Emil und der Tuberkelbazillus

Seite 7: Propaganda als Nährboden für Verbrechen

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Die Marschmusik baut eine akustische Brücke zwischen Militär und Wissenschaft, denn sie ist auch in dem Labor zu hören, in dem Regierungsrat Koch jetzt forscht. "Herr Doktor, die Nährböden sind erschöpft", sagt sein Assistent Dr. Loeffler. "Die Kulturen müssen neu angesetzt werden." "Ich habe Michalke bereits beauftragt, frisches Rinderblut zu besorgen", antwortet Dr. Koch und bittet Fritz um den Zerstäuber. Dr. Koch besprüht Meerschweinchen mit von ihm gezüchteten Bazillen, um den Beweis zu erbringen, dass die Tuberkulose durch Einatmen übertragen wird. Da gruselt sich sogar der Jannings-Apologet Frank Noack, wobei ihm ein interessanter Fehler unterläuft (gemeint ist nicht der schwer arbeitende Käfig): "Unheimlich im Hinblick auf die späteren NS-Verbrechen muten Kochs Tierversuche an. Gas [sic] strömt in einen gläsernen Tierkäfig. Und weil er die ganze Nacht hindurch arbeitet, statt sich wie ein preußischer Beamter an feste Arbeitszeiten zu halten, verursacht er hohe Gaskosten."

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Vergast wird hier nicht. Fehler wie diesen findet man in Texten zu Robert Koch häufig. Sie zeugen von der suggestiven Kraft des Films. Es soll hier keineswegs behauptet werden, dass Koch Meerschweinchen bestäubt, um das Publikum im Rahmen eines von Goebbels ausgetüftelten Masterplans auf die Gaskammern in den Tötungsanstalten des "Euthanasieprogramms" vorzubereiten, und auf Vernichtungslager im Osten, die erst noch gebaut werden mussten. Wahrscheinlich war es eher umgekehrt. Szenen wie diese, der gebetsmühlenartig wiederholte Vergleich von Menschen mit Tieren und Bazillen, die permanente Kriegs- und Vernichtungsrhetorik, vorgetragen in politischen Reden, in der Zeitung, im Rundfunk und in Propagandafilmen wie Robert Koch, machten erst denkbar, was dann in die Tat umgesetzt wurde, begünstigt durch den Gewöhnungseffekt und das allmähliche Absenken von Standards und Wertmaßstäben.

Wer denkt, dass Michalke das Rinderblut gleich bringen wird, hat das Wesen des NS-Propagandafilms nicht verstanden. Der Held kämpft da unablässig gegen Bösewichte, weil er mit einem korrupten System konfrontiert ist, das es zu zerschlagen gilt. Dahinter steckt das Ideal von der rassereinen oder sonstwie homogenen Gesellschaft, die andauernd aggressiv verteidigt, aus der das zum Fremden erklärte entfernt werden muss. Eine Ideologie, die sich von der Negativität ernährt, kommt ohne Feindbilder nicht aus. Diese Filme tun es auch nicht. Koch kämpft gegen Bürokraten und Krankheitserreger, und Carl Peters kämpft mit den Schurken im Aus- und Inland um die Rohstoffe, die Deutschlands Wirtschaft braucht, um zu florieren. Wenn man anfängt, sich zu notieren, wer da alles als Gegenspieler der Helden auftritt, wird die Liste lang und immer länger. Darin spiegelt sich die Realität des Dritten Reichs, dessen Führung nie darum verlegen war, neue Feindesgruppen zu benennen.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Der Rechnungsrat, sagt Amtsdiener Michalke, hat das Rinderblut noch nicht bewilligt, weil Koch die Antragsfrist nicht eingehalten hat. Heute kein Rinderblut, gestern keine Gelatine, vorgestern keine Anilinfarben, ärgert sich Dr. Koch und will jetzt wenigstens die 18 Mark für Ratten und Meerschweinchen erstattet haben, die er privat vorschießen musste, um weiter experimentieren zu können. "Hier regiert eben der Heilige Bürokratius", sagt Dr. Loeffler. Steinhoff zeigt uns dazu eine Szene im Büro des Rechnungsrates. Der Amtsdiener beklagt sich darüber, dass Koch täglich neue Wünsche hat, die Hausordnung auf den Kopf stellt, Formulare nicht ordnungsgemäß ausfüllt, durch Nachtarbeit die Gasrechnung in die Höhe treibt und sich um Vorschriften des Rechnungsrates schlicht nicht kümmert. Diesem Herrn bleibt vor Empörung fast die Luft weg.

