Empörung über Macron aus den falschen Gründen
Die autoritäre Innenpolitik des französischen Präsidenten zerstört Leben. Deutsche Politiker und Medien stört seine Entspannungspolitik gegenüber China. Die folgt der gaullistischen Tradition.
Die Kritik an den Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach dessen China-Reise reißt in der deutschen Politik- und Medienlandschaft nicht ab. Sogar an seinem Geisteszustand wurde dabei schon gezweifelt, so fragt sich unter anderem der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, ob Macron "von Sinnen" sei, der Spiegel nennt ihn "schamlos".
Bei solch einem negativen Presseecho muss er einen wunden Punkt angesprochen haben. Tatsächlich sind es zwei Punkte, welche die Kritiker erzürnen. Zunächst wird Macron im Grunde vorgeworfen, in China nicht als Vertreter einer zum Wertewesten transformierten ehemaligen Kolonialmacht aufgetreten zu sein, die Chinas Regierung darüber belehrt, wie sie ihre Politik zu gestalten hat. Dann hat er auch noch auf dem Rückweg erklärt, dass die Taiwan-Frage nicht das primäre Problem der EU sei und zudem betont, dass EU und USA jeweils eigene Interessen haben.
Macron in der Tradition des Gaullismus
Nun hat Macron damit keine überraschend neuen Erkenntnisse von sich gegeben. Vielen dürfte noch in Erinnerung sein, dass er 2019 die Nato für "hirntot" erklärt hatte. Damals waren auch viele seiner jetzt schärfsten Kritiker durchaus angetan von diesen Äußerungen. Schließlich war damals Donald Trump in der USA an der Macht – und in der EU gab es viele, die nun die Führungsrolle im Wertewesten anstrebten und die USA gar in die Nähe der Feinde des Westens rücken wollen.
Gerade in Deutschland taten sich nicht wenige Politiker mit solchen Äußerungen hervor. Doch spätestens mit der Wahl von Joe Biden schlug wieder die Stunde der Atlantiker, die betonten, dass die EU nur als engster Verbündeter der USA überlebensfähig sei. Im Ukraine-Konflikt schienen sie dominant. Doch in Frankreich gab es dagegen schon immer Widerspruch quer durch die politischen Lager.
Der Gaullismus ist dort fast eine Staatsdoktrin, die besagt, dass Frankreich seine Interessen durchaus auch im Widerspruch zu den USA vertreten können muss. Der konservative Ex-General Charles de Gaulle hat sogar mitten im Kalten Krieg vorgemacht, dass dies funktioniert. Dafür brach er 1966 sogar zeitweilig mit der Nato.
Seitdem haben proatlantische Positionen in Frankreich kein so leichtes Spiel wie in Deutschland. Dabei wollten auch hier manche Atlantiker in der Wahl Macrons zunächst eine Abkehr vom Gaullismus sehen. Dabei hatten sie übersehen, dass Macon sich immer zur EU bekannte, aber sie eben als einen Machtblock neben den USA etablieren will. Dass er gerade jetzt die gaullistische Karte zieht, kann durchaus innenpolitische Gründe haben.
Er kann nach dieser Amtsperiode nicht mehr wieder gewählt werden, aber seine Bewegung ist mittlerweile auch eindeutig in einer Minderheitenposition. Mit der autoritären Durchsetzung der Rentenreform ist er endgültig innenpolitisch isoliert. Da kann er versuchen, sich mit außenpolitischen Äußerungen zu einem Thema zu profilieren, bei dem er weiß, dass er die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat.
Doch ob ihm und seiner Bewegung das noch nutzt, ist fraglich. Es ist überhaupt nicht klar, ob die von Macron zusammengezimmerte Partei En Marche nicht mit ihm verschwindet. Wie sich dann die politische Landschaft in Frankreich gestaltet, ist offen. Können die zersplitterten konservativen Parteien wieder stärker werden? Oder läuft alles auf eine Präsidentschaft der ultrarechten Marine Le Pen hinaus, wie es zumindest in den hiesigen Medien dargestellt wird?
