Ende der Quarantäne: Wenn Infizierte mit Maske arbeiten sollen
Ab 1. August endet in Österreich die verpflichtende Corona-Quarantäne. Auch positiv getestete Personen müssen dann zur Arbeit erscheinen, sofern sie symptomfrei sind. Viele Details sind unklar.
Ein bisschen sehr übellaunig wirkte der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ), als er über die neue, aus seiner Sicht wenig durchdachte Corona-Gesetzgebung der österreichischen Bundesregierung sprach. Diese sieht vor, dass die Quarantäne-Regelung ab 1. August fällt – und das hat manche kuriose Konsequenz, die selbst den zuständigen Ministern noch nicht ganz aufgegangen zu sein scheint.
Wer positiv getestet ist, darf – respektive muss – zur Arbeit gehen, hat aber Maskenpflicht. Bedeutet dies zugleich, dass grundsätzlich auch Kinder mit positivem Test in die Schule (wenn diese wieder beginnt) beziehungsweise in den Kindergarten gehen? Sonst hätte man ja die paradoxe Situation, dass die positiven Pädagogen erscheinen müssen, die positiven Kinder aber abgewiesen werden.
Streitfall Kindergarten
Sicherlich, es herrscht ja Maskenpflicht, die vor der Verbreitung des Virus durch positiv-getestete Personen schützen soll. Nur können kleine Kinder keine Maske tragen. Für den etwas überfordert wirkenden grünen Gesundheitsminister Johannes Rauch schien dies im TV-Interview am Dienstagabend zunächst kein Problem zu sein.
Sollen ruhig in den Kindergarten, die kleinen Virenschleudern, erklärte der Minister höchst umständlich: "Bringen Sie ihr Kind mit Maske in die Kinderbetreuung, können es dort abgeben und wieder abholen." Wenig später musste er sich revidieren, denn das Gesundheitsministerium widersprach dem Minister, der die eigene Verordnung nicht gelesen hatte.
Weil "nicht davon auszugehen" sei dass Kinder im Kindergartenalter bzw. in der Grundschule die Maske durchgehend korrekt tragen, wird ist Betretungsverbot für Sars-CoV-2-infizierte Kinder vorgesehen. An dieser Stelle platzte dann dem Wiener Gesundheitsstadtrat Hacker der Kragen.
Der Grüne Rauch hatte unvorsichtigerweise sozialdemokratisches Kernthemenland betreten, denn selbst wenn es für die infizierten Kinder ein Betretungsverbot gibt, ist damit nichts gelöst. Nur Menschen, denen ein fragwürdiges "Bild von der echten Welt vorschwebe", könnten glauben, dass Eltern niemals ihre kranken Kinder in den Kindergarten bringen würden.
Der Druck sei für viele Erwerbstätige einfach zu hoch. Sie würden aus Angst um ihre Arbeitsplätze auch kranke Kinder in die Betreuungseinrichtungen bringen müssen. Dies sei leider so üblich – und wer sich auch nur sehr wenig mit Elementarpädagogik beschäftigt habe – Herr Minister Rauch anscheinend nicht –, wüsste um diese bedauerliche Lebensrealität.
Subtext: Die Grünen sind hoffnungslose "Bobos" – also zugleich Bourgeois und Bohemien – und kennen nicht die Sorgen der Beschäftigten, denen in der Pandemie schon viel zu viel aufgebürdet worden sei. Namentlich die in der Pflege arbeitenden Angestellten und eben die Elementarpädagogen müssten immer herhalten und die unausgegorenen Gesetze ausbaden.
"Wer krank ist, soll zu Hause bleiben"
Tatsächlich hakt es beim Arbeitsschutz. Wenn die Elementarpädagogin symptomlos, aber doch erkrankt, zum Dienst erscheint, die Kinder aber daheimbleiben müssen, dann ist dies eine Regelung, die den Medizinern des Landes ein verzwicktes Lächeln auf die Lippen zaubert.
