Emil und der Tuberkelbazillus

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Völkisches Denken, christliches Abendland und "Rassenhygiene" in der "Deutschen Medizin" des NS-Staats - Geschichte einer Verstrickung, Teil 9

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Zu Teil 8: Emil und die Tochter des Waldhüters

Angesichts eines bürokratischen Systems, das beim Umgang mit dem Filmerbe des Dritten Reichs schnell an seine Grenzen stößt, ist es gut, wenn man sich auf die Autoritätsgläubigkeit des Publikums verlassen kann. Statt einer auf Information gestützten Strategie haben wir Verbote und Aufkleber in Rot (FSK 18), Grün (FSK 12) und Gelb (FSK 6), die suggerieren, dass es eine Institution gibt, die weiß, was für Kinder welcher Altersstufe geeignet ist und was nicht - und die das schon immer wusste, weshalb Prüfergebnisse von vor 30, 40 oder 50 Jahren weiter gelten, solange keiner die Gebühr zahlt, die zu entrichten ist, damit die Experten für den Jugendschutz noch einmal hinschauen. Das muss kein Schaden sein. Hinschauen kann man zur Not auch selber. Das Tückische daran: Die Propaganda ist mitunter da versteckt, wo man nichts sehen kann.

"Die Berkel, also Frau Berkel ist ja so gesehen meine Vorgesetzte. Ich sach ja immer Tuberkel oder Eva Braun, also intern."

Stromberg

Wir waren beim schönen Tod des kleinen Marthelchens, dem Dr. Koch dabei hilft, ein Engel zu werden. Von der Hütte im Wald führt der Weg des Kreisphysikus zurück nach Wollstein. Er hat gerade noch Zeit, sich liebevoll um seine kleine Tochter zu kümmern und eine Tasse Kaffee zu trinken, ehe er sich den Patienten widmet, die bereits zahlreich auf ihn warten und einen Querschnitt durch eine ziemlich alt aussehende deutsche Volksgemeinschaft bilden (ganz so, als wären die Kinder schon gestorben). Das Gehalt eines Amtsarztes war eher gering, weshalb der Physikus auf Privatpatienten angewiesen war. Frau Koch will im Interesse der Haushaltskasse, dass ihr Mann zuerst den Bäckermeister und den Pferdehändler drannimmt, weil sie für die Behandlung auch bezahlen. Für Dr. Koch kommt das nicht in Frage: "Du weißt doch, es geht bei mir der Reihe nach!" Wer bei Robert Koch Patient ist kann vor dem Tod noch einmal eine Reise machen wie der unheilbar kranke und mittellose Herr Neschmann, und die Medikamente für das Marthelchen hat der Doktor auch schon bezahlt, weil sie für die Eltern zu teuer waren.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Kassenpatienten, die mitunter den Eindruck haben, dass ihr Arzt das Jonglieren mit der Gebührenordnung besser beherrscht als sein eigentliches Metier, das er mal studiert hat, dürften das alles sehr sympathisch finden. Dick aufgetragen ist es aber auch. Das hat seinen Grund. Dr. Koch wird uns in der ersten Viertelstunde so nachdrücklich als liebevoller Familienvater, Freund der Kinder, nur seinem Berufsethos verpflichteter Arzt und zu persönlichen Opfern bereiter Forscher vorgestellt, weil er ein paar Sachen macht, die nicht so sympathisch wirken könnten. Am Morgen sperrt er die Eltern aus, wenn er ihr krankes Kind in den Tod begleitet (mit einer Überdosis Morphium, vermute ich, dieses "Zaubermittel" für den "sanften Tod" empfiehlt Hellmuth Unger in seinen Euthanasieromanen). Am Abend kommt er wieder, um das kleine Marthelchen ohne die Einwilligung der Eltern zu sezieren und ein Stück von der Lunge mitzunehmen. Zweifel an der Lauterkeit von Kochs Motiven von Anfang an zu zerstreuen ist für den Film ganz wichtig.

"Judenfreie" Wissenschaft

Bereits in der umfangreichen Vorberichterstattung wurde das Bemühen um historische Korrektheit betont. So informierte etwa der Film-Kurier (25.2.1939) seine Leser darüber, dass Jannings sich beim Besuch des Robert-Koch-Instituts an Kochs originalen Arbeitstisch gesetzt, durch eine detailgetreue Nachbildung von dessen Mikroskop geblickt und sich die Handhabung der wissenschaftlichen Apparate habe erklären lassen. Beim Lesen solcher Artikel könnte man meinen, dass der Großschauspieler alter Schule die Stanislawski-Methode für sich entdeckt und sich zum method actor gewandelt hatte. Bei den Dreharbeiten war extra ein Universitätsprofessor dabei, der auf korrektes Hantieren mit den Instrumenten achtete. Die Schauspieler agierten in Kulissen, die sich an Photos von den Originalschauplätzen orientierten. Vorab wurden von den Dekorationen Modelle im Maßstab 1:10 bzw. 1:23 gebaut, damit der Perfektionist Steinhoff mit Fritz Arno Wagner (in einem früheren Karriereabschnitt Kameramann von Lang und Murnau) die besten Kamerapositionen austüfteln konnte.

Bei den Menschen nahm man es nicht so genau. Wenn Jannings sich tatsächlich, wie von der Werbung behauptet und ihm vom "wissenschaftlichen Bearbeiter" Dr. Hellmuth Unger attestiert, in monatelanger Vorbereitungszeit in Leben und Werk Robert Kochs vertieft haben sollte, müsste er sehr schnell begriffen haben, vor welchen Karren er sich da spannen ließ. Dem Reporter des Film-Kuriers erzählte er, einen Film drehen zu wollen, "der jeder wissenschaftlichen Kritik standhält. […]. Die Gestaltung des Menschlichen freilich wird sich nicht ängstlich an die biographischen Vorgänge halten; denn man will ja keinen Kulturfilm drehen, sondern das Lebensbekenntnis eines großen Genies." Es gehört zur Natur des Spielfilms, dass er sich nicht sklavisch an die "historische Wahrheit" hält, die es im Sinne einer nachprüfbaren Objektivität ohnehin nicht gibt. Was klingt wie eine Platitüde hat jedoch einen sinistren Hintergrund wie fast alles an diesem Film, dessen Held keine Leben retten kann, weil er rund um die Uhr den Tod bekämpfen muss.

Paul Ehrlich, Julius Friedrich Cohnheim, Ferdinand Julius Cohn

Ein weltberühmter Forscher und Nobelpreisträger wird man als Einzelkämpfer ohne Netzwerk eher selten. Der echte Robert Koch hatte Förderer. Beim Blick in seinen Lebenslauf drängen sich zwei Namen auf: Cohn und Cohnheim. Koch schrieb einen Artikel über die Ergebnisse seiner Milzbrandforschungen und schickte ihn an den an der Universität Breslau lehrenden Botaniker und Bakteriologen Friedrich Cohn, der sehr beeindruckt war und den Kollegen einlud, seine Experimente an der Universität zur Diskussion zu stellen. Bei seinem mehrtägigen Aufenthalt an der Universität begegnete Koch auch Paul Ehrlich, damals Student des ebenfalls in Breslau unterrichtenden und den Kreisarzt aus Wollstein unterstützenden Pathologen Julius Cohnheim (Cohnheim war ein Pionier der Mikroskopie an lebenden Organismen). Ehrlich hatte sich bereits im Vorfeld bei Cohn für ihn eingesetzt. Koch und Ehrlich verband danach eine langjährige Arbeitsbeziehung und eine persönliche Freundschaft. Für die wissenschaftliche Karriere des Robert Koch waren diese Tage in Breslau (disputiert wurde vom 30. April bis zum 2. Mai 1876) äußerst wichtig. Der Film lässt sie weg.

Das kann man damit begründen, dass der 1884 geborene Jannings schon zu alt war, um einen damals 33-jährigen Koch zu verkörpern (er spielte dann einen maximal 39-jährigen Koch), mit der dramatischen Verdichtung, die ein Spielfilm notwendigerweise leisten muss und damit, dass es hier um den Erreger der Tuberkulose und nicht des Milzbrandes geht - oder man macht sich bewusst, dass das ein NS-Propagandafilm ist und kein in eine von der Kunst und nicht der Ideologie regierte Zeitlosigkeit entschwebter "Klassiker", obwohl er heute so vermarktet wird. Für Wissenschaftler jüdischer Herkunft war in der Propaganda schlicht kein Platz, und am wenigsten für solche, denen der Held zu Dank verpflichtet ist, weil sie ihn in einer frühen Phase seiner Karriere kollegial unterstützen. Die Filmemacher entschieden sich dafür, die Handlung irgendwann nach der Breslau-Episode und vor Kochs Berufung an das Kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin im Jahre 1880 beginnen zu lassen.

Geboten wird eine "judenfrei" gemachte Version der Wissenschaftsgeschichte. Das erforderte der Rassenwahn der Nazis. Dabei fehlen nicht nur die jüdischen Kollegen von Robert Koch, sondern auch konkrete Angaben zur Chronologie. Man muss schon Kochs Vita studieren, um Rückschlüsse auf die Zeit der Handlung ziehen zu können. Bei einem Film, der sich die größtmögliche historische Genauigkeit zugute hält, ist das erstaunlich. Die Unbestimmtheit kommt mir vor wie eine kalkulierte Rückversicherung. Wer einen Spielfilm über eine Lichtgestalt der deutschen Forschung drehte und sich aus genrebedingten und ideologischen Gründen Freiheiten im Umgang mit dem überlieferten Wissen genehmigte, musste mit Kritik aus den Kreisen eben jener Wissenschaft rechnen, der man angeblich ein Denkmal setzen wollte. Einem Film, der in wesentlichen Teilen unkonkret bleibt, konkrete Versäumnisse oder Manipulationen nachzuweisen, ist zumindest schwierig.

Die deutsche Frau tritt zurück ins Glied

Kochs Förderer im Film heißt weder Cohn noch Cohnheim, sondern Landrat von Hartwig und ist eine frei erfundene Figur. Das hat zwei Vorteile: Mit den Juden ist man auch die Forscher los, auf deren Vorarbeit Wissenschaftler in der Regel aufbauen. Der Held im "Persönlichkeitsfilm" hat nach Möglichkeit ein Originalgenie zu sein und muss von anderen nichts lernen, weil es nur einen Führer geben kann, der von Anfang bis Ende weiß, was richtig ist, aus seiner Führernatur heraus. Ein Führer lernt nicht, und schon gar nicht von Kollegen, er hat eine Bestimmung. Er darf auch nicht von Kollegen protegiert werden, weil das Zweifel an der Verdorbenheit des Systems wecken könnte, gegen das er kämpft. Landrat von Hartwig erkennt Kochs Größe, ist aber ein wissenschaftlicher Laie. Förderer Nummer 2, Baron von Kossin, ist ein Ignorant. Der Reichstagsabgeordnete sorgt für Kochs Berufung nach Berlin, weil ihm der Physikus durch eine Kaltwasserbehandlung zum regelmäßigen Geschlechtsverkehr mit der verzärtelten Baronin verholfen hat. Mit solchen Kuren, denkt der Baron, könnte man viel Geld verdienen.

Wissenschaftler, die Koch unterstützen, sind ihm untergeordnete Assistenten ohne sein Genie. In Wollstein muss er vorerst mit Schwester Else vorlieb nehmen. Viktoria von Ballasko, die ihre Leinwandkarriere als die Gattin von Luis Trenker in Der Kaiser von Kalifornien begonnen hatte, brachte die Rolle den dritten Platz auf der Besetzungsliste ein, nach Emil Jannings und Werner Krauß. Das dürfte kommerziellen Überlegungen geschuldet gewesen sein. Ein Film, der ein Massenpublikum ansprechen wollte, brauchte eine junge Darstellerin, die man nach vorne schieben konnte, um zu suggerieren, dass es neben dem Kampf gegen den Tod auch eine Liebesgeschichte geben würde. Unter dramaturgischen Gesichtspunkten ist Schwester Else ziemlich überflüssig, unter ideologischen hingegen nicht.

