El surrealismo brutal
Das Spiel "Zeno Clash" bietet Massenschlägerei à la Hieronymus Bosch
Die chilenischen Independent-Entwickler ACE Team legen mit „Zeno Clash“ ein psychedelisches First-Person-Beat’em-up vor, das durch außergewöhnliches Art Design die schmerzlich vermisste Fantasie in die Fantasy zurückholt.
Man nehme die Architekturvisionen eines Antoni Gaudi, die Albtraumgestalten der Höllendarstellungen eines Hieronymus Bosch oder Alfred Kubin, veredle mit surrealistischen Landschaften à la Salvadore Dali und werfe für die Story wahlweise Jean „Moebius“ Giraud, Jim Henson, Alejandro Jodorowsky und China Mieville dazu. Sodann vermische man alles mit einer dicken Dosis „Streets of Rage“ und „Double Dragon“: Das ist Zeno Clash, ein Independent-Game, das allein durch seine Andersartigkeit im Vergleich zum Mainstream bemerkenswert ist.
Fantasy vs. Phantastik
„Fantasy“ als Thema in Literatur, Film und Spiel wird ihrem Namen seit längerem nicht gerecht: Das Tolkien’sche, der europäischen Artusepik entlehnte Patentrezept aus Feudalismus, Elfen, Orks, Drachen, Zauberern und tapferen Rittern ist nicht erst seit dem Megaerfolg der „Herr der Ringe“-Verfilmung allgegenwärtig. Was den generischen Bestsellern im Gefolge Tolkiens fehlt, ist allerdings oft die Fantasie. Während in der Literatur die Etikettierung mit New Weird jene zeitgenössischen Autoren versammelt, die sich wie Jeff Vandermeer oder auch China Mieville in ihren Werken den abwegigeren Varianten der Phantastik verschrieben haben, und während im Film unter anderen Jim Hensons Klassiker „Labyrinth“ (1986) „Dark Crystal“ (1982), Dave McKeans „MirrorMask“ (2005) und natürlich der Mexikaner Guillermo del Toro ein erfrischendes, surrealistisches Verhältnis zu den Genrekonventionen der Fantasy bewiesen, ist es im Medium der elektronischen Unterhaltung schon schwerer, tatsächlich „Phantastisches“ abseits der Fantasy-Trampelpfade zu entdecken.
Abgesehen von den unvermeidlichen fernöstlichen Bizarritäten, David Perrys „Sacrifice“ (2001), teilweise „American McGee’s Alice“ (2000) oder „Outcast“ (1999) bleibt fast nur der Verweis auf das damalige Grafikwunder „Shadow of the Beast“ (1989) und den französischen Entwickler ERE Informatique und dessen Sublabel Exxos, das in den späten Achtzigerjahren mit Spielen wie „Captain Blood“ (1988) und „K.U.L.T.“ (1989) eine eigenwillige, durchgängig exotische Form der Fantasy kultivierte. Den Massengeschmack trafen hier wie in den anderen Medien jedoch stets eher die bekannten, fest kodifizierten Fantasy-Entwürfe der High- oder Sword&Sorcery-Fantasy – eine bedauerliche Einschränkung, besonders in einem Medium, in dem Realismus und Surrealismus immerhin durch denselben Rechenaufwand hergestellt werden könnten.