Wissenschaftliche Gründe kann es hierfür eigentlich nicht geben. Die in Innsbruck lehrende Virologin Dorothee von Laer drückte es so aus: "In eine Gesetzgebung fließen auch andere Aspekte mit ein."
Viele legen deshalb die Stirn in Falten. Wenn man ansteckend ist, scheint es ein Gebot der Logik zu sein, zuhause zu bleiben. Die zugespitzte Frage, ob man einen infizierten Krankenpfleger schwerkranke Patienten pflegen zu lassen soll, beantwortet sich eigentlich von selbst.
Die Gewerkschaften geben sich kämpferisch. "Mitten in der Corona-Welle die Quarantäneregelung abzuschaffen, ist alles andere als eine gute Idee", sagte Ingrid Reischl, leitende Sekretärin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), in einer Aussendung. "Für uns steht die Sicherheit der Arbeitnehmer:innen im Vordergrund. Die Betriebe haben die Verpflichtung, ihre Mitarbeiter:innen vor dem Corona-Virus zu schützen".
Damit hat sich nicht unrecht. Denn rechtlich bewegen sich alle Beteiligten auf dünnen Eis, wenn sie beurteilen sollen, ob die Kranken auch krank genug sind, um daheimzubleiben. Das allgemeine ArbeitnehmerInnenschutzgesetz sieht vor, dass Mitarbeiter vor Infektionskrankheiten zu schützen sind.
Wenn Unternehmen Beschäftigte an deren Arbeitsplätze lassen – oder sie dazu verpflichten, zu erscheinen –, obwohl diese positiv getestet sind, dann müssten sie weitere Maßnahmen jenseits des Tragens von FFP2-Masken bereitstellen, wie gesonderte Aufenthaltsräume und ähnliches.
Eine Überprüfung der Gefährdung vulnerabler Gruppe obläge damit arbeitsrechtlich dem Arbeitgeber und kann im Schadensfall sogar strafrechtlich relevant werden. Der Arbeitgeber muss dafür Sorge tragen, dass die Masken somit immer aufbleiben. Zugleich gilt, wer die Maske lüpft, um ungefiltert Luft zu holen oder etwas zu trinken, wäre – streng genommen – bei Kenntnis der eigenen, positiven Infektion, haftbar für mögliche Erkrankungen im Kollegium.
Eine bizarre Arbeitssituation. Arbeitsrechtlich ist es aber zugleich auch nicht möglich, der Arbeit fernzubleiben, selbst wenn bekannt ist, dass alle anderen im Büro positiv sind. Die Kollegen müssten dann eben brav die Masken aufbehalten – und aus Sicht des österreichischen Gesetzgebers wäre alles paletti.
Ähnliches gilt für den Kundenverkehr. Die Kunden müssten allerdings, um entsprechenden Schadensersatzforderungen zuvorzukommen, informiert werden. Also, einfach ein Schild aufstellen: "Heute bedient Sie Frau Gundula Greinsteiner (Corona positiv seit vier Tagen!)" und dem Gesetz wäre Genüge getan. Auf die gelebte Praxis darf das Land gespannt sein.
Wer zu einer besonders gefährdeten Gruppe gehört, darf laut Verordnung zu Hause bleiben. Die Konsequenz ist hier – wie auch in anderen Zusammenhängen – dass die Risikopatienten langsam aus der Gesellschaft aussortiert werden.
Das Virus ist politisch
Allerdings kann auch eine Gegenrechnung aufgestellt werden. Das Virus mag noch lange nicht "Privatsache" sein, wie es Ex-Bundeskanzler Sebastian kurz viel zu früh ausdrückte, aber die Gesellschaft wird sich auf die eine oder andere Weise, mit dem Virus arrangieren müssen.
Die Prognosen der Neuinfektionen mussten zuletzt in Österreich nach unten korrigiert werden. Zeitweilig hatte man mit bis zu 70.000 Neuinfektionen am Tag gerechnet. Auch wenn es nicht so hoch wie erwartet wurde, bleibt man auf hohem Niveau von knapp 10.000 Infektionen.
