Eklat im UN-Sicherheitsrat: Russischer Botschafter verlässt empört Tagung
EU-Ratspräsident hatte zuvor Russland die alleinige Schuld an der Nahrungsmittelkrise gegeben. Dabei liegen Vorschläge für den sicheren Export ukrainischen Getreides auf dem Tisch.
Am Montag tagte die UN-Sicherheitsrat zur Lage in der Ukraine und diese Sitzung wurde von einem diplomatischen Eklat überschattet. EU-Ratspräsident Charles Michel erhob schwere Vorwürfe gegen Russland: Das Land sei direkt für eine drohende globale Nahrungsmittelkrise verantwortlich, sagte er. Daraufhin verließ der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja demonstrativ den Raum.
Michel hatte gesagt, dass er vor einigen Wochen am Hafen der südukrainischen Stadt Odessa Millionen Tonnen von Getreide und Weizen gesehen habe, die in Containern und Schiffen feststeckten. Schuld daran seien "russische Kriegsschiffe im Schwarzen Meer sowie Moskaus Angriffe auf die Transportinfrastruktur und Lagerstätten für Getreide", so Michel.
Außerdem würde der russische Angriff den Anbau und die Ernte in der Ukraine verhindern, was die Preise für Nahrungsmittel nach oben treibe, Menschen in die Armut dränge und ganze Regionen destabilisiere. "Für diese drohende globale Nahrungsmittelkrise ist allein Russland verantwortlich. Russland allein", betonte Michel.
Damit aber nicht genug: Michel warf den russischen Truppen vor, in den besetzten Gebieten Getreide zu stehlen. Gleichzeitig schiebe Moskau die Schuld anderen in die Schuhe. Dies sei "feige" und schlichte Propaganda.
Nebensja wollte sich das nicht länger anhören, stand auf und ging. Michel rief ihm noch nach: "Sie können den Raum verlassen, vielleicht ist es einfacher, die Wahrheit nicht zu hören, Herr Botschafter". Nebensjas Stellvertreter, Dmitri Poljanski, schrieb später auf Telegram, dass Michels Äußerungen derart "unverschämt" gewesen seien, dass der russische Botschafter den Sitzungssaal verlassen habe. Poljanski warf Michel, dieser lege "niedrige professionelle Standards" und "fehlende Manieren" an den Tag.
Russische Initiativen werden ignoriert
Die "Wahrheit", mit der Michel den russischen UN-Botschafter konfrontieren wollte, ist allerdings auch nur eine halbe. Denn welche Initiativen Russland ergreift, um den Export ukrainischen Getreides zu ermöglichen, blendete Michel aus.
Russland hatte zum Beispiel die Sicherheit von ukrainischen Getreideexporten im Schwarzen Meer zugesichert. Die Schiffe könnten die Häfen über einen humanitären Korridor verlassen und die russischen Streitkräfte seien bereit, ihre Sicherheit auf den Routen in internationalen Gewässern zu gewährleisten, hieß es erst in der letzten Woche.
Um das zu gewährleisten, hatte Russland mit der Türkei eine Übereinkunft erzielt: Die Regierung von Recep Tayyip Erdogan hat angeboten, die Getreideschiffe ebenfalls zu eskortieren. Der Plan beider Länder sieht vor, dass die Schiffspassage unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen stehen soll. Außerdem soll in Istanbul ein Zentrum entstehen, über welches die Getreidelieferungen koordiniert würden.
Ukraine bangt um Sicherheit
Das Problem an der Sache: Die Ukraine hatte ihre Häfen vermint und müsste diese Minen erst beseitigen. Doch dazu ist sie aktuell nicht bereit, weil sie fürchtet, dass der wichtigste ukrainische Hafen, Odessa, dann gegen russische Angriffe ungeschützt sein könnte. Die Frage sei, so der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba, wie sichergestellt werden könne, dass Russland die Vereinbarung nicht verletze und seine Militärschiffe sich nicht in den Hafen schleichen und Odessa angreifen würden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verknüpfte vor diesem Hintergrund den Getreideexport mit der Lieferung weiterer Waffen. Als beste Garantie für die Freigabe der ukrainischen Häfen und für Getreideexporte bezeichnete er die Stationierung von Schiffsabwehrsystemen in der Ukraine. Diese sollten es ermöglichen, russische Schiffe zu treffen, wenn sie ukrainische Häfen angreifen sollten, sagte er.
Eine andere Möglichkeit für den Export von ukrainischem Getreide wäre der Transport auf der Schiene über Weißrussland in den litauischen Hafen Klaipeda an der Ostsee. Nach Angaben der litauischen Regierung gäbe es dort freie Kapazitäten, um rund 13 Millionen Tonnen Getreide zu verschiffen. Doch dieser Weg ist durch die Sanktionen der Europäischen Union und der USA versperrt. Auch der ukrainische Präsident erklärte kürzlich, diese Route nicht in Betracht ziehen zu wollen.