Passive Resistenz

Beim Anblick des Rechnungsrates kann man auch mal traurig werden. Ihn spielt Rudolf Klein-Rogge, den man in Fritz Langs Mabuse-Filmen, wo er einer faschistoiden Geheimorganisation vorsteht und die "Herrschaft des Verbrechens" anstrebt, als eine Art Proto-Hitler erlebt hatte. Hier ist er jetzt der Repräsentant eines bräsigen, das Einhalten von Vorschriften zum Selbstzweck erhebenden und den Fortschritt behindernden Beamtenapparats. Bernhard Goetzke, bei Lang der müde Tod und dann, als Staatsanwalt von Wenck, der Gegenspieler Dr. Mabuses, ist in Wollstein als mittelloser, unheilbar an der Tuberkulose erkrankter Patient zu sehen. Koch verspricht, etwas Geld zu besorgen, damit er noch einmal wegfahren kann, bevor er stirbt. Ist das Nächstenliebe oder eine versteckte Gemeinheit?

Obwohl ich es inzwischen eigentlich besser wissen müsste bin ich immer wieder erstaunt darüber, wie viel - mal mehr und mal weniger verdeckte - Aggression in diesen Nazifilmen steckt. Erst sehen wir, wie Koch die in einem Glaskasten gefangenen Meerschweinchen mit einer tödlichen Krankheit infiziert. Am Ende der Szene nennt Koch Michalke eine "Qualle". Von da schneidet Steinhoff auf den Rechnungsrat. Aus dem Off hören wir die Stimme der menschlichen Qualle: "Meerschweinchen, Ratten, Mäuse, Kaninchen, Affen …" Heißt das, man sollte auch den Amtsdiener und den Rechnungsrat bestäuben, um sie loszuwerden? So wie man die Gesundbeter in Wollstein aufhängen sollte? Wer andere Leute mit Tiernamen belegt, oder sie ausbrennen will wie ein Krebsgeschwür, ist deshalb noch kein Nazi. Das hier sind aber Dialoge aus einem Film, der in Wort und Bild andauernd Menschen mit Tieren vergleicht (beim zweiten Dutzend habe ich aufgehört zu zählen) und die Geschichte mit einem Subtext ausstattet, der Grenzen zum Erodieren bringt. Das ist genau geplant und handwerklich sehr gut gemacht.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Koch beklagt sich beim Rechnungsrat darüber, dass dieser durch sinnlose Vorschriften seine Forschungen behindert und wirft ihm "passive Resistenz" vor. Man beachte die Miniaturbüste auf dem Schreibtisch des Beamten. Sie zeigt den Kaiser, den der Rechnungsrat durch sein Verhalten verrät und verbindet den Mann mit dem Lehrer in Wollstein, der eine solche Büste - aus Mangel an Respekt - inmitten von irgendwelchem Nippes stehen hatte (der Lehrer war einer von den Leuten, die Koch ausbrennen wollte wie ein Krebsgeschwür). Unter "Resistenz" versteht man üblicherweise die Widerstandsfähigkeit eines Organismus gegenüber schädlichen äußeren Einflüssen, durch Parasiten und Infektionen beispielsweise. Der Bakteriologe Koch hat sich im Wort vergriffen, denkt man sich. Nicht unbedingt. Wir sind hier wieder im Reich der Assoziation, in dem sich der Film mit beachtlichem Geschick bewegt. Erinnern wir uns an die Theorie von der Resistenz der Juden gegen die Syphilis und die Tuberkulose, mit deren Hilfe der Nährboden für den Antisemitismus aufbereitet wurde (siehe oben). Im Rahmen dieses Denkmusters ist die passive Resistenz die Schwester des aktiven Infizierens. Die Nazis versprachen, mit Leuten wie dem Rechnungsrat, auch einem der Parasiten und Krankheitsüberträger im Volkskörper, kurzen Prozess zu machen. Alles nachzulesen in Mein Kampf.

Im vierten und letzten Teil über den Bekämpfer des Todes wird endlich Rudolf Virchow auftreten, der große Gegenspieler von Robert Koch. Verbunden sind die beiden durch eine barbusige Frauenleiche. Als Laie in Sachen Jugendschutz weiß ich nicht, wie das auf die Sechsjährigen wirkt, für die der Film freigegeben ist. Ich kann nur sagen, was mir dazu einfällt und warum mich die nackten Brüste in der Pathologie an Richard Wagner erinnern. Dies und mehr in:

Emil und der Liebestod

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