Die nationalsozialistische Frau hatte dem Mann eine brave und verlässliche Gefährtin zu sein, die sich mit dem ihr zugewiesenen Platz in einer männlich bestimmten Welt zufrieden gab und ihr Glück darin fand, auf den Mann zu warten und zu helfen, wenn ihre Hilfe benötigt wurde. Dem Kinopublikum wurde das andauernd vorgeführt, garniert mit negativen Beispielen. Wie es nicht geht zeigt Emmy Koch. Das ist eher ungewöhnlich, weil ein NS-Held grundsätzlich weiß, was richtig ist und ihm auch bei der Wahl der Gemahlin kein Fehler unterlaufen sollte. Wahrscheinlich hat es mit der Biographie des echten Robert Koch zu tun. Er ließ sich 1890 von Emmy scheiden und lernte kurz danach (oder auch davor, wie böse Stimmen kolportierten) die damals 17-jährige Hedwig Freiberg kennen, die er 1893 heiratete. Hellmuth Unger nötigt das in Robert Koch. Roman eines großen Lebens einige rhetorische Verrenkungen ab, inklusive "Schicksalsstunde" und "Gnadengeschenk für einen Vereinsamten".

Für einen Teil des Publikums war Kochs Privatleben bestimmt faszinierender als die Entdeckung eines Krankheitserregers. Die Handlung von Bekämpfer des Todes endet vor der Scheidung, aber die Filmkünstler mussten mit Zuschauern rechnen, die dem Helden die skandalträchtige Trennung von der ersten Gattin und die zweite Ehe mit einer 30 Jahre jüngeren Frau, von der sie gehört oder gelesen hatten, verübeln könnten. Da empfahl es sich, die erste Frau Koch vorsorglich zu desavouieren. Emmy ist eine Meckerliese. Sie jammert, wenn der geniale Gatte zu spät zum Essen kommt, Geld für ein nach seinen Angaben gebautes Mikroskop ausgibt, die Privatpatienten zugunsten der armen Schlucker in seiner Praxis vernachlässigt oder das Marthelchen ohne Einwilligung der Eltern seziert. Der Film tut das als lästiges Gezeter ab. Wenn Emmy droht, mit der gemeinsamen Tochter zu ihrer Mutter zu ziehen, kriegt Robert es kaum mit, weil er zum Wohle der Menschheit unermüdlich forschen muss und dem Tuberkelbazillus auf der Spur ist. Was zählen da die Klagen einer frustrierten Gattin? Wer mit so einer Frau verheiratet ist muss sich irgendwann entscheiden, ob er seine Pflicht als großer Forscher erfüllen oder Ehemann bleiben will.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Wenn Emmy Koch ein schlechtes Vorbild abgibt wird die junge Generation umso wichtiger. Das Propagandakino der Nazis war sehr darauf bedacht, die Jugend zu Pflichterfüllung und Opferbereitschaft zu erziehen, weil das Regime einen Krieg vorbereitete, in den es junge Männer schicken wollte und keine Rentner. Vornehmste Aufgabe der Frauen war das Kinderkriegen. Dafür brauchte man deutsche Mädels, die zuhause ausharrten, bis der deutsche Mann zwischen zwei Kampfeinsätzen Zeit für sie erübrigen konnte. In den Filmen, die nach Beginn des Zweiten Weltkriegs entstanden, ist das sehr direkt. Ilse Werner in Wunschkonzert und die schon etwas reifere Zarah Leander in Die große Liebe warten an der Heimatfront geduldig auf die schneidigen Luftwaffenoffiziere, mit denen sie eine Familie gründen und dem Führer zukünftige Soldaten schenken wollen.

In Robert Koch wird kein Krieg geführt, oder jedenfalls nicht mit Panzern und Kanonen, doch das Prinzip ist ganz dasselbe. Am Todestag des kleinen Marthelchens kehrt der Sohn des Landrats zurück nach Wollstein. Fritz von Hartwig hat in Berlin sein Medizinstudium abgeschlossen und wünscht sich nichts mehr, als mit dem von ihm bewunderten Dr. Koch wissenschaftlich arbeiten zu dürfen. Koch lädt ihn ein, ihn am Abend zum Haus der Göhrkes zu begleiten, wo er Gewebeproben von der Lunge des toten Kindes entnehmen will. Fritz erzählt das voller Stolz Schwester Else. "Ja, ich weiß", sagt sie traurig. "Es ist wundervoll, mit ihm zu arbeiten. Ich wär auch sehr gern mitgegangen. Aber nun … hat er ja Sie." Dann überwindet sie ihre Enttäuschung und tritt als brave deutsche Frau zurück ins Glied.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Nur als Idee: Wenn es ihr so wichtig ist könnten die Männer Schwester Else einfach mitnehmen. Fritzens Aufgaben bei der Sektion (er reicht Koch das Skalpell und hält die Petroleumlampe) hätte sie genauso erledigen können. Die Botschaft lautet aber: Frauen haben in der Forschung nichts mehr verloren, sobald es Männer gibt, die ihre Arbeit machen können. Else wird jetzt bald aus dem Film verschwinden und erst am Schluss wieder auftauchen. Sie wird dann Krankenschwester in der Charité sein, Nachttöpfe leeren, das von den Tuberkulosekranken ausgespuckte Blut wegwischen, mit Fritz verlobt sein und geduldig darauf warten, dass der lückenlose Nachweis für die Existenz des Tuberkelbazillus gelingt, weil das junge Paar vorher nicht heiraten kann. Die Hochzeit wird ihr verwehrt bleiben, weil die Jugend manchmal das eigene Leben und das private Glück für das große Ganze opfern muss - für das Vaterland, die Wissenschaft oder für was auch immer. Die Nazis waren sehr gut darin, den Idealismus junger Menschen auszunützen. Filme wie dieser spielten dabei eine wichtige Rolle, weil sie das ewige Aufopfern als einen Wert an sich und die dazu passenden Vorbilder präsentierten.

Licht und Luft und Sonnenschein

Robert Koch hat jetzt ein Projekt (die Bekämpfung des Todes in Form des Tuberkelbazillus) sowie in Schwester Else und Fritz von Hartwig die ersten Jünger. Was braucht er sonst noch, der Held im NS-Propagandafilm? Genau. Ein paar Feinde müssen her. Ein Krankheitserreger ist doch sehr abstrakt. Es empfiehlt sich also, einige Bösewichte aus Fleisch und Blut einzuführen, die den Helden an der Bekämpfung des Bazillus hindern. Lehrer geben gute Feindbilder ab, weil sie in ihrer Funktion als Erzieher der Jugend stellvertretend für all das stehen können, was in Deutschland - in der Propagandaversion von der Welt - im Argen lag, ehe die Nazis die Macht übernahmen. Paul Dahlke spielt in Robert Koch einen Mann, der an Engstirnigkeit kaum zu übertreffen ist. Dadurch wird er zur Gefahr für das geistige und körperliche Wohl der Schüler, um das Koch sich so rührend sorgt. Als Freund der Kinder gibt der Onkel Doktor den Schülern nach dem Tod des kleinen Marthelchens Hygienetipps und rät zu viel frischer Luft, weil das am besten gegen die Tuberkulose schützt. Anders als der prügelnde Lehrer ist Koch auch ein guter Pädagoge. Seine Empfehlung verpackt er in einen Reim, weil sie so leichter zu merken ist: "Licht und Luft und Sonnenschein/lass zum offnen Fenster rein." Unter Aufsagen dieses Reims öffnen die Kinder in der Pause die Fenster des Klassenzimmers. Der Lehrer sieht seine Autorität untergraben, lässt die Fenster schließen und rennt zum Landrat, um Kochs Ablösung als Kreisphysikus zu fordern.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Mir fällt auf, dass Koch bei seiner Tätigkeit als Arzt und Wissenschaftler sowohl mit Menschen wie mit Tieren assoziiert wird. Erst behandelt er im Sprechzimmer seine Patienten, dann geht er ins Labor, um den Versuchstieren Injektionen zu verabreichen, und wenn Schwester Else die Instrumente desinfiziert weiß man nicht genau, für wen sie benötigt werden. Ein Zufall ist das nicht. Alles in diesem Film ist genau aufeinander abgestimmt und dies nicht zuletzt, um dem Zuschauer die von der Propaganda gewünschte Bewertung der vorgetragenen Positionen zu suggerieren. Interessanterweise empört sich ausgerechnet der als Buhmann eingeführte Lehrer über etwas, das er als Grenzaufhebung zwischen Tier und Mensch empfindet. Der Film präsentiert seine Bedenken als dummes Gerede eines Ignoranten, der von Wissenschaft keine Ahnung hat und dem Fortschritt im Wege steht (der Lehrer glaubt, dass man sich bei offenen Fenstern die Schwindsucht holt, obwohl Experte Koch gerade erklärt hat, dass frische Luft der Vorbeugung dient).

Aufhänger sind die Forschungen des echten Robert Koch zum Lebenszyklus und den Infektionswegen des Milzbranderregers. Auch die Arbeit mit künstlich infizierten Versuchstieren hat der Film nicht erfunden. Biographische Elemente sind aber in der Propaganda deshalb so beliebt, weil sie einerseits eine irgendwie geartete und angeblich ideologiefreie "historische Wahrheit" zu gewährleisten scheinen und andererseits mit Bedeutungen aufzuladen sind, die sich erst aus dem Kontext ergeben, in dem sie zum Einsatz kommen. Kochs Forschungen zum Milzbrand und zur Tuberkulose setzen eine Assoziationskette in Gang, die zur Auflösung der Grenze zwischen Tier und Mensch beiträgt (sowie zwischen Mensch und Bazillus), wie sie auch für die gleichgeschaltete medizinische Standespresse und deren Äußerungen zur NS-Gesundheitspolitik nicht ganz untypisch ist.

Wenn man die von Hellmuth Unger als Hauptschriftleiter verantworteten Ärzteblätter oder die von ihm im Auftrag des Rassenpolitischen Amtes gegründete Zeitschrift Volk und Welt liest stolpert man über Artikel, bei denen man sich fragt, ob man sich noch im Bereich der Humanmedizin befindet oder unversehens bei den Veterinären gelandet ist. Durch die dauernde Wiederholung der dort als "wissenschaftlich" ausgegebenen Behauptungen, nehme ich an, trat im Lauf der Zeit ein Nivellierungsprozess ein, durch den die Stolpersteine immer weniger als solche wahrgenommen wurden. Beim Sehen von Robert Koch sollte man nie vergessen, dass in der Person von Hellmuth Unger hinter den Kulissen ein bereits in die Vorarbeiten und die Drehbuchentwicklung eingebundener Mann mitwirkte, der seit Jahren Reklame für die Vorstellungen der Nazis von der Gesundheit und Rassenreinheit des deutschen Volkskörpers machte und darin viel Erfahrung hatte.