Sie haben sich vor allem auf die Reformlinke unter Jean-Luc Mélenchon eingeschossen und geben sogar die Parole "Besser Le Pen als Melanchon" aus. Doch egal, wer sich innenpolitisch in Frankreich durchsetzt: An der gaullistischen Position dürfte sich kaum etwas ändern. Dass Macron damit nicht gebrochen hat, nimmt ihm ein Teil seiner ehemaligen linksliberalen Unterstützer in Frankreich übel, nachdem sie Macron als Teil des Wertewestens zu verkaufen suchten.
Interessant ist nur, dass sie sich über seine repressive Innenpolitik, die von ihm veranlassten Polizeieinsätze gegen die Gelbwesten-Bewegung, gegen Umweltschützerinnen, streikende Arbeiter und Gegner der Rentenreform weniger aufregen als über als seine gaullistischen Äußerungen.
Taiwan darf nicht zur Ukraine Asiens werden
Nur zeigt sich hier auch, dass Macron als Interessenvertreter des französischen Imperialismus auftritt, der vor allem in Konkurrenz zum deutschen Imperialismus steht. Die Gegensätze sind alt und bekannt. Während Deutschland vor allem in Ostereuropa seinen Hinterhof sieht, ist für Frankreich vor allem Westafrika sein Interessengebiet.
Verschiedene französische Präsidenten haben versucht, diese Strategie in die EU-Politik zu integrieren und wurden dabei oft gerade von Deutschland ausgebremst. Die Konflikte sind also alt und wurden bei Macrons China-Besuch deutlich wie selten zuvor. Schließlich reiste zeitgleich mit ihm auch noch Ursula von der Leyen als Vertreterin der Deutsch-EU dorthin.
Sofort regten sich Medien in Deutschland auf, dass sie von den chinesischen Gastgebern nicht gleichrangig wie Macron behandelt wurde. Kaum jemand fragt sich, warum eine demokratisch kaum legitimierte von den großen Parteien ausgekungelte EU-Kommissionspräsidentin überhaupt im Tandem mit Macron in China antanzte. Da müsste eben der Interessengegensatz zwischen Frankreich und Deutschland zur Sprache kommen.
Diese Gegensätze könnten die besonders aggressiven Fraktionen in der EU etwas dämpfen, wozu auch und vor allem viele Grüne und Linksliberale gehören, also genau die, die Macron lange als Kämpfer für den Wertewesten auf den Schild gehoben haben. Wenn jetzt die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in China zu Besuch ist, wird deren Propaganda auf Hochtouren laufen.
Macrons Äußerungen zu Taiwan könnten tatsächlich auch entspannend wirken, vor allem, weil sie den realistischen Kräften in Taiwan Auftrieb geben könnten, die verhindern wollen, dass die Insel zur Ukraine Asiens wird – einem Schlachtfeld, auf dem verschiedene globale Mächte ihre Kämpfe ausfechten, auf Kosten der Menschen dort.
So war erst kürzlich ein prominenter taiwanesischer Politiker in China zu Besuch – und der trat dort gar nicht konfrontativ auf. Es gibt also Hoffnung auf Entspannung, wenn die geopolitische Instrumentalisierung eines lokalen Konflikts verhindert wird.
Worum geht es im Taiwan-Konflikt? Um eine Insel, die völkerrechtlich unbestreitbar zu China gehört. Sie war das Rückzugsgebiet der Gegner der maoistischen Revolution. Doch gerade aus deren Partei kommt Ma Ying-jeou, der unlängst China besuchte und Entspannungssignale sendete. Eine realistische Option wäre, dass die Interessen der in Taiwan lebenden Teile der Bevölkerung, die im Grunde ihre Minderheitenrechte verteidigen, durch langfristige Abkommen mit China anerkannt werden.