Muhamma-Dali, oder: Schlägerei im Garten der Lüste
„Zeno Clash“ (erhältlich für PC via Stream und Direct2Drive um 15,99€) wendet sich von den altbekannten Fantasywelten ab und setzt auf Exotik und die Kunstgeschichte als Inspiration. Den Aussagen der Entwickler zufolge dienten die Werke Hieronymus Boschs, und hier besonders seine höllischen Albtraumgestalten, als Vorbild für das Charakterdesign, ebenso wie Jim Hensons „Dark Crystal“. Doch auch der Einfluss von Moebius Jean Giraud und vor allem dessen Zusammenarbeit mit dem ebenfalls chilenischen Multitalent Alejandro Jodorowsky ist im Debüt der Entwickler ACE Team, eines Brüdertrios aus Santiago, Chile, zu bemerken – den Vorabverweis auf die Rolle der Comickunst lieferte schon die Veröffentlichung von Teilen der Vorgeschichte von „Zeno Clash“ als Comic im Netz. „Zeno Clash“ überzeugt allerdings nicht nur durch sein tatsächlich außergewöhnliches Art Design, sondern auch durch seine innovative, aber dennoch handfeste Spielmechanik. In der Egoperspektive wird hier zur Abwechslung weniger geschossen als im Nahkampf geprügelt, eine Designentscheidung, die des Öfteren versucht (Dark Messiah of Might & Magic, „The Chronicles of Riddick: Escape from Butcher Bay“), aber selten derart stimmig umgesetzt wurde.
„Zeno Clash“ erzählt seine Geschichte nicht chronologisch; unvermittelt findet sich der Spieler zu Beginn im Faustkampf gegen seine „Geschwister“, abenteuerliche Kreaturen, vor denen man als Hauptfigur Ghat in weiblicher Sidekick-Begleitung immer aufs Neue fliehen muss. Im Verlauf der Handlung lüftet sich das Geheimnis um den angeblichen Mord Ghats an „Vater-Mutter“, einer beinahe Kubin’schen Figur in Gestalt eines riesigen, vogelmenschenähnlichen Wesens, doch immer neue Mysterien verweisen zum einen auf die Fremdartigkeit der im Wortsinn fantastischen Welt und zum anderen auf das tatsächliche Ausmaß der Erfindung der Entwickler: „Zeno Clash“ ist nur ein kleiner Ausblick in die Zenozoik genannte, detailliert gestaltete Fantasy-Welt, die noch für mehrere Projekte als Setting dienen soll.
Obwohl die Story von „Zeno Clash“ selbst keine neuen Maßstäbe im Genre setzen kann, folgt sie dem Rezept von Genre-Primus „Half-Life 2“ samt dessen Episoden, von dem auch die Source-Grafik-Engine lizenziert wurde, punktet aber eher durch überraschende Wendungen und fantasievolle Charaktere, als dem Medium erzählerisch neue Facetten abzugewinnen. Dazu ist „Zeno Clash“ zu viel lineares Prügelspiel, und erfreulicherweise bietet der Kampf auch einige strategische Möglichkeiten, so dass vor allem die Auseinandersetzungen mit mehreren Gegnern zugleich herausfordernd bleiben. Exotische Schusswaffen kommen nur vereinzelt zum Einsatz.
Erfreulich ist auch, dass „Zeno Clash“, trotz aller brachialer Haudrauf-Mechanik, auf übertriebene Gewalteffekte verzichtet – besiegte Gegner bleiben bewusstlos liegen, um in späteren Levels erneut gegen den Spieler anzutreten. Mit etwas über vier Stunden Kampagnen-Spielzeit ist „Zeno Clash“ zwar nicht gerade lang geraten, der fehlende Leerlauf, ein zusätzlicher „Challenge“-Modus sowie der bescheidene Preis von nur 15,99 € per Direktdownload rechtfertigen den Kauf des esoterischen Beat’em-ups aber allemal.
Stellte erst vor wenigen Wochen The Path unter Beweis, dass auf dem Independent-Games-Sektor auch durchaus „künstlerische“ Spielexperimente an ein weltweites Publikum gebracht werden können, so zeigt „Zeno Clash“, dass auch auf gestalterischer Ebene abseits der stets auf den Massengeschmack schielenden Major-Entwickler noch enorm viel Platz für Experimente ist. Mit solider Spielmechanik, ansprechender Story, vor allem aber mit seinem einzigartigen, durchgängig abgedrehten Art Design stellt „Zeno Clash“ momentan eine kreative Ausnahmeerscheinung im Gaming dar. Es bleibt zu hoffen, dass der Publikumszuspruch den jungen chilenischen Entwicklern weitere Ausflüge in die bizarre Welt von Zenozoik erlaubt.
Video: Zeno Clash, the "Corwids of the Free"