Kinder, Kühe - und die Angst vor dem Viehwaggon

Robert Koch, sagt Landrat von Hartwig, sei "ein Mann, der durch seine Milzbrandforschungen die ganze wissenschaftliche Welt hat aufhorchen lassen". Damit weist er den Schullehrer zurecht, der Kochs Ablösung als Kreisphysikus fordert und den der Landrat als "verbohrten Kanaken" abkanzelt. Koch, sagt er, habe einen Lehrstuhl verdient, "damit er endlich Menschen findet, die für seine Arbeiten Verständnis haben". Stummer Zeuge dieser Szene ist Kaiser Wilhelm I., in Gestalt eines Portraits, das im Dienstzimmer des Landrats hängt. Dem Kaiser werden wir später noch begegnen, genauso wie Otto von Bismarck. Beide Herren fallen einem nicht sofort ein, wenn man an die Entdeckung des Tuberkuloseerregers denkt, waren aber Fixpunkte einer Propaganda, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, den einst schnöde von Bord geschickten Lotsen des Regierungsschiffes zu rehabilitieren (siehe dazu Liebeneiners Die Entlassung mit Jannings als Bismarck). Wilhelm I. fiel dabei die Rolle des gütigen und verständnisvollen Monarchen zu, weil er den "Eisernen Kanzler" in sein Amt eingesetzt und nicht gefeuert hatte wie sein Enkel Wilhelm II., den Hitler überhaupt nicht leiden konnte.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Wenn im NS-Staat höchstes Lob verteilt werden sollte war regelmäßig von der "Weltgeltung" die Rede, zu der jemand dem deutschen Film, der deutschen Wissenschaft etc. verholfen habe. Koch hat die Welt "aufhorchen" lassen, doch für den Lehrer ist das nur ein weiteres Ärgernis. "Von seinen Experimenten mit Kühen und Schafen habe ich allerdings gehört, Herr Landrat", erwidert er. "Ich weiß Bescheid, obwohl ich ein Kanake bin. Aber meine Schulkinder sind keine Kühe und keine Schafe." Kinder sind keine Kühe. Das erscheint einem sogar dann noch selbstverständlich, wenn es ein unverständiger Idiot wie der Lehrer sagt, einer von den Ewiggestrigen. Und doch hat die Milzbrandforschung dafür gesorgt, dass Tiere und Menschen in einem Atemzug genannt werden. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden. Kochs Experimente sind ein hervorragendes Beispiel dafür, welche Fortschritte die medizinische Wissenschaft durch die Arbeit mit Versuchstieren machte. Für die Menschheit war das ein Segen (für die Versuchsobjekte eher weniger). Das ist die eine Ebene. Eine andere gibt es auch. Die von Paul Dahlke gesprochenen Dialogsätze kamen in einem Land aus den Lautsprechern, dessen Führung von einem rassereinen Volk mit Stammbaum träumte wie der Züchter im Hundezwinger, und nicht davor zurückschreckte, Menschen wie Vieh zu behandeln, wenn es der Wahn vom gesunden Volkskörper so haben wollte.

Das erfuhr auch Paul Otto, der den Landrat spielt. Otto war ein renommierter Bühnendarsteller mit Engagement am von Heinz Hilpert geleiteten Deutschen Theater, der seit mehr als einem Vierteljahrhundert auf der Leinwand zu sehen war und sich dort auf Offiziere, Richter, Staatsanwälte, Professoren und hohe Beamte spezialisiert hatte. Paul Otto beherrschte das forsche, preußisch-autoritär (und definitiv nicht "jüdisch") wirkende Auftreten und wurde ab 1933 häufig in Propagandafilmen besetzt (Unternehmen Michael, Pour le Mérite, D III 88). In seiner Szene mit Paul Dahlke als Schullehrer treffen zwei Staatsschauspieler des Dritten Reichs aufeinander. Das war der höchste, von Goebbels verliehene Ehrentitel für Bühnendarsteller (Paul Otto und Paul Dahlke erhielten ihn beide 1937, ein Jahr nach Emil Jannings). Der Minister sah es gern, wenn Theaterstars in Filmen mitwirkten, weil das Renommee der bewegten Bilder dadurch gesteigert wurde. Mit einem oder mehreren Staatsschauspielern auf der Besetzungsliste erfuhr das für Goebbels’ wichtigste Propagandamedium eine doppelte Aufwertung. Robert Koch hat, falls ich richtig gezählt habe, deren sechs, was rekordverdächtig ist.

1942 wurde Paul Otto Leiter der "Fachschaft Bühne", einer der sieben Abteilungen der vom Propagandaministerium kontrollierten Reichstheaterkammer. Mit bürgerlichem Namen hieß er Paul Otto Schlesinger. Seine jüdische Herkunft konnte er lange verheimlichen. Im November 1943 kam sie durch einen dummen Zufall ans Licht. Um der Deportation in die Vernichtungslager zu entgehen nahm er sich gemeinsam mit seiner Frau, der Schauspielerin Charlotte Klinder, am 30.11.1943 das Leben. Schade, dass man als Käufer der DVD nichts davon erfährt. Ein paar kurze Sätze würden reichen, um die Illusion von der hehren Filmkunst platzen zu lassen und Robert Koch den Kontext zurückzugeben, in dem er entstanden ist.

Kreuz mit Schlagschatten

Der Landrat verliert jetzt die Geduld. "Der Fall ist erledigt", herrscht er den Lehrer an, "also bitte kein Wort weiter. Ich habe Ihre Beschwerde zur Kenntnis genommen, und damit Basta. Adieu." Mit diesen Worten dreht er ihm verächtlich den Rücken zu. Dem Lehrer bleibt nichts weiter übrig, als verärgert abzuziehen. "Es ist noch nicht aller Tage Abend", sagt er draußen vor der Tür. Auf die nächste Möglichkeit, dem Physikus eins auszuwischen, muss er nicht lange warten. Während Koch Patienten betreut, Versuchstieren eine Spritze gibt und dann mit seinem Assistenten Fritz von Hartwig zum Haus des Waldhüters fährt, um das Marthelchen zu sezieren, suchen die Eltern Trost bei den Gesundbetern, die glauben, man könne Tuberkulosekranke durch Hallelujahsingen heilen. Von Seiten der Filmemacher ist das ein geschickter Schachzug.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

"Ich versteh dich nicht", sagt Frau Koch einmal zu ihrem Gatten, der gerade die Instrumente für die Sektion am Marthelchen in seine Arzttasche packt. "Nein, du verstehst mich nicht, weil du eben nicht an mich glaubst", erwidert der Doktor. "Oder … glaubst du doch an mich?" Frau Koch schweigt. Das ist mehr als die Szene einer Ehe, die in der Krise ist, weil die Frau kein Vertrauen zu ihrem Mann hat. Führerfiguren im NS-Propagandafilm fordern regelmäßig den Glauben an ihre Person, ihre Fähigkeiten und ihre Mission ein. Mit dem Glauben, so die Verheißung, kommt das Verstehen, und nicht umgekehrt. Das kennt man eigentlich aus anderen Konzepten als denen der Wissenschaft oder des ehelichen Zusammenlebens. Die Nazis verkauften ihre Ideologie als neue Religion und inszenierten sie auch als solche. Als Schurken boten sich daher die Vertreter von Organisationen an, die ebenfalls in Fragen des Glaubens und der Moral die Zuständigkeit für sich beanspruchten. So konnte man die Konkurrenz desavouieren.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Eigentlich würde man erwarten, dass nach dem Lehrer der Pastor auftritt, den Koch beim Sterben des kleinen Marthelchens für überflüssig erklärt hat, weil das Kind auch ohne seinen Segen in den Himmel komme. Diesen Geistlichen Herrn aber werden wir nie zu sehen kriegen. Beim Christentum war besondere Vorsicht geboten, weil sich über Generationen hinweg gewachsene Bindungen nicht in einigen wenigen Jahren kappen ließen. Die Konfrontation der Wissenschaft mit der christlichen Religion findet statt, nur eben nicht zwischen Koch und dem Pastor, sondern zwischen Koch und fanatischen Sektierern. Dadurch sinkt das Risiko, dass sich ein signifikanter Teil der Zuschauer mit Kochs Gegnern identifiziert, und die Filmemacher können hoffen, dass der nur im Dialog erwähnte Pastor per Assoziation ebenfalls als Vertreter des Aberglaubens und nicht des Glaubens wahrgenommen wird, das Christentum mithin als ein Relikt einer dunklen, unaufgeklärten Vergangenheit. Die Nazis hatten es hingegen verstanden, sich als Vertreter des Fortschritts und der Modernität zu vermarkten und ihrer Ersatzreligion einen pseudowissenschaftlichen Anstrich zu geben.

"Licht und Luft und Sonnenschein/lass zum offnen Fenster rein", lautet die goldene Gesundheitsregel des Dr. Koch. Nichts davon gibt es in der Welt der christlichen Fundamentalisten, auch kein Bild des gnädigen Monarchen. Wenn wir zum ersten Mal den von Staatsschauspieler Bernhard Minetti verkörperten Sektenchef sehen sitzt er unter einem großen, grob gezimmerten Holzkreuz, das die Requisite so angebracht hat, dass es einen dunklen Schatten an die Wand wirft. Fritz Arno Wagner zeigt hier, dass er in der Weimarer Republik mit Murnau und Fritz Lang zusammengearbeitet hat und weiß, wie man das Licht setzt und durch harte Hell/Dunkel-Kontraste eine dämonische Stimmung erzeugt. Wagners Kamera fährt die Reihe der singenden Gesundbeter ab, die wirken wie Gestalten aus einem Zombiefilm und verharrt bei Minetti, der sich erhebt und den lieben Brüdern und Schwestern versichert, dass sie allein im Besitz der reinen Lehre seien. Die Maske hat ihm einen Bart angeklebt und ihn als Lenin-Doppelgänger zurechtgemacht. Er begrüßt nun das Ehepaar Göhrke, das den Tod eines Kindes zu beklagen habe, weil es statt auf die Gesundbeter auf einen "Menschenarzt" vertraut habe, "einen Menschenarzt, der seine sündige Weisheit für Wissenschaft ausgibt".

Was soll das heißen, "Menschenarzt"? Warum muss Minetti es zweimal sagen und den "Menschenarzt" dabei noch besonders betonen? Hätten die Göhrkes für ihre Tochter einen Tierarzt holen sollen? Da muss man erst mal nachdenken. Gemeint scheint zu sein, dass die Gesundbeter nur Gott als Arzt akzeptieren. Trotzdem wird man stutzig, wenn man die Euthanasieromane von Hellmuth Unger gelesen hat. Unger kombiniert "Mensch" gern mit anderen Substantiven, wenn es um sein Spezialthema geht, den "Gnadentod". Hat er hier seine Spur hinterlassen? In Heimkehr nach Insulinde wird Dr. Glen als "Menschenhelfer" aktiv, wenn er die tödliche Morphiuminjektion verabreicht. In Sendung und Gewissen gibt Dr. Terstegen dem blinden Jagdhund Pluto, einem "wahren Menschenhund", den Gnadenschuss, um sodann von seinen Patienten zu erzählen, denen er "den Gnadentod gewährt" habe, weil sein Berufsethos dies von ihm verlange. Was für Tiere recht ist, sagt der Roman, kann für leidende Menschen nur billig sein (in des Wortes doppelter Bedeutung - der Kostenfaktor war bei der Euthanasie im Nazireich ein gewichtiges Argument).

Aggression und Aberglauben

Der fanatische Sektenführer gerät schließlich außer Rand und Band. "Den leibhaftigen Satan habt ihr in euer Haus gelassen!", brüllt er die Göhrkes an. "Austreiben muss man ihn! Mit Feuer und Schwefel!" Der Waldhüter brüllt mit und will den Teufel aus seinem Haus werfen. Der Mob rennt in den Wald. Wir bleiben zurück und sehen das Kreuz und den dunklen Schatten, den es wirft. Steinhoff hat sich entschieden, von da auf eine Einstellung in der Hütte des Waldhüters zu überblenden. Durch die Überblendung beginnt die nächste Szene mit einem Bild, das die beiden nun aufeinander prallenden Welten zeigt. Die eine Welt ist die des Aberglaubens, symbolisiert durch das Kreuz des Christentums und den Schatten, den es auf die Menschen wirft. Die andere Welt, symbolisiert durch eine Petroleumlampe, bringt Licht ins Dunkel. Es ist das Licht des Fortschritts und der Wissenschaft. Im Schein der von Fritz gehaltenen Lampe seziert Koch das Marthelchen. Er entnimmt Lungengewebe und gibt es in ein Reagenzglas, lässt sich Nadel und Faden reichen. Beim Vernähen der Schnitte ist draußen der Gesang der Gesundbeter zu hören.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Im sicheren Bewusstsein ihrer Sendung macht die Führerfigur im NS-Film keine Kompromisse, ein Führer hat keine Angst vor der Konfrontation mit seinen Feinden, und charismatisch ist er natürlich auch. Andere würden schleunigst das Weite suchen, wenn der Mob kommt. Robert Koch desinfiziert erst mal seine Hände, knöpft sich das Jackett zu und sagt zu Fritz: "Aufhängen müsste man die Kerle. Ängstigen die Menschen mit ihrem Hokuspokus zu Tode." Kochs Ärger ist verständlich. Fanatiker machen den Leuten in Wollstein Angst, behindern die Wissenschaft und stören ihn bei der Sektion. Aber muss man sie gleich aufhängen, die Kerle? Was soll so ein Dialog in einem Arztfilm? Der Satz ist nicht einfach so dahingesagt. Er ist Teil einer Strategie der verbalen Radikalisierung. Durch eine aggressive, Feindbilder transportierende Sprache bereiteten die Nazis den Nährboden für ihre Ideologie auf. Je empfänglicher eine Gesellschaft für Vorurteile und Ausgrenzungsangebote ist (oder durch die permanente Wiederholung gemacht wird), umso wirkungsvoller ist das.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Es geht los mit einer Szene, in der Koch im Labor sitzt und Antwort auf die Frage seiner nicht an ihn glaubenden Frau gibt, ob er etwa mit seinem Mikroskop die Menschen retten könne? Durchaus, sagt der geniale Forscher: "Das ist die Hoffnung meines Lebens. Ja begreifst du denn nicht, Frau? Weshalb sitze ich denn hier Nächte und Nächte, am Mikroskop, weil ich endlich wissen will, was das ist, Tuberkulose. Junge blühende Menschen werden davon befallen, leiden, werden elend sterben. Warum? Wo steckt der Feind? Wie sieht er aus? Mit welchen Waffen kann ich ihn bekämpfen? Das muss ich wissen, das muss ich herauskriegen, dafür opfere ich meine Zeit, meine Kraft, meine Nerven …"

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Wenn Koch von seiner Forschungsarbeit spricht könnte man meinen, man sei in einem Kriegsfilm gelandet. Dabei sind die Sprachebenen so austauschbar wie die Feindbilder. Handwerklich ist das sehr gut gemacht. Einmal ist der zu bekämpfende Feind der Tuberkuloseerreger. Dann sind die Gesundbeter die Feinde, weil sie Koch daran hindern wollen, befallenes Lungengewebe zu entnehmen und den Erreger unter dem Mikroskop aufzuspüren. Mag sein, dass der echte Robert Koch bei der Beschreibung seiner Tätigkeit so aggressiv von "Bazillen", "Erregern" und "Parasiten" sprach wie Jannings im Film. Im Dritten Reich waren das Schlüsselworte in biologistischen Sprachmustern, an deren gebetsmühlenartiger Wiederholung und Reduzierung auf scheinbar eindeutige Feindbilder sich sehr gut die Wechselwirkung zwischen einer Rhetorik der Gewalt und konkreten politischen Verhaltensweisen studieren lässt.

"Deutsche Medizin"

Während Koch nach getaner Arbeit den Mantel anzieht dringt der Mob in das Haus ein. Göhrke bricht die Tür zum Sterbezimmer seiner Tochter auf. Auch die Schlüsselstellen des Films erkennt man daran, dass sie - leicht abgewandelt - wiederholt werden. Zuerst schließt sich Dr. Koch mit dem kleinen Mädchen ein, um die eine oder andere Art von Sterbehilfe zu leisten. Dann schließt er sich mit dem toten Kind ein, um die Leiche zu sezieren. Er handelt dabei als Arzt, als Wissenschaftler und - in seiner Funktion als Physikus - als Repräsentant des Staates. Beide Male verstehen der Waldhüter und seine Frau nicht, was eigentlich geschieht, weil der Film dem Marthelchen ein naives und nicht besonders helles Elternpaar beigegeben hat. Bevor Koch zur Sektion aufbricht will seine Gattin Emmy wissen, ob er die Eltern um Erlaubnis gebeten habe? Koch wirkt traurig. Für ihn ist die Frage ein weiterer Beweis dafür, dass seine Frau nicht an ihn glaubt. "Erlaubt?", gibt er zur Antwort. "Wenn ich darauf warten wollte? Du kennst doch die Menschen mit ihrem idiotischen Aberglauben." Die Botschaft ist klar: Wenn Koch den Göhrkes lang und breit erklären würde, was er zu tun gedenkt, und wenn er vorher ihr Einverständnis einholen würde, müsste das Mädchen unnötig leiden, und der Erreger würde nie gefunden werden. Also verfügt er über den Körper des kleinen Mädchens, wie er es für richtig hält.

In der Gesundheitspolitik leiteten die Nazis gleich nach der Machtübernahme einen Paradigmenwechsel ein, hin zu einer "Deutschen Medizin", in der sich der Schwerpunkt von der Behandlung der Kranken auf die kostengünstigere Prävention verlagerte. Die neue Politik stand unter dem Primat der Eugenik und der Rassenhygiene. Alle Maßnahmen sollten in erster Linie einem rassistisch und sozialhygienisch aufgeladenen Konzept von der Volksgesundheit dienen, nicht der Gesundheit des Individuums. Reichsärzteführer Wagner gab 1934 die Richtung vor, als er sagte, dass es "für jeden deutschen Arzt höchstes sittliches Gebot" sei, "dem Kranken und Schwachen zu helfen". Leider gab es zu "höchstes Gebot" eine Steigerung: "Noch höher steht uns völkisch bewußten Ärzten allerdings die Pflicht, die am ganzen Volkskörper zehrenden Schäden zu beseitigen."

Das "Recht des Menschen auf den eigenen Körper", so Wagner, sei ein "von den marxistischen Gesundheitspolitikern gebrauchtes Schlagwort", das "am besten Geist und Wert der Gesundheitspflege des liberalistischen Systems" kennzeichne. Robert Koch agiert wie einer, der Wagners Text gelesen und besagten "Geist und Wert" über Bord geworfen hat, weil er dem Volkskörper verpflichtet ist, nicht dem Körper eines kleinen Mädchens (oder den Gefühlen seiner Eltern). Es hat etwas Infames, wenn sich der Film das positive Image des Arztberufs zunutze macht, um für eine Politik zu werben, die dabei war, das ärztliche Berufsethos, dem dieses Image zu verdanken war, total umzukrempeln. Wer sich noch mehr gruseln möchte kann es mit der Lektüre der Reden und Aufrufe von Gerhard Wagner probieren, 1943 herausgegeben von Leonardo Conti, Wagners Nachfolger als Reichsärzteführer. Mich würde es nicht wundern, wenn einiges davon Dr. med. Hellmuth Unger geschrieben hätte, Wagners Pressereferent. Viele gesundheitspolitische Aspekte der NS-Ideologie, die man in den von Unger redigierten Ärzteblättern und in der Propagandazeitschrift Neues Volk findet, sind im Bekämpfer des Todes in eine Spielfilmhandlung verpackt.

Nun lässt sich schwer bestreiten, dass die Geschichte der modernen Medizin ohne die Leichenöffnung und die dabei gewonnen Erkenntnisse nicht zu erzählen ist. In christlichen Gesellschaften war die Sektion über Jahrhunderte hinweg ein Tabu. Viele Pioniere der Wissenschaft operierten darum außerhalb der Legalität, bis Ende des 18. Jahrhunderts ein sehr schmerzhafter, lang andauernder Prozess einsetzte, in dem darum gerungen wurde, ob und wie die Medizin mit den Leichen zu versorgen war, die sie für Forschung und Lehre brauchte. In Robert Koch wird aus der Sektion das Vehikel zum Transport einer Ideologie, in deren Zentrum der visionäre Führer steht, der seiner Zeit voraus ist und sich nicht an überkommene, von ihm als falsch erkannte Regeln halten kann. Zum Wohle der Gemeinschaft muss der Führer mitunter harte Entscheidungen treffen, ohne Rücksicht auf sich und andere (vor allem auf die anderen). Zur Erfüllung seiner Mission, sagt Koch einmal zu seiner Frau, würde er auch sie und die gemeinsame Tochter opfern. (Ärgere nur ich mich über Leute, die so etwas für sechsjährige Kinder freigeben?)

Unerschütterlicher Glaube

Mit frisch entnommenem Lungengewebe tritt Dr. Koch aus dem Zimmer mit der Leiche und tadelt den Waldhüter wie ein ungezogenes Kind: "Göhrke, was machen Sie denn?" Der schuldbewusste Göhrke (das ist der Mann, dessen Tochter der Held des Fortschritts gerade aufgeschnitten hat) kann Kochs Blick nicht standhalten und senkt die Augen. Der Sektenchef ist härter im Nehmen, Koch aber auch nicht gewachsen. "Wir sind gekommen, den Teufel auszutreiben", geifert der Gesundbeter. "Der einzige Teufel, der hier auszutreiben wäre, ist eure hirnverbrannte Dummheit", sagt Koch. "Sie versündigen sich an den Auserwählten des Herrn!", brüllt der Sektenführer. "Auserwählte des Herrn?", fragt Koch verächtlich. "Ein Krebsschaden seid ihr, den man ausbrennen sollte." Der Gesundbeter droht mit seinem Gott, und der Waldhüter will wissen, was der "Herr Doktor" mit seinem Marthelchen gemacht hat. "Gehen Sie zu ihr hinein, Göhrke", sagt der Herr Doktor milde. Die Göhrkes gehen in das Zimmer, und der Doktor hat einen letzten Satz für die Gesundbeter übrig: "Und ihr, habt Ehrfurcht vor dem Tode." Das hatten wir schon mal. In der ersten Marthelchen-Szene schickt Koch die Eltern in das Zimmer mit der Leiche ihres Kindes, das gerade einen schönen Tod gestorben ist. Frau Göhrke ermahnt er, nicht laut und hysterisch zu werden, denn: "Mit Toten muss man sanft umgehen, die wollen ihren Frieden haben." In der zweiten Marthelchen-Szene kommt er wieder, um das Mädchen zu sezieren. Dann schickt er die Eltern hinein zur frisch vernähten Leiche, als wäre damit alles gut. Die Dreistigkeit ist atemberaubend; die Kunstfertigkeit, mit der dieser Film das durchzieht, durchaus eindrucksvoll.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Was der Herr Doktor tut ist wohlgetan, weil er, die Führergestalt, im Besitz der einzig selig machenden Wahrheit ist. Man muss nur an ihn glauben wie sein Jünger Fritz von Hartwig, der Koch nun durch die Reihen der erstarrten, entgeistert dreinblickenden Gesundbeter folgt. "Das ist der Satan", schreit der Sektenführer Koch in seiner Impotenz hinterher. An den Satan glauben christliche Fanatiker (andere Christen gibt es in dem Film nicht), nicht das Licht des Fortschritts in die Welt bringende Wissenschaftler. Also folgt eine Laborszene, in der Koch Gewebeproben untersucht und ideologisch aufgeladene Wissenschaftssätze wie diese sagt: "Ein winziges Stück Lunge, zerstört von Tuberkulose. Hier liegt das Rätsel, das ich lösen will. Wenn diese Krankheit einen Erreger hat, so ist dieser Erreger ein Lebewesen so unvorstellbar klein, dass es selbst im Mikroskop von seiner Umgebung nicht zu unterscheiden ist. […] Nur wenn ich den Erreger im Gewebe färben kann, dann wird er sichtbar." Die Färbung ist "das Letzte und das Schwerste." Fritz stellt voll Erstaunen fest, dass das schon der 160. Versuch ist. "Der 161. Versuch mit Blau, mein Junge", korrigiert Dr. Koch. Nur mit Methylenblau. Die anderen Farbversuche, die gehen in die Tausende." Hier könnte man sich kurz fragen, woher Koch das Gewebe für seine Versuche hat. Wie legal oder illegal war die Beschaffung? Wie viele Göhrkes gibt es im Kreis Wollstein, dessen Amtsarzt unermüdlich den Tod bekämpft und dabei keine Opfer scheut?

