Ende des Sommermärchens
Beim Treffen der Eurogruppe in Vilnius brach die Europäische Zentralbank mehrere Tabus, die Deutschland mit Rücksicht auf den Wahlkampf aufgestellt hatte. Vor allem um die geplante Bankenunion gibt es neuen Streit
Ganz Europa wartet auf die Bundestagswahl in Deutschland. Die Eurogruppe, der Club der 17 Euroländer, macht da keine Ausnahme. Vor der Wahl in Berlin, so die ungeschriebene Regel, kann die Eurogruppe keine neuen, möglicherweise umstrittenen Beschlüsse fassen. Bis zum 22. September darf kein Jota am Kurs der Euro-Finanzminister geändert werden. Zudem darf das deutsche Sommermärchen, das von der wundersamen Heilung der Eurozone handelt, nicht erschüttert werden.
Vom informellen Treffen der Eurogruppe, die am Freitagvormittag in Vilnius (Litauen) tagte, waren daher auch keine Sensationen zu erwarten. Die Lage in Griechenland, das bekanntlich ein drittes Hilfspaket braucht, war von vorneherein von der Tagesordnung verbannt worden. Die Bankenkrise in Slowenien, die das Land in den Abgrund zu ziehen droht, wurde mit Durchhalteparolen verdrängt. Auch die Frage, wie es mit den anderen Krisenländern weitergehen soll, wurde nur kurz gestreift.
Dennoch lief nicht alles nach Plan. Allein schon die Tatsache, dass wieder über neue mögliche Wackelkandidaten geredet wird, zeigt, dass das deutsche Sommermärchen langsam aber sicher zu Ende geht. Slowenien wäre bereits das sechste Land, das Hilfe aus dem Euro-Rettungsfonds ESM anfordert. Angeblich braucht das Land zur Sanierung seiner maroden Banken bis zu 7,5 Milliarden Euro - das wäre mehr als ein Fünftel der Wirtschaftsleistung.
Zwar gaukelten Finanzminister Wolfgang Schäuble und seine Kollegen Vertrauen in die Selbstheilungskräfte vor. "Solange Slowenien selber sagt, wir schaffen das, sollten wir sie darin bestärken", sagte Schäuble. Doch der CDU-Politiker vergaß zu erwähnen, dass die Regierung in Ljubljana dies vor allem deshalb sagt, weil sie die mit einem Hilfsantrag verbundenen drastischen Auflagen der "Euroretter" vermeiden will. Die können nämlich vernichtend ausfallen, wie man spätestens seit der chaotischen "Rettung" Zyperns im Frühjahr weiß.
Schäuble ging auch mit keinem Wort darauf ein, dass es offenbar die Europäische Zentralbank ist, die auf einen Hilfsantrag Sloweniens drängt. Bei der EZB in Frankfurt fürchtet man nämlich neue Turbulenzen an den Anleihemärkten, wenn die Eurogruppe allzu lange zögern und die Lage in Slowenien außer Kontrolle geraten sollte. Dass die Märkte nervös sind, musste zuletzt vor allem Italien erfahren, wo die Renditen wieder in die Höhe schießen.
Direkte Bankhilfen aus dem ESM?
In Vilnius brach die EZB gleich noch ein zweites Tabu - und eröffnete eine Diskussion über die Stützung unterkapitalisierter und von der Pleite bedrohter Banken. EZB-Direktor Jörg Asmussen, eine früherer enger Vertrauter Schäubles, wagte es sogar, seinem Ex-Chef direkt zu widersprechen. Während Schäuble rechtliche Bedenken gegen die zweite Säule der geplanten Bankenunion - einen gemeinsamen Abwicklungsmechanismus für gescheiterte Finanzinstitute - hat, sieht Asmussen keine Probleme: "Artikel 114 (des EU-Vertrags) ist eine solide und robuste Rechtsgrundlage", sagte der EZB-Mann.
Asmussen ging sogar noch weiter und deutete an, dass die Abwicklung mit Finanzspritzen aus dem Euro-Rettungsfonds ESM flankiert werden könnte. Damit rüttelte er an einem weiteren deutschen Tabu: direkten Bankenhilfen aus dem ESM. Zwar stehen diese Hilfen bereits seit mehr als einem Jahr auf der Wunschliste der Eurogruppe. Vor allem Spanien und Irland forcieren das Thema, weil sie sich mithilfe des ESM gerne von der Last der (bisher staatlich finanzierten) Bankenrettung befreien würden.
Doch Schäuble sagte bisher immer Nein - mal mit formalen, mal mit rechtlichen Argumenten. Dahinter dürften aber auch politische und wahltaktische Erwägungen stehen. Denn direkte Hilfen für angeschlagene Banken aus dem ESM sind in Deutschland äußerst unpopulär - genau wie die gesamte Bankenunion.
Viele Bürger glauben, letztlich müssten sie mit ihren Spargroschen für Pleitebanken in Südeuropa geradestehen. Dass genau das Gegenteil geplant ist - ein Ende des Überwälzens von Kosten aus der Bankenkrise auf die Steuerzahler - hat Schäuble bisher niemals vernehmlich erklärt. Im Wahlkampf ging er dem heißen Eisen erfolgreich aus dem Weg - jedenfalls bis Vilnius.
Dort bekam er immerhin Schützenhilfe von Finnland, das ebenfalls Bedenken gegen die gemeinsame Abwicklung von Pleitebanken hat. Doch ob dies ausreicht, eine breite öffentliche Debatte zu verhindern und den wachsenden Druck auf Deutschland abzuwehren, bleibt abzuwarten. Klar ist derzeit nur eins: Die künstlich ruhig gestellte Sommerpause der Eurogruppe ist zu Ende. Und das deutsche Sommermärchen ist auch vorbei - spätestens am 23. September rückt die Krise wieder auf die Tagesordnung.
Noch mehr sparen?
Wer allerdings hofft, dass die Währungsunion dann endlich ihren bisherigen Kurs korrigiert und von Austerität und neoliberalen Reformen abrückt, könnte sich täuschen. Denn die Brüsseler Agenda für die nächsten Monate steht schon fest - und sie lässt keinen Politikwechsel erkennen. So soll Ende Oktober, beim ersten EU-Gipfel nach der Bundestagswahl, über einen neuen "Wettbewerbspakt" zur Förderung neoliberaler Strukturreformen nach dem Vorbild der Agenda 2010 diskutiert werden. Dies hatte Kanzlerin Merkel noch vor der Sommerpause durchgesetzt.
Und Ende November wird es - so wurde in Vilnius überraschend verkündet - ein Sondertreffen der Eurogruppe zur Budgetpolitik geben. Dann wollen sich die Finanzminister die Haushaltsentwürfe der Euroländer für das kommende Jahr vornehmen und prüfen, ob sie den Spar- und Reform-Vorgaben der EU-Kommission entsprechen.
Deutschland hat bei dieser Prüfung nichts zu fürchten. Umso größerer Ärger kommt auf Frankreich und Spanien zu: In Paris läuft die Neuverschuldung, in Spanien die Gesamtverschuldung aus dem Ruder. Wahrscheinliche Empfehlung der Eurogruppe: noch härter sparen...