Vielleicht gibt es bei manchen politischen Akteuren bereits eine Art Abschiedsschmerz gegenüber dem Virus. Die Sozialdemokratie, deren Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner selbst Ärztin und sogar Epidemiologin ist, war oftmals gegenüber der Bundesregierung äußerst kritisch.
Mit vielen ihrer Warnungen hatte sie Recht behalten. Es blieb nicht aus, dass dadurch das Warnen selbst wiederum ein heiß umkämpftes Politikum wurde. Die Opposition achtete genauestens darauf, gehört zu werden und will die Spuren ihrer Bedenken in den Gesetzen und Erlassen erkennen, die Regierung stapelt hingegen betont tief, hofft auf (seltene gewordene) öffentliche Sympathie und nicht zuletzt den Zuspruch der Wirtschaft.
Es könnte nun sein, dass die Regierung mit einer gewissen Laxheit Recht behalten wird und es im Herbst zu keinem starken Ansteigen der Infektionszahlen mehr kommt. Dann würde sicherlich am Ballhausplatz das Grinsen bis zum Stephansdom reichen. Vor diesem Hintergrund können sich beide Lager den zeremoniösen Aufruf zum Zusammenhalt in der Krise gern sparen. Insgeheim hofft man schlicht, dass der Gegner und seine Prognosen scheitern.
Live aus dem Spital
Helfen würden in dieser Lage Fakten. Aber mit denen ist es auch nicht so leicht. Die Regierung plant ein ständig aktualisiertes Covid-Register, das einsehen lässt, wer aus welchem Grund und mit welchen Grunderkrankungen im Spital liegt. Die technische und administrative Schwierigkeit liegt im zeitnahen Zusammenfügen dieser Daten. Die bisherigen monatlichen Berichte sind für aktuelle Einschätzungen kaum nutzbar.
Alle Bundesländer wollen Daten liefern, nur Wien zögert. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker meint korrekt, all diese Daten gäbe es jetzt schon, es sei nur eben aus datenschutzrechtlichen Gründen schwer, sie zusammenzufügen und zentral zu erfassen. Auch hätten die bisherigen Berichte ohnehin "niemanden interessiert", das Gesundheitsministerium habe sie nicht einmal gelesen. Eine Live-Berichtserstattung aus dem Krankenhaus würde zudem die Spitäler datenschutzrechtlich gefährden.
Vielleicht stimmt dies. Allerdings lassen sich Datenschutzgründe leicht vorschieben und es geht eigentlich um etwas anderes. Wer die Daten hat, kann sie so ausspielen, wie es ihm passt. Daten können nämlich grausam sein und die beste politische Argumentation widerlegen. Deshalb sind Kommunen, Länder und Staaten auf ihre Datenhoheit erpicht.
In diesem Punkt sind sich die politischen Lager übrigens einig – und allen Politikern sind Covid-Daten lästig, die nicht ins Konzept passen. Derweil lässt sich – vielleicht genau deshalb – in Österreich immer noch nicht erheben, warum jemand im Spital ist. Wird längst mehr als die Hälfte der Corona-Patienten, wie der Gesundheitsminister Rauch behauptet, aus anderen Gründen ins Krankenhaus eingeliefert – also mit dem Virus, aber nicht wegen des Virus?
Zugleich wirft dies die Frage auf, ob dies überhaupt so relevant ist. Somit sind die Daten und deren Erhebung auch wieder politischer Streitfall.
Fakt ist, im letzten Monat hat es eine Verdopplung der Hospitalisierungen mit oder wegen Corona gegeben, die sich nun auf hohem Niveau stabilisiert. Ob dies gefährlich ist oder von den Krankenhäusern leicht zu handhaben sein wird – selbst wenn durch die Aufhebung der Quarantänepflicht viele zusätzliche Infektionen entstehen – kann in Österreich derweil nur politisch beantwortet werden.