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Wir sind jetzt aber dazu aufgerufen, den schier "übermenschlichen Fleiß" (Fritz) des Dr. Koch zu bewundern. "Welch eine Unsumme von Arbeit", staunt der Assistent. Koch gibt ihm eine Weisheit für die Zukunft mit: "Du wirst nur soviel mehr im Leben sein, als du mehr arbeitest als andere Menschen." Fleißig kann letztlich jeder sein. Damit es an der Spitze kein Gedrängel gibt, braucht der Führer ein Alleinstellungsmerkmal. Er ist ein Genie, was aber nicht direkt gesagt wird, weil das die Bescheidenheit verbietet. Fritz formuliert es so: "Sie sprechen immer nur von Arbeit, von Ihrem großen Können sprechen Sie nicht." Man muss also einen übermenschlichen Fleiß haben, ein Genie muss man sein, und noch etwas gehört dazu, um ein echter Führer zu sein: "Ein Glaube, der unerschütterlich ist", sagt Dr. Koch. "Auch wenn die kleingläubigen Seelen um uns herum uns nicht verstehen können oder, was noch schlimmer ist, uns nicht verstehen wollen." Wer inzwischen unter den ewigen Glaubensbekenntnissen stöhnt: Der Überdruss kommt von der Häufung, für die ich mich hier entschieden habe. Im Film ist der Glaube an den Führer geschickt verteilt.

Gediegene Darstellung

Von seiner Umgebung nicht zu unterscheiden ist er also, der Erreger. Da könnte einem der "getarnte Jude" einfallen, das liebste Feindbild der NS-Propaganda. Das Zerrbild vom "Juden", der als Parasit einen Wirtskörper sucht, Völker wie das deutsche befällt und zerstört wie der Tuberkuloseerreger die Lunge des kleinen Marthelchens wurde dem Publikum im Dritten Reich als Antwort auf die Frage präsentiert, wer für das Böse auf der Welt verantwortlich und zu bekämpfen war. Dabei muss es nicht unbedingt der Jude sein. Das Wort "Erreger" ist ein Platzhalter für gerade aktuelle Feindbilder. Robert Koch, der Bekämpfer des Todes erreicht dadurch eine gruselige Form der Zeitlosigkeit. Am Tod und am Zerfall eines Körpers, eines Staates oder einer Gesellschaft kann in diesem Szenario der eine Feind genauso schuld sein wie der andere.

Das Wort "Jude" kommt im Dialog des Films nicht vor. 1939 war das auch nicht nötig. Im NS-Staat wurde so intensiv und flächendeckend gegen die Juden gehetzt, dass ein durchschnittlicher Zuschauer vermutlich nicht viel Phantasie brauchte, um die Verbindung herzustellen. Genau so war es von Goebbels gewünscht. In den Köpfen des Publikums sollten sich Assoziationen einstellen, die suggeriert und nicht ausbuchstabiert wurden, weil das die Wirkung steigerte. Junge Menschen schauen zu einer großen deutschen Forscherpersönlichkeit auf. Die Kräfte des Aberglaubens und des Ewiggestrigen müssen überwunden werden, damit die jungen Menschen nicht an einer schrecklichen Krankheit sterben. Durch Fleiß und harte Arbeit kommt man voran. Das waren die Gleitmittel, mit deren Hilfe dem Publikum die Propaganda eingeführt wurde.

Die Anziehungskraft der von Robert Koch propagierten Tugenden überdauerte die Naziherrschaft. Anfang der 1950er, als die FSK eine damals noch gekürzte Fassung des Films freigegeben hatte, wurden spezielle Vorstellungen für die deutsche Jugend angesetzt. Der Evangelische Filmbeobachter (7.2.1952) lobte, dass der Bekämpfer des Todes "zu jenen Werken" gehöre, "die in gediegener Gestaltung unter absolutem Vorrang der Einzeldarstellung großer Schauspieler eine Fülle von lebendigen historischen Überlieferungen eindrücklich rekonstruiert haben. Besonders für Jugendliche sind diese Filme unentbehrlich und zusammen mit einer sachlichen Auswertung und Ergänzung im Gespräch sind sie Bildungsmaterial von höchstem Wert. Erwachsene und Jugendliche ab 12 oder 13 sehen den Film mit Gewinn." Fragt sich nur: Mit welchem und für wen? Bei der sachlichen Auswertung ließ sich immerhin ergänzen, dass man trotz gegenteiliger Behauptungen des Dr. Koch doch einen Pastor brauchte, um in den Himmel zu kommen und nicht alle Christen Fanatiker in Leninmaske sind. Das verlangte schon der Gedanke an die künftigen Einnahmen durch die Kirchensteuer.

Mit welchem "Gewinn" sah man Robert Koch im Dritten Reich? Die Leute kamen sicher nicht mit dem Gefühl aus dem Kino, jetzt die Juden vernichten zu müssen wie vielleicht bei Jud Süß. Aber ihnen wurde das Bild einer Welt vermittelt, in der man entweder zu den Bösen gehört oder einem Führer folgt, an dessen Person und Mission man glauben muss, auch wenn man nicht alles davon versteht - einem Führer, der gegen menschliche Feinde kämpft und gegen Lebewesen, die sich im (Volks-)Körper einnisten und von ihrer Umgebung so schwer zu unterscheiden sind, dass man sie erst aufspüren und enttarnen muss, ehe man ihrem tödlichen Treiben wirkungsvoll begegnen kann. Auf diese Weise grub sich etwas in das Unbewusste ein, wurde ein Fundament gelegt, auf dem ein Film wie Jud Süß, der die Bazillen durch Juden ersetzt, weiter bauen konnte. So stelle ich es mir zumindest vor. Wie es genau war, wird sich nicht mehr in Erfahrung bringen lassen. Man kann nur spekulieren und versuchen, die Spekulationen durch historische Quellen abzustützen.

Der Robert Koch der Politik

Manchmal beschleicht einen der Verdacht, dass die vom Regime besonders geförderten, mit hohen Produktionsbudgets und Werbeetats ausgestatteten und dann mit Preisen ausgezeichneten Propagandafilme des Dritten Reichs direkt von einzelnen Kapiteln in Mein Kampf inspiriert sind. Im 10. Kapitel des ersten Bandes lässt sich Hitler über "Die Ursachen des Zusammenbruches" aus (gemeint ist das deutsche Kaiserreich unter Wilhelm II.). Er diagnostiziert da eine "schleichende Erkrankung" und eine "Vergiftung" des deutschen "Volkskörpers" und nennt Ursachen wie den schädlichen Einfluss der "Judenpresse" (auch bekannt als "Lügenpresse") sowie "schlechter, unwissender oder gar übelwollender Erzieher" (man denke an den von Paul Dahlke gespielten Lehrer). Grundübel seien die "Feigheit vor der Verantwortung" und eine "immer mehr um sich greifende Halbheit in allem und jedem" (Vorwürfe, die man Jannings als Robert Koch nicht machen kann). Da es seit dem Erlöschen des Urheberrechts eine kommentierte Ausgabe von Hitlers "Abrechnung" gibt, kann man sich jetzt endlich so informieren, wie es auch in den Jahrzehnten davor schon wünschenswert gewesen wäre.

Mein Kampf

Der 2016 erschienenen Edition des Instituts für Zeitgeschichte verdanke ich zum Beispiel die Information, dass seit der Jahrhundertwende eine medizinische Debatte darüber geführt wurde, ob es eine spezifische Anfälligkeit bzw. Resistenz von Juden für bestimmte Infektionskrankheiten geben könnte. Die Tuberkulose und die Syphilis galten als Krankheiten, denen gegenüber die Juden eine besonders hohe Resistenz entwickelt hätten. Daraus wurde ein Klassiker im Repertoire des Antisemitismus und ein Baustein im Phantasiegebilde von der "jüdischen Weltverschwörung": Die Juden infizierten demnach - medizinisch oder metaphorisch - andere Völker mit Krankheiten, die ihnen selbst wenig anhaben konnten, die "Wirtskörper" aber nach und nach zerstörten.

Ein Kompendium des antisemitischen Schwachsinns ist Theodor Fritschs Antisemiten-Katechismus von 1887, der 1907 in einer erweiterten Fassung herauskam und von da an den Titel Handbuch der Judenfrage trug. Fritsch warnt seine Leser vor dem "Erscheinen Juda’s im Lebensgebiet anderer Völker", das entweder mit dem Zerfall des "Wirtskörpers" oder mit der "Austreibung" des "Parasiten […] im Augenblick höchster Not" ende. Hitler schrieb von Fritschs Handbuch einiges ab und spickte seine Reden mit Ausfällen gegen die Juden als "Krankheitserreger". Der Bekämpfer der Infektionsherde im deutschen Volkskörper war fixiert auf die Tuberkulose und die Syphilis, was sich biographisch erklären lässt. Als Weltkriegsteilnehmer war Hitler ein Adressat der groß angelegten Aufklärungskampagnen zur Eindämmung der Syphilis und anderer Geschlechtskrankheiten in der Truppe, die "Kraft und Gesundheit des Heeres" und den "endgültigen Sieg" gefährdeten, wie es in einem Mahnruf hieß, der millionenfach unter den deutschen Soldaten verteilt wurde. Vor seiner Übersiedelung nach München, im Männerwohnheim in Wien, war Hitler mit der damals auch als "Wiener Krankheit" bekannten Tuberkulose konfrontiert. Rund 20 Prozent aller Todesfälle in der österreichischen Hauptstadt waren auf die Schwindsucht zurückzuführen, als er sich dort aufhielt (im deutschen Kaiserreich waren es etwa 10 Prozent).

In Mein Kampf verquirlt Hitler die Medizin mit völkischen Ideologemen, Politik, Antisemitismus, Rassismus und abstrusen Geschichtstheorien, um daraus ein Rezept für die Gesundung des deutschen Volkskörpers zu destillieren, das sich dann als Anleitung zum Genozid erwies. Er warnt vor der "Massenvergiftung der Nation" durch Syphilis und Tuberkulose und mischt die Pest mit dazu, um zu erläutern, warum sich der Zusammenbruch des durch "Halbheit und Schwäche" gekennzeichneten Kaiserreichs als Segen erweisen könnte: "Für das deutsche Volk darf man es fast als ein großes Glück betrachten, daß die Zeit seiner schleichenden Erkrankung plötzlich in einer so furchtbaren Katastrophe abgekürzt wurde, denn im anderen Falle wäre die Nation wohl langsamer, aber umso sicherer zugrunde gegangen. Die Krankheit wäre zu einer chronischen geworden, während sie in der akuten Form des Zusammenbruches mindestens den Augen einer größeren Menge klar und deutlich erkennbar wurde. Der Mensch wurde nicht durch Zufall der Pest leichter Herr als der Tuberkulose. Die eine kommt in schrecklichen, die Menschheit aufrüttelnden Todeswellen, die andere im langsamen Schleichen; die eine führt zur entsetzlichen Furcht, die andere zur allmählichen Gleichgültigkeit. Die Folge aber ist, daß der Mensch der einen mit der ganzen Rücksichtslosigkeit seiner Energie entgegentrat, während er die Schwindsucht mit schwächlichen Mitteln einzudämmen versucht. So wurde er der Pest Herr, während die Tuberkulose ihn selber beherrscht." (Wer will, darf gern an einen Zufall glauben - und unbeschwert die DVD-Box mit den "besten deutschen Ärzte-Filmklassikern" genießen -, wenn erst Emil Jannings als Robert Koch die Tuberkulose und dann Werner Krauß als Paracelsus die Pest bekämpfte.)

