigenen Interessen. Die Robustheit und Kritikfähigkeit von Heise hat mir in dieser Sache imponiert.
Doch es bleibt ein schmaler Grat, wenn man sich anschaut, wie hartnäckig einzelne Unruhestifter zum Teil sind. Der Aufwand, der lange Zeit betrieben wurde, allein um etwa die Beitrags-Bewertungen zu manipulieren, ist geradezu absurd.
Vieles von dem haben wir inzwischen weitestgehend in den Griff bekommen. Trotzdem müssen und werden wir uns technisch künftig noch besser aufstellen, um es diesen Trollen so schwer wie möglich zu machen, mit ihren rechten Parolen und Verschwörungstheorien im Telepolis-Forum eine Plattform zu finden.
Gleichzeitig wollen wir die Voraussetzungen schaffen, um wertvolle Inhalte in Zukunft sichtbarer zu machen, diese mehr zu würdigen. Das ist fast die größere Herausforderung. Nicht, weil es diese Inhalte nicht gibt, sondern weil sie oftmals schlicht in der Masse untergehen.

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