Die geopolitischen Konflikte machen das aber schwierig. Insofern ist es entspannungsfördernd, wenn Macron da dem Wertewesten mal in die Parade führt.
Vom Krisis-Theoretiker zum Kämpfer gegen die chinesische Weltverschwörung
Dass dabei auch manche der schlaueren Linken von der Werterhetorik angesteckt sind, zeigt ein aktueller Text vonErnst Lohoff, der sich vom Theoretiker der marxistischen Krisis-Gruppe. In einem Diskussionsbeitrag in der Jungle World beschreibt er den chinesischen Imperialismus als weltweite Gefahr schlechthin:
Als Hort der chinesischen Konterrevolution will die chinesische Führung das Recht erkämpfen, überall in der Welt bestehende Freiheitsrechte gewaltsam zu liquidieren und den Friedhofsfrieden, den sie im eigenen Land durchgesetzt hat, überall in der Welt durchsetzen.
Ernst Lohoff, Jungle World
Wenn man Lohoff ernst nimmt, ist China die große Weltgefahr, die überall, also auch in Deutschland, Freiheitsrechte gewaltsam liquidieren will. Das ist die Ideologie, mit der vor allem Linksliberale reif für die Weltordnungskriege gemacht werden. Da tönt Lohoff, als hätte er die alte Platte von der gelben Gefahr irgendwo im Keller wieder gefunden.
Und das kommt vom Verfechter eines theoretischen Ansatzes, der einst alle Staats- und Machtformen einer vernichtenden Kritik durch die Brille einer bestimmten Lesart von Karl Marx unterzogen hat. Der führende theoretische Kopf der Krisis-Gruppe hatte nach dem Golfkrieg 2003 diese Art von ex-linken Weltordnungskriegern einer messerscharfen Kritik unterzogen.
Genau an dieser Kritik sollten Linke anknüpfen, die eben weder für die Interessen von China, noch für die der Deutsch-EU oder eines anderen Imperialismus geopfert werden wollen. Daher verbietet es sich auch, Macron jetzt zum freundlicheren Gesicht der EU aufzubauen. Vielmehr sollte an die Opfer seiner autoritären Innenpolitik erinnert werden. Kürzlich wurde ein Brief der Eltern des Umweltaktivisten Serge bekannt, der bei einer Protestaktion von der Polizei lebensgefährlich verletzt wurde und seitdem im Koma liegt. Sie schreiben:
Serge liegt nun seit zehn Tagen im Koma, nachdem er bei der Demonstration am 25. März in Sainte-Soline von einer Tränengasgranate getroffen wurde. Er befindet sich weiterhin in einer lebensbedrohlichen Lage. (…)
Wir danken den Zehntausenden, die sich am Donnerstag, dem 30. März, auf der Straße, vor den Präfekturen und anderswo gegen die in Frankreich installierte Polizeiordnung ausgesprochen haben. (…)
Den Kampf für das Leben führt Serge gerade mit derselben Kraft, mit der er eine Gesellschaftsordnung bekämpft, deren einziges Ziel es ist, die Ausgebeuteten weiter unter der eisernen Hand der Bourgeoisie zu halten. Seien wir solidarisch mit allem, was Darmanin (der Innenminister Frankreichs, Anm. d. Red.) ausrotten, auflösen, einsperren und verstümmeln will – von der Rentenbewegung bis zu den Antirepressionskomitees, von den künftigen Besetzungen bis zur Blockadebewegung.
Der Terrorismus und die Gewalt sind jeden Tag auf der Seite des Staates, nicht auf der Seite derjenigen, die ihre Ablehnung einer zerstörerischen Ordnung zum Ausdruck bringen.
(Übersetzung: Raphael Schmeller, junge Welt)
In diesem Sinne sollten die Interessen aller Staaten kritisiert werden, statt sich in den Dienst der Propaganda für eine Seite zu stellen.
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