Genauso verhalte es sich "auch mit Erkrankungen von Volkskörpern". Mit Gewöhnung und Gleichgültigkeit müsse Schluss sein. Voraussetzung "einer nun mit äußerster Entschlossenheit einsetzenden Heilung" sei "das Erkennen der inneren Gründe, die zu der in Frage stehenden Erkrankung die Veranlassung gaben. Das Wichtigste bleibt auch hier die Unterscheidung der Erreger von den durch sie hervorgerufenen Zuständen." Es wird nicht weiter verwundern, dass der Autor von Mein Kampf auf seiner Suche nach den Erregern bei den Juden landet (alles in Kapitel 10), die sich als "Krankheitsstoffe" schon so lange im deutschen Volkskörper befänden, dass man die "schädlichen Gifte als Bestandteil des eigenen Volkstums ansieht". Umso notwendiger sei "ein Suchen nach dem fremden Erreger". Es kann auch nicht überraschen, dass Hitler sich gern mit dem Entdecker des Tuberkelbazillus verglich. Als Beispiel sei eine Äußerung zitiert, die ich der kritischen Edition von Mein Kampf entnehme und die er 1941 Walter Hewel gegenüber machte, dem "Ständigen Beauftragten des Reichsaußenministers beim Führer": "Ich fühle mich wie Robert Koch in der Politik. Der fand den Bazillus und wies damit der ärztlichen Wissenschaft neue Wege. Ich entdeckte den Juden als Bazillus und das Ferment aller gesellschaftlichen Dekomposition." Der Tuberkulose-Vergleich fiel ihm auch ein, als es darum ging, das Reich nach Osten auszudehnen und die dort lebenden Juden in die Vernichtungslager zu deportieren.

Hitler musste nicht erst Robert Koch, der Bekämpfer des Todes sehen, um auf solche Gedanken zu kommen. Umgekehrt fällt es schwer zu glauben, dass keiner der Filmemacher Mein Kampf gelesen hatte oder wusste, dass die Diffamierung der Juden als Krankheitserreger zum ständigen Repertoire des Redners Adolf Hitler und anderer Nazigrößen gehörte. Eine Konstante in den Geniefilmen des Dritten Reichs ist es, dass dem Helden großartige Erfolge gelingen, er sein übergeordnetes Ziel aber letztlich nicht erreicht. Wäre es anders bräuchte man keinen Hitler mehr, der die Sache endlich richtet. Die Geschichte von Robert Koch war für eine propagandistische Bearbeitung ideal, weil dieser zwar den Tuberkulosebazillus entdeckte, aber kein Heilmittel für die Krankheit. So konnte man sich Hitler als Vollstrecker dazudenken, als Bekämpfer von Erregern aller Art. Darauf legte es der Geniefilm an.

Der Fachmann nimmt zum Enttarnen Bismarckbraun

Als einige der Ausgangspunkte für die Krankheit, die ungehindert in den Blutkreislauf des Volkskörpers eingedrungen sei, identifiziert Hitler die Erzieher, die liberale Presse und den Parlamentarismus (bei den christlichen Kirchen und den von ihnen vertretenen Werten hält er sich merklich zurück, weil ihm ein Frontalangriff wohl zu riskant erschien). Die "Lügenpresse" hat in seinem Befund eine "wahrhaft ungeheuerliche" Bedeutung, weil sie als "Großmacht im Staate" Einfluss auf dessen Organe nimmt und bei den Lesern "die Fortsetzung der Erziehung im späteren Alter" bewirkt, weshalb auch sie zu den "wahrhaft schädlichen Erscheinungen unseres öffentlichen Lebens" gehört und bekämpft werden muss.

Das Parlament werden wir noch in Aktion erleben, wenn der Robert Koch des Films nach Berlin geht. Einstweilen aber arbeitet der Held unermüdlich und mit schmerzenden Augen am Sichtbarmachen des Erregers, während seine Feinde neue Intrigen spinnen.

Der Sektenchef ist mit dem naiven, leicht manipulierbaren Göhrke zum Lehrer gelaufen, bei dem ein Portrait von Wilhelm I. auf der Kommode steht und eine Miniaturbüste auf einem Beistelltischchen, dies aber als Teil von allerlei Nippes in einem Zimmer, das wirkt wie eine Rumpelkammer. Ich sehe da den detailverliebten Hans Steinhoff am Werk, der uns durch die Wohnungseinrichtung etwas über den unaufgeräumten, ballastbeladenen Charakter des Lehrers erzählt. Als Staatsbediensteter hat sich der Mann ein paar Kaiser-Devotionalien ins Haus geholt, aber einen Ehrenplatz wie im Büro das Landrats erhält das Bild nicht. Im Schnickschnack, der da sonst noch herumsteht, verschwindet das Portrait fast im Hintergrund.

Der Lehrer empört sich schon darüber, was Koch mit Göhrkes Kind angestellt hat, bevor er überhaupt weiß, was der Arzt getan hat. Der Lenin der Gesundbeter drängt den Waldhüter zum Reden. Weil Göhrke sich schlecht artikulieren kann und nicht der Hellste ist zeigt er mit den Fingern ratlos an, dass Koch dem Marthelchen in die Brust geschnitten hat. "Aha", erregt sich der Lehrer. "Das Herz aus dem Leibe geschnitten. Schändlich, schändlich. Aber gut, sehr gut. An toten Menschen herumzudoktern. Damit bringe ich ihn vors Gericht." Das Marthelchen ist für den Kerl nur ein Mittel zum Zweck, das Leid der Eltern ist ihm egal. Wie mitfühlend war da der Dr. Koch, der den Göhrkes nur nicht erklären konnte, warum er ihre kleine Tochter sezieren musste, weil das abergläubische und ziemlich dumme Leute sind. Wenn sie ihm, wie im Führermodell unbedingt erforderlich, geglaubt hätten, dass er nur tut, was richtig und notwendig ist, wäre ihnen viel Leid erspart geblieben.

"Vergessen Sie die Tiere nicht", wirft der Gesundbeter noch ein. "Auch die Tiere sind Geschöpfe Gottes." Eben. Koch musste Kühe und Schafe untersuchen, um den Milzbrand zu bekämpfen, und die Versuchstiere in seinem Labor sind ein Symbol der modernen Wissenschaft, aber von so etwas haben die Typen in diesem altmodischen Zimmer keine Ahnung. Und wenn bei dieser Gelegenheit wieder einmal Menschen und Tiere direkt hintereinander genannt werden, unabhängig von der Intention der Sprecher, kann das nicht schaden. Dr. Unger, der Propagandist der Euthanasie und der Rassereinheit, hörte es sicher gern. "Keine Bange, keine Bange", sagt der Lehrer. "Ich vergesse nichts. Mit dem, was ich hier aufgeschrieben habe, lege ich diesem Quacksalber das Handwerk."

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Steinhoff schneidet von da auf Robert Koch, der seinen Eureka-Moment erlebt. "Also notiere", sagt er nach durchwachter Nacht zu Fritz, "185. Versuch mit Methylenblau, zum ersten Mal gemischt mit braunem Vesuvin …" Dann sieht er im Mikroskop als erster Mensch den Tuberkuloseerreger, und Fritz sieht ihn auch, nachdem ihm der Doktor erklärt hat, worauf er achten muss (gut getarnt, dieser Bazillus). Medizinhistoriker bemängeln, dass Koch den Erreger nicht in Wollstein, sondern 1882 in Berlin entdeckte. Ich würde das der künstlerischen Freiheit eines Spielfilms zurechnen. Dramaturgisch ist es so eindeutig besser. Mich stört viel mehr, dass so getan wird, als sei es Robert Koch gewesen, der die von Paul Ehrlich in die Bakteriologie eingeführte Färbung mit Methylenblau erfunden hat. Koch gelang es, den Erreger sichtbar zu machen, indem er das umgebende Gewebe bräunlich färbte.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Der wissenschaftliche Fortschritt ist das Resultat einer kollektiven Anstrengung. Auch große Forscherpersönlichkeiten bauen auf dem auf, was andere zuvor geleistet haben. Im Film muss Paul Ehrlich verschwinden, weil eine Führergestalt Entdeckungen im Alleingang macht (Fritz ist ein besserer Sekretär mit Doktortitel) und weil der Jude Ehrlich im Wahnsystem der Nazis einer von den Erregern war. Das ist keine unter dramaturgischen Gesichtspunkten getroffene Entscheidung, sondern Ideologie. Der Farbstoff Vesuvin ist auch als "Bismarckbraun" bekannt, benannt nach dem Reichsgründer Otto von Bismarck. Im Dialog kommt "Bismarckbraun" so wenig vor wie "Jude". Ich würde aber darauf wetten, dass sich die Indoktrinationsexperten von der Hitlerjugend die Gelegenheit nicht entgehen ließen, in den Jugendfilmstunden darauf hinzuweisen. So etwas sorgt für Aha-Effekte, die im Gedächtnis bleiben, und es stellt die Verbindung zwischen der Medizin und der Politik her, der später eine Szene im Reichstag gewidmet sein wird.

Volkserziehung

Der Lehrer will Koch also vor Gericht bringen. Wie macht man das? Wer Mein Kampf gelesen hat ahnt schon, dass er nicht den üblichen Weg wählen wird, die Anzeige bei den Behörden. Die Lehrer, schreibt Hitler, bringen den Kindern die falschen Sachen bei, und bei den Erwachsenen wird diese Art der Erziehung von der Lügenpresse fortgesetzt. Da ist es nur logisch, wenn der Lehrer im "Wollsteiner Anzeiger" eine infame Meldung unterbringt. Weil er ein Feigling ist, tut er es anonym. Am Stammtisch liest jemand, dessen Kopf hinter der Zeitung versteckt ist, mit näselnder Stimme vor: "Unglaubliche Zustände im Medizinalwesen unserer Stadt. Ein Vorfall, der sich in den letzten Tagen zugetragen hat, zwingt uns, die gesamte Öffentlichkeit zu alarmieren. Ein Herr Dr. K, der von Amts wegen für das Medizinalwesen unserer Stadt verantwortlich ist, hat sich nicht gescheut, an einem Kind ohne Wissen der Eltern eine Leichenöffnung vorzunehmen. Aber nicht nur an Menschen probiert dieser Scharlatan seine merkwürdigen Methoden aus, auch unschuldige Tiere sind vor ihm nicht sicher. Es wird hohe Zeit, dass die Behörde diesem gemeingefährlichen Treiben ein Ende macht und unsere Stadt von diesem Schädling befreit. Einer, der es aufrichtig meint." Selber Schädling, dürfen wir uns da denken.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Beim Verlesen dieser Anschuldigungen kann einem wehmütig werden, weil es einer der Momente in Robert Koch ist, die von Fritz Arno Wagners Zusammenarbeit mit Fritz Lang profitieren, bei M und bei Das Testament des Dr. Mabuse. Wagners Kamera beginnt beim "Wollsteiner Anzeiger", fährt dann einen Kreis aus, zeigt die am Stammtisch sitzenden Honoratioren und kehrt am Ende des Virtuosenstücks zum ins Bild gehaltenen "Anzeiger" zurück, den der Vorlesende bei "Einer, der es aufrichtig meint" senkt, um wie ein Reptil den Kopf hervorzustrecken. Es ist der Lehrer selbst, die Augen hinter trübe aussehenden Brillengläsern verborgen, der die feigen (weil anonymen) Anwürfe vorgetragen hat. Die meisten Regisseure des NS-Kinos würden empörte Zuhörer zeigen. Bei Steinhoff ist ein kurzes Kopfschütteln die stärkste Gefühlsaufwallung. Er hat die Darsteller angewiesen, neutral zu bleiben. So ist es dem Publikum überlassen, über die Wirkung des Artikels auf die Honoratioren nachzudenken und eigene Emotionen zu investieren, was, von der Regie geschickt gelenkt, zur Solidarisierung mit dem Angegriffenen führt. Das ist weit entfernt von der analytischen Brillanz Fritz Langs, aber auch nicht schlecht.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Die NS-Propaganda ließ selten eine Gelegenheit aus, den Missbrauch der - von den Nazis abgeschafften - Pressefreiheit anzuprangern. Der Staat, schreibt Hitler in Mein Kampf, müsse sich "mit rücksichtsloser Entschlossenheit" der Presse als eines Mittels zur "Volkserziehung" bemächtigen. Besonders den "Einfältigen oder Leichtgläubigen" werde durch die Zeitungen ein "Unterricht" zuteil, dessen "ganz ungeheure Bedeutung" in "der Gleichmäßigkeit und ewigen Wiederholung" liege. Damit ist auch ein Prinzip der Filmpropaganda benannt, die ihre Wirkung dadurch entfaltet, dass ihr Einfluss "nicht vorübergehend, sondern fortgesetzt zur Anwendung kommt", wie Hitler über die Presse schreibt. Auch im Kino war die Wiederholung Trumpf.

In Veit Harlans Verwehte Spuren spielte Paul Dahlke einen Skandalreporter, der über das Verschwinden einer an der Pest gestorbenen Frau berichten will (die Darstellerin, Charlotte Schulz, taucht im Bekämpfer des Todes als Putzfrau wieder auf), obwohl die Polizei vor einer Massenpanik warnt. Das Gemeinwohl verlangt es, sein Schmierblatt dichtzumachen. Im Jahr darauf sah man Dahlke als den Lehrer, der unter dem Deckmantel der Pressefreiheit gegen Robert Koch hetzt. Der "Wollsteiner Anzeiger" wird nicht verboten, aber so wie damals im Kaiserreich - soll sich der Zuschauer denken - konnte es nicht weitergehen. 1939, als die Stammtischszene in deutschen Kinos zu sehen war, hatte das Regime bereits für Abhilfe gesorgt. Seit Oktober 1933 waren die Schriftleiter (Redakteure) gesetzlich verpflichtet, nichts zu veröffentlichen, was "die Kraft des Deutschen Reiches nach außen oder im Innern, den Gemeinschaftswillen des deutschen Volkes, die deutsche Wehrhaftigkeit, Kultur oder Wirtschaft zu schwächen" vermöge oder "gegen die Ehre und Würde eines Deutschen" verstoße. Damit ließ sich alles verbieten, was dem Regime nicht in den Kram passte.

Unter Spießern

Die Form des Artikels muss man nicht mögen. Inhaltlich sind die Vorwürfe nicht so falsch. Koch hat ein kleines Mädchen ohne Wissen und Einverständnis der Eltern seziert, und er macht Tierversuche, was man als notwendigen Teil der modernen Wissenschaft begreifen kann oder eben nicht. Es müsste möglich sein, darüber unterschiedliche Meinungen zu haben. In diesem Film ist es das nicht. Also müssen für die einzig richtige Meinung ein paar propere junge Leute mobilisiert werden, mit denen man sich lieber identifiziert als mit einem dummen Lehrer und Denunzianten. Fritz von Hartwig und Schwester Else sind ganz betroffen ob der Gemeinheit, deren Opfer ihr Held geworden ist. "So ein Gesindel. So ein elendes Pack", sagt Fritz. "Wenn ich bloß diesen Lumpenhund herausbekäme. Feiges Subjekt." Und der Verleumdete, was sagt er? "Er spricht doch nie von dem, was in ihm vorgeht", weiß Schwester Else. Auf so viel Empathie darf Koch bei seiner Frau nicht hoffen. Die Gattin denkt nur an sich und das eigene Wohlbefinden, nicht an die große Aufgabe. "Überall tuscheln sie hinter einem her", klagt sie. "Heut früh auf dem Markt hat mich die Frau Kreisrichter schon nicht mehr gegrüßt."

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

"Jaja, die Frau Kreisrichter", erwidert Koch. "Frau Konsistorialrat. Der Herr Lehrer. Die ganze verlogene, so genannte gute Gesellschaft." "Aber die Leute können doch nichts dafür", ergreift seine Frau Partei für die Pharisäer. "Die glauben doch, die Zeitung hat recht." "Ja, der Spießer hat immer recht", kommentiert Dr. Koch. "Er irrt sich nur in den Voraussetzungen. Die Leute wissen freilich nicht, warum ich Leichen seziere und mit Versuchstieren arbeite. Aber ich, ich weiß ganz genau, was ich will und was ich muss." In dem Dialog steckt ein Erfolgsrezept der Nazis. Sie hatten einen Führer mit einer Mission anzubieten, der sich durch nichts und niemanden vom rechten Weg abbringen ließ. Wer ihm nachlief durfte sich als Teil der Avantgarde fühlen, obwohl die NSDAP den Deutschen eine auf Ängsten, Vorurteilen und Ausgrenzung gebaute Ideologie verkaufte und an eine verschärfte Form jenes Spießertums appellierte, das sie angeblich bekämpfen wollte.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Die kritische Auseinandersetzung, auch mit dem eigenen Tun, ist in diesem Modell unerwünscht. An den Führer muss man glauben, um zu den Guten zu gehören. Wenn seine Arbeit nicht verstanden wird könnte Koch sich bemühen, sie zu erklären. Dafür fehlen ihm Zeit und Neigung, und der Film heißt das gut. Sogar bei der Auseinandersetzung mit seiner Frau (die sich die Einstellung mal mit ihrem Mann und mal mit den Versuchstieren teilt) setzt Koch seine Forschungsarbeiten unermüdlich fort. "Ja, du. Du du. Immer nur du. Was du willst, was du musst. An deine Familie denkst du überhaupt nicht mehr", sagt die Gattin unter Tränen. "Nein. Ich halte das nicht länger aus. Ich nehme mein Kind und geh zu meinen Eltern." Kochs Antwort: "Bitte. Tu, was du für richtig hältst." Emmy Koch ist in der Szene wieder die spießige, ihr privates Glück über das Wohl der Menschheit stellende Quengeltante, als die wir sie kennengelernt haben. Versuchen wir trotzdem, ihre Perspektive einzunehmen. Wir sind dann in der Rolle einer Frau, der außer Jammern wenig bleibt, weil eine Diskussion im Hause Koch nicht stattfindet. Dem Führer und seinem unbeugsamen Willen muss man sich unterwerfen. Wer nicht an ihn glaubt, kann gehen. Das Private wird da eminent politisch.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Der Ehekrach ist szenisch eingerahmt vom Liebespaar, damit der Zuschauer einen Kontrast zu Emmy hat. Fritz und Else sind jung, gläubig und bereit für die von Koch angestrebte Zukunft ohne Infektionskrankheit (gut). Emmy ist der alten bürgerlichen Ordnung mit Bedenkenträgerei, sicherem Einkommen und regelmäßigen Essenszeiten verhaftet und glaubt nicht an ihren Mann, weil sie nicht glauben will (schlecht). Else erschrickt, denn draußen klingelt es. Vor der Tür steht Landrat von Hartwig. Emmy spricht aus, was alle denken: "Um Gottes Willen. Sie haben dich angezeigt!" Auf so eine Idee kann man schon kommen, wenn man bedenkt, was dem Helden vorgeworfen wird. Der Landrat aber bringt weder Gendarm noch Haftbefehl, sondern einen Brief mit Kochs Ernennung zum Regierungsrat. Der Minister hat ihn in Anbetracht seiner Verdienste an das Gesundheitsamt in Berlin berufen.

Große Deutsche in Bildnissen ihrer Zeit

Das ist historisch korrekt. Robert Koch wurde 1880 an das vier Jahre zuvor gegründete Kaiserliche Gesundheitsamt geholt, das er zur medizinischen Forschungseinrichtung ausbauen sollte. In der Logik des Films ergibt sich die Berufung daraus, dass Wilhelm I. Kaiser und Bismarck Kanzler ist. Die von einer Lichtgestalt der NS-Propaganda geführte Regierung enthebt den Helden nicht seines Amtes als Kreisphysikus, sie befördert ihn und holt ihn in die Hauptstadt. "Das Leben, das fängt ja eigentlich erst an", sagt Koch begeistert. "Ja. Ihr sollt mal sehen, wie diese große Stadt uns alle mit nach oben reißt! Berlin, Berlin …" Und was werden wir als erstes zu sehen kriegen von der großen Stadt? Das Berliner Nachtleben? Eine schöne neue Wohnung für die Kochs? Ein tolles Labor mit ungeahnten Möglichkeiten für das Genie? Ganz falsch. Steinhoff und seine Cutterin Martha Dübber schneiden von Jannings direkt auf die Soldaten des Regiments Großdeutschland, die in historischen Uniformen stecken und zur Parade aufmarschieren. Marschiert wurde auf den Leinwänden des Dritten Reichs andauernd, weil das ein Beitrag zur Militarisierung der Gesellschaft war. In einem Film des detailverliebten Hans Steinhoff aber marschiert man nicht irgendwo.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Die Nazis hatten viel Sinn für Symbolik. In Der alte und der junge König wird vor der Garnisonkirche exerziert, weil das Regime dort den "Tag von Potsdam" gefeiert hatte, damit sich der neue Reichskanzler Adolf Hitler an historischer Stätte als Nachfolger der Preußenkönige präsentieren konnte. Mit solchen Inszenierungen versuchte man, dem eigenen politischen Projekt eine historische Legitimation zu verschaffen. In Robert Koch sehen wir den Aufzug der Wache vor dem Kronprinzenpalais, worüber man sich nur wundert, wenn man ernsthaft glaubt, dass das ein unpolitischer Film über eine wissenschaftliche Entdeckung ist. Die Fassade des Gebäudes am Anfang der Straße Unter den Linden wurde auf dem Freigelände der Tobis in Johannisthal nachgebaut, worüber die Presse ausführlich berichtete.

Das Kronprinzenpalais war fast zwei Jahrhunderte lang die Stadtresidenz des preußischen Herrscherhauses. Im November 1918 fanden vor dem Gebäude Massenkundgebungen der revolutionären Bewegung statt. Nach der Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und dem Thronverzicht des Kronprinzen wurde das Palais der Nationalgalerie angegliedert. Der Direktor der Nationalgalerie, Ludwig Justi, machte aus dem Bau das weltweit erste Museum für zeitgenössische Kunst, das dem Museum of Modern Art in New York als Vorbild diente. Justi konzentrierte sich in seiner Ankaufs- und Ausstellungstätigkeit auf die Kulturnation Deutschland, legte aber den Schwerpunkt auf Werke des Expressionismus, was ihm Anfeindungen durch völkisch-nationale Kreise einbrachte. Für den Völkischen Beobachter hatte er dem jüdischen Kulturbolschewismus Tür und Tor geöffnet.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Justi zunächst vom Kunsthistoriker Alois Schardt abgelöst, einem Funktionär des nationalsozialistischen, von Alfred Rosenberg gegründeten Kampfbundes für deutsche Kultur, zu dem auch die Deutsche Kampffilm GmbH gehörte (die Deka produzierte Der alte und der junge König). Das Kronprinzenpalais, eines der am besten besuchten Museen von Berlin, wurde nun zu einem der Schauplätze, an denen der von den gleichgeschalteten Medien publizistisch begleitete Streit darüber ausgetragen wurde, was deutsche Kunst zu sein habe und was nicht, mit schlimmen Folgen für die in den Ausstellungsräumen gezeigte Sammlung. Hitler kündigte eine "Säuberung" an. Kunstwerke wurden um- und abgehängt und nach und nach durch solche ersetzt, die mehr dem von den Nazis diktierten Zeitgeschmack entsprachen. Im Februar 1935 beschlagnahmte die Gestapo im Auktionshaus Max Perl 63 Werke moderner Kunst wegen "kulturbolschewistischer Tendenzen" und brachte sie ins Kronprinzenpalais, wo die meisten davon im Heizungskeller verbrannt wurden.

Im August und September 1936, als Teil des Kulturprogramms zur Olympiade, lockte eine Sonderausstellung "Große Deutsche in Bildnissen ihrer Zeit" Besuchermassen in das Gebäude. Die Leute kamen auch deshalb in Scharen, weil in der Presse, die ansonsten gegen Expressionisten, Impressionisten und abstrakte Kunst in der Sammlung polemisierte, kräftig die Werbetrommel für die "Großen Deutschen" gerührt wurde. Die Expressionisten im Obergeschoss waren damals noch frei zugänglich. Nach der Olympiade, im Oktober 1936, wurde dieser Teil der Ausstellung geschlossen. 1937 wurden rund 500 Werke aus den Beständen der Nationalgalerie für die Ausstellung "Entartete Kunst" beschlagnahmt. Der Großteil kam aus dem Kronprinzenpalais. Gemälde und Zeichnungen, die sich nicht ins Ausland verkaufen ließen und die sich kein Nazibonze unter den Nagel gerissen hatte, wurden hinterher verbrannt.

Dachte ein Zuschauer des Jahres 1939 an solche Dinge, wenn er in Robert Koch, der Bekämpfer des Todes den Aufmarsch der Wache sah? Wahrscheinlich eher nicht. Andererseits ist zu vermuten, dass das Kronprinzenpalais durch die permanenten Angriffe in der Presse auch für manche Zuschauer ein symbolisch aufgeladener Ort war, die sich sonst nicht für die moderne Kunst interessierten. Hier wurde darüber gestritten, was "deutsch" war und was nicht (Picasso musste weg und van Gogh durfte bis 1937 bleiben, weil man ihn vorläufig als "germanisch" eingestuft hatte, ehe er doch der "Verfallskunst" zugerechnet wurde). Der Tobis war das Palais wichtig genug, um Geld für einen Nachbau der Fassade auszugeben. Eine Militärparade hätte man billiger haben können. Wer das Gebäude nicht erkannte, konnte der Berichterstattung zum Film entnehmen, worum es sich da handelte. Der Aufzug der Wache war die letzte große Einstellung, die gedreht wurde (in der zweiten Junihälfte 1939). Am 26. September, als der Bekämpfer des Todes im Berliner Ufa-Palast am Zoo seine feierliche Deutschland-Premiere erlebte, leitetet die Staatskapelle den Abend mit Beethovens Lenoren-Ouvertüre ein (zur Befreiungsoper Fidelio). Auf der Bühne stand eine Büste von Robert Koch. Wenn die Veranstalter ähnlich viel Sinn für Kontinuität hatten wie die Filmemacher war es die von Johannes Pfuhl geschaffene Gipsbüste, die man in der Ausstellung mit den "Großen Deutschen" hatte sehen können.

Das Kronprinzenpalais als Schauplatz ist eines der Elemente, die dem Film seine dichte, ideologisch angereicherte Textur geben. In ihm verbindet sich der Kampf um die "Reinheit" der deutschen Kultur mit einer Vergangenheit, als die Welt noch in Ordnung war, weil der Kaiser in dem Gebäude wohnte, kein Revolutionär zum Sturz des Monarchen aufrief und keine "entartete" Kunst an den Wänden hing. Darum schaut Wilhelm I. zum Fenster heraus, wenn die Statisten vom Regiment "Großdeutschland" vorbeimarschieren. In Carl Peters (1941) recycelte Herbert Selpin die von Steinhoff gedrehten Aufnahmen und führte das Publikum hinter die Fassade. In den kaiserlichen Gemächern trifft Hans Albers Wilhelm I. und Bismarck (wie in Robert Koch von Rolf Prasch und Friedrich Otto Fischer gespielt), die ihm den Auftrag geben, in Afrika deutsche Kolonien zu gründen. Einmal kämpft der Held gegen Bazillen im deutschen Volkskörper, dann gegen die Machenschaften von Engländern, Juden, linken Reichstagsabgeordneten und der Lügenpresse, die den Deutschen ausländische Besitzungen verwehren wollen. Feinde gibt es immer und überall.

Propaganda als Nährboden für Verbrechen

Die Marschmusik baut eine akustische Brücke zwischen Militär und Wissenschaft, denn sie ist auch in dem Labor zu hören, in dem Regierungsrat Koch jetzt forscht. "Herr Doktor, die Nährböden sind erschöpft", sagt sein Assistent Dr. Loeffler. "Die Kulturen müssen neu angesetzt werden." "Ich habe Michalke bereits beauftragt, frisches Rinderblut zu besorgen", antwortet Dr. Koch und bittet Fritz um den Zerstäuber. Dr. Koch besprüht Meerschweinchen mit von ihm gezüchteten Bazillen, um den Beweis zu erbringen, dass die Tuberkulose durch Einatmen übertragen wird. Da gruselt sich sogar der Jannings-Apologet Frank Noack, wobei ihm ein interessanter Fehler unterläuft (gemeint ist nicht der schwer arbeitende Käfig): "Unheimlich im Hinblick auf die späteren NS-Verbrechen muten Kochs Tierversuche an. Gas [sic] strömt in einen gläsernen Tierkäfig. Und weil er die ganze Nacht hindurch arbeitet, statt sich wie ein preußischer Beamter an feste Arbeitszeiten zu halten, verursacht er hohe Gaskosten."

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Vergast wird hier nicht. Fehler wie diesen findet man in Texten zu Robert Koch häufig. Sie zeugen von der suggestiven Kraft des Films. Es soll hier keineswegs behauptet werden, dass Koch Meerschweinchen bestäubt, um das Publikum im Rahmen eines von Goebbels ausgetüftelten Masterplans auf die Gaskammern in den Tötungsanstalten des "Euthanasieprogramms" vorzubereiten, und auf Vernichtungslager im Osten, die erst noch gebaut werden mussten. Wahrscheinlich war es eher umgekehrt. Szenen wie diese, der gebetsmühlenartig wiederholte Vergleich von Menschen mit Tieren und Bazillen, die permanente Kriegs- und Vernichtungsrhetorik, vorgetragen in politischen Reden, in der Zeitung, im Rundfunk und in Propagandafilmen wie Robert Koch, machten erst denkbar, was dann in die Tat umgesetzt wurde, begünstigt durch den Gewöhnungseffekt und das allmähliche Absenken von Standards und Wertmaßstäben.

Wer denkt, dass Michalke das Rinderblut gleich bringen wird, hat das Wesen des NS-Propagandafilms nicht verstanden. Der Held kämpft da unablässig gegen Bösewichte, weil er mit einem korrupten System konfrontiert ist, das es zu zerschlagen gilt. Dahinter steckt das Ideal von der rassereinen oder sonstwie homogenen Gesellschaft, die andauernd aggressiv verteidigt, aus der das zum Fremden erklärte entfernt werden muss. Eine Ideologie, die sich von der Negativität ernährt, kommt ohne Feindbilder nicht aus. Diese Filme tun es auch nicht. Koch kämpft gegen Bürokraten und Krankheitserreger, und Carl Peters kämpft mit den Schurken im Aus- und Inland um die Rohstoffe, die Deutschlands Wirtschaft braucht, um zu florieren. Wenn man anfängt, sich zu notieren, wer da alles als Gegenspieler der Helden auftritt, wird die Liste lang und immer länger. Darin spiegelt sich die Realität des Dritten Reichs, dessen Führung nie darum verlegen war, neue Feindesgruppen zu benennen.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Der Rechnungsrat, sagt Amtsdiener Michalke, hat das Rinderblut noch nicht bewilligt, weil Koch die Antragsfrist nicht eingehalten hat. Heute kein Rinderblut, gestern keine Gelatine, vorgestern keine Anilinfarben, ärgert sich Dr. Koch und will jetzt wenigstens die 18 Mark für Ratten und Meerschweinchen erstattet haben, die er privat vorschießen musste, um weiter experimentieren zu können. "Hier regiert eben der Heilige Bürokratius", sagt Dr. Loeffler. Steinhoff zeigt uns dazu eine Szene im Büro des Rechnungsrates. Der Amtsdiener beklagt sich darüber, dass Koch täglich neue Wünsche hat, die Hausordnung auf den Kopf stellt, Formulare nicht ordnungsgemäß ausfüllt, durch Nachtarbeit die Gasrechnung in die Höhe treibt und sich um Vorschriften des Rechnungsrates schlicht nicht kümmert. Diesem Herrn bleibt vor Empörung fast die Luft weg.

Passive Resistenz

Beim Anblick des Rechnungsrates kann man auch mal traurig werden. Ihn spielt Rudolf Klein-Rogge, den man in Fritz Langs Mabuse-Filmen, wo er einer faschistoiden Geheimorganisation vorsteht und die "Herrschaft des Verbrechens" anstrebt, als eine Art Proto-Hitler erlebt hatte. Hier ist er jetzt der Repräsentant eines bräsigen, das Einhalten von Vorschriften zum Selbstzweck erhebenden und den Fortschritt behindernden Beamtenapparats. Bernhard Goetzke, bei Lang der müde Tod und dann, als Staatsanwalt von Wenck, der Gegenspieler Dr. Mabuses, ist in Wollstein als mittelloser, unheilbar an der Tuberkulose erkrankter Patient zu sehen. Koch verspricht, etwas Geld zu besorgen, damit er noch einmal wegfahren kann, bevor er stirbt. Ist das Nächstenliebe oder eine versteckte Gemeinheit?

Obwohl ich es inzwischen eigentlich besser wissen müsste bin ich immer wieder erstaunt darüber, wie viel - mal mehr und mal weniger verdeckte - Aggression in diesen Nazifilmen steckt. Erst sehen wir, wie Koch die in einem Glaskasten gefangenen Meerschweinchen mit einer tödlichen Krankheit infiziert. Am Ende der Szene nennt Koch Michalke eine "Qualle". Von da schneidet Steinhoff auf den Rechnungsrat. Aus dem Off hören wir die Stimme der menschlichen Qualle: "Meerschweinchen, Ratten, Mäuse, Kaninchen, Affen …" Heißt das, man sollte auch den Amtsdiener und den Rechnungsrat bestäuben, um sie loszuwerden? So wie man die Gesundbeter in Wollstein aufhängen sollte? Wer andere Leute mit Tiernamen belegt, oder sie ausbrennen will wie ein Krebsgeschwür, ist deshalb noch kein Nazi. Das hier sind aber Dialoge aus einem Film, der in Wort und Bild andauernd Menschen mit Tieren vergleicht (beim zweiten Dutzend habe ich aufgehört zu zählen) und die Geschichte mit einem Subtext ausstattet, der Grenzen zum Erodieren bringt. Das ist genau geplant und handwerklich sehr gut gemacht.

Robert Koch, der Bekämpfer des Todes

Koch beklagt sich beim Rechnungsrat darüber, dass dieser durch sinnlose Vorschriften seine Forschungen behindert und wirft ihm "passive Resistenz" vor. Man beachte die Miniaturbüste auf dem Schreibtisch des Beamten. Sie zeigt den Kaiser, den der Rechnungsrat durch sein Verhalten verrät und verbindet den Mann mit dem Lehrer in Wollstein, der eine solche Büste - aus Mangel an Respekt - inmitten von irgendwelchem Nippes stehen hatte (der Lehrer war einer von den Leuten, die Koch ausbrennen wollte wie ein Krebsgeschwür). Unter "Resistenz" versteht man üblicherweise die Widerstandsfähigkeit eines Organismus gegenüber schädlichen äußeren Einflüssen, durch Parasiten und Infektionen beispielsweise. Der Bakteriologe Koch hat sich im Wort vergriffen, denkt man sich. Nicht unbedingt. Wir sind hier wieder im Reich der Assoziation, in dem sich der Film mit beachtlichem Geschick bewegt. Erinnern wir uns an die Theorie von der Resistenz der Juden gegen die Syphilis und die Tuberkulose, mit deren Hilfe der Nährboden für den Antisemitismus aufbereitet wurde (siehe oben). Im Rahmen dieses Denkmusters ist die passive Resistenz die Schwester des aktiven Infizierens. Die Nazis versprachen, mit Leuten wie dem Rechnungsrat, auch einem der Parasiten und Krankheitsüberträger im Volkskörper, kurzen Prozess zu machen. Alles nachzulesen in Mein Kampf.

Im vierten und letzten Teil über den Bekämpfer des Todes wird endlich Rudolf Virchow auftreten, der große Gegenspieler von Robert Koch. Verbunden sind die beiden durch eine barbusige Frauenleiche. Als Laie in Sachen Jugendschutz weiß ich nicht, wie das auf die Sechsjährigen wirkt, für die der Film freigegeben ist. Ich kann nur sagen, was mir dazu einfällt und warum mich die nackten Brüste in der Pathologie an Richard Wagner erinnern. Dies und mehr in:

Emil und der